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Ganz schön wild - im Reichswald lebt das Bio-Fleisch

Lebensmittel tierischen Ursprungs sind hierzulande zurecht ein strittiges Thema, doch an kaum etwas zeigt sich die Gespaltenheit des Landes besser als am Schweinefleisch. Einerseits als fett, massenproduziert, zutiefst unethisch mit denkbar schlechtem Leumund versehen, dreht sich doch ein Großteil der bundesrepublikanische Küche um das Tier, das die Nation mit Braten, Schnitzel, Wurst beschenkt. Und obwohl der Pro-Kopf-Verzehr zuletzt stetig leicht sank, liegt Schweinefleisch mit 35,7 kg „weiterhin deutlich an der Spitze der deutschen Verbrauchergunst“, resümiert der Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie e. V. im jüngsten Geschäftsbericht. Um die Rechnung abzukürzen: 55,1 Millionen Tiere, so das Statistische Bundesamt, ließen 2019 ihr Leben, um zu 5,2 Millionen Tonnen Schweinefleisch zu werden. Dass die Produktionsbedingungen denkbar problematisch sind, dämmert dem Verbraucher nicht erst seit Corona, und zunehmend beherzt greift er ins Bio-Regal – um sich mit dem grünen Siegel gleichsam die Absolution zu kaufen. Bei einem Kilo-Preis zwischen 20 und 50 Euro ist das gute Gewissen inklusive und dank glücklicher Wiesenschweinderlbilder auf der Packung optimale Haltungsbedingung propagiert – und doch zumeist ein Mythos. Denn richtig glückliche Schweine, die grad noch quiekfiedel im Erdloch suhlen, bevor sie unversehens in den Himmel kommen, die gibt es quasi nicht. Oder doch?

„Ich glaube nicht, dass es eine natürlichere Art zu leben und eine schonendere Art zu sterben gibt“, wagt Johannes Wurm zu sagen. Wie der dazu kommt? Als Forstbetriebsleiter der Bayerischen Staatsforsten ist der 44-Jährige hauptverantwortlich für die 24 000 Hektar Wald, die sich östlich an Nürnberg und Erlangen schmiegen – und damit nicht nur für alles, was darin so gesund und gut wie möglich leben darf. Sondern auch, was sterben muss. Klingt grausam? Ist es aber nicht. Denn es gibt einen ökologischen Grund zur Jagd: Im Zuge einer naturnahen Waldwirtschaft – in Anbetracht des Klimawandels wichtiger denn je – muss sie der Natur im wahrsten Sinne Schützenhilfe leisten, um für ein Gleichgewicht zwischen dem Lebensraum Wald und seinen Bewohnern zu sorgen. Dem klimastabilen Umbau des Reichswaldes, dem ältesten Kunstforst der Welt, stehen nicht nur allerlei pelzige Feinschmecker im Wege, sondern roden, wühlen, graben, tollen zunehmend mehr Wildschweine durchs Unterholz, denn die, so Johannes Wurm, „fühlen sich klimawandelbedingt in unseren Breiten pudelwohl.“

Mildes Klima, warme Winter, Feldfrüchte soweit das Schweineauge reicht – ein ewiges Schlaraffenland, in dem das sogenannte „Schwarzwild“ es auf Vermehrungsraten von bis zu stolzen 300 Prozent bringt und „erhebliche Schäden vor allem in der Landwirtschaft“ verursachen kann, wenn die Rotte das Sommerdomizil im Maisfeld bezieht – und sich immer weiter in die Wohngebiete wagt. Wildschwein im Vorgarten? Gar keine gute Idee. Unversehens wird das Tier zum Schädling. Wurden in Bayern 1985 noch 5000 Tiere von Jagdprofis erlegt, waren es 2017 schon 100 000. In Nürnberg sind 15 Förster, die gleichzeitig Berufsjäger sind, im Einsatz für den Reichswald, 200 sogenannte „Jagdgäste“ und Jagdpächter, also private Jäger mit Jagderlaubnis im Staatswald, unterstützen und dürfen auf die Pirsch gehen. Holten die 2005 noch gut 250 Wildschweine aus dem Wald, waren es hier zuletzt fast 1347, denn, so Wurm, „das Schwarzwild konnte sich zuletzt stark vermehren.“ Was die Jagdgäste erlegen, erwerben sie meist selbst – alles andere kommt nach Laufamholz.

Hier, am Sitz des Forstbetriebs Nürnberg im Osten der Stadt, befindet sich eine der wenigen Wildbretverkaufsstellen der Region. Die erlegten Tiere hängen im Kühlraum. Aufgebrochen, gesäubert, veterinärmedizinisch untersucht. Nächster Stopp: Kleinmetzger. „Mehr Bio geht nicht“, sagt Johannes Wurm – und wünscht sich, dass mehr Leute zum „Kiosk“ am Forstamt kommen, wo Keulen, Rücken, Schnitzel, aber auch Wildsalami oder Pfefferbeißer zum Verkauf frisch bereitstehen. Zwischen 14 und 40 Euro das Kilo, zerlegt, vakuumiert, tiefgefroren. Herkunft zweifelsfrei nachvollziehbar. Qualitativ 1a. Wegschmeißen? Keine Option! Doch man müsse „dieses hochwertige Lebensmittel in manchen Regionen Bayerns derzeit fast verbetteln“, dabei könnte ohne Weiteres eine größere Nachfrage nach Wildbret bedient werden – die sei „aus meiner Sicht sogar sehr wünschenswert.“ Kommt aber nicht. Warum?

„Viele Leute trauen sich nicht, mit diesem Lebensmittel umzugehen“, vermutet der Forstbetriebsleiter, dabei entspreche es dem modernen, nachhaltigen Lifestyle. Wild, so Wurm, „ist so, wie es ist, sehr ursprünglich, man muss mit dem Fleisch ganz anders in Berührung kommen. Das ist in Zeiten von Convenience vielleicht schwierig.“ In Zeiten von Kühlschrank hingegen ist eine Sache leicht: Weil Wild früher ungekühlt abhing, entstand hierbei mit dem „Hautgout“ der gefüchtet strenge Wildgeschmack, dem nur mit schwerem Soßentamtam beizukommen war. Das ist passé! Kochbücher, Tipps, Beratung – der Forstbetrieb hält in Buch- und Menschenform alles zum „hintrauen und ausprobieren“ bereit. Das lohnt sich. „Wild ist mager, völlig stressfrei gestorben, nachvollziehbar, klimaschonend“, so Wurm. „Und wenn ich Ihnen mein Wildschweinschnitzel vorsetze, merken Sie garantiert keinen Unterschied.“ Einen moralischen hingegen sehr wohl. „Wenn ich Fleisch essen will, muss ich mir bewusst sein, dass ein Tier dafür stirbt. Und die Jagdethik impliziert das moralische Gebot, dass es das möglichst leidlos tut.“ Eine Garantie, die der bio-Aufkleber nicht geben kann.

baysf.de