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Apostile

Rauf aufs Sofa - Urlaubsleiden der jungen W.

Ich bin gerade an einem Ort, an dem vor ungefähr 25 Jahren ein junges Mädchen außerordentlich litt und damit Geschichte schrieb, wie das eben so ist bei jungen Mädchen, mit denen das Schicksal Boule spielt (vgl. Cleopatra, Jeanne d’Arc, Sigena). Dieses junge Mädchen trug bei 40 Grad im Schatten vorzugsweise Jeans, Kapuzenpulli und Springerstiefel ausnahmslos in Schwarz, um vom schweren Los (des eigenen Selbst sowie der Welt im Allgemeinen) Kunde zu tun und sich außerdem größtmöglich optisch abzusetzen von den Begleitpersonen, die das Mädchen zuvor gefesselt, entführt und über stundenlange Folterfahrten mit dem Auto in ein fremdes Land verschleppt hatten. Die Begleitpersonen nannten das Ferien, was nicht sein konnte, weil „Ferien“ bedeutete, dass ALLE Freundinnen (zwei) an magische Orte namens „Florida“ oder „Robinson Club“ fuhren, wohin sie ein futuristisches und teures Beförderungsmittel namens „Flugzeug“ gebracht hatte. Die Begleitpersonen trugen Kleidung, die „bunt“ und „funktionell“ hieß, kleine, peinliche Beutel mit Wertsachen (die Taschendiebe!) unter dem Bauch oder auch gern einmal darüber, außerdem die hässlichsten, aber doch so komfortablen und irre gesunden Schuhe, weil die „so bequem“ sind und zudem „toll fürs Fußklima“ und darüber hinaus Fotoapparate verschiedenen Formats um den Hals, die sie alle drei Meter zum Stehenbleiben, entzückt aufschreien und Bilder schießen zwang von irgendeiner Mauer oder wahrscheinlich Brücke, von der es 1. 400, 2. damit weit weniger als im fernen Hamburg und 3. gleich nebenan bereits außerordentlich gut abgelichtete Postkarten gab. Nicht gegeben hat es von den omnipräsenten Köstlichkeiten, weil „die spinnerten Preise“, dafür mitgebrachtes und in der Tasche fein überbackenes Käsebrot und Apfelschnitz sowie sparbewusst Wasser aus Brunnen in eigene Flaschen, die klein waren und stanken und deren Deckel man abends auskochen musste. Die Begleitpersonen zwangen das Mädchen zum zeitigen Aufbruch („Es ist elf Uhr!!“) ungeachtet des Umstandes, dass es am Vorabend spät weil ein neuer tränenreicher Leidensbrief an die Heimat geschrieben worden war. Alles in allem: wirklich dramatisch, und ich erzähle diese Geschichte mit einem Auge, das so feucht ist wie mein frisches Haar. Jetzt muss ich los. Es ist 7 Uhr 41. Um 9 Uhr fährt das Schiff, ungeachtet des Umstandes, dass es gestern versehentlich viel Weißwein gab. Das Käsebrot ist geschmiert (diese Preise!), die Wasserflasche ausgespült, die Birkis glänzen golden in der Morgensonne, der sehr praktische Beutel für die Wertsachen hängt gleich um meine Schulter neben dem Fotoapparat, mit dem ich gleich sehr viele Fotos von Dingen machen werde, die millionenfach auf Postkarten gedruckt sind. Ich trage schwarz wegen cool – und freu mich wie Bella! Nee: Bolle!