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Echt tierisch! ... Der Spatz auf dem Balkon

Wenn Spatzen etwas von den Dächern pfeifen, dann bedeutet das, dass alle Welt von einer bestimmten Sache weiß. So gesehen könnte es sein, dass dieser Informationsfluss bald versiegt: Das lustige Tschilpen unserer kleinen braunen Alltagsbegleiter verstummt immer mehr. „Kein Platz für den Spatz!“ schlug der Landesbund für Naturschutz (LBV) anlässlich des zehnten „Weltspatzentages“ Ende März Alarm. Diese Aufmerksamkeit, so der LBV, sei mehr als berechtigt: Seit 2016 steht der Haussperling in Bayern auf der Vorwarnliste der Roten Liste.

Das fällt schwer zu glauben, schweift man grade mindestens gedanklich durch die Parks oder linst aus dem Ohrenwinkel aus dem Fenster. Zumindest aus meinem, tönt es doch zu jeder Tag- und beinahe auch Nachtzeit in allen Schattierungen des Zwitscherns aus dem Spiräendickicht, das als große Heckenmauer das Grundstück vom Bürgersteig trennt. Ein Gezappel und Gewusel – vor allem akustischer Natur, was klingt wie ein ganzer Grundschulausflug verstummt schlagartig, sobald man versucht, der Konzerturheber ansichtig zu werden. Eine singende, klingende, tobende Hecke. Ein Lieblingsort, weiß auch der LBV, der zugleich verantwortlich ist für den Auszug unserer flatternd-frechen Mitbewohner aus der Stadt: „Der Verlust von Brutplätzen durch Sanierungen oder Neubauten, die den Spatzen keinen Unterschlupf mehr bieten, wirkt sich negativ auf die Populationen aus. Dazu gehört auch das Verschwinden von Hecken und dichten Wandbegrünungen, die den geselligen Vögeln als Versteck dienen.“

Doch in all dem jugendlichen Geschrei gab es mutige Verbandsmitglieder, die eines schönen Tages hocherfreut entdeckten, dass es auch außerhalb der Hecke interessante Angebote gibt. Nämlich in Form eines Meisenknödels, der von mir im Winter am Balkongeländer ausgelegt und mangels Nachfrage vergessen worden war. Der Spatz aber: begeistert! Schlug den Schnabel in das Netzchen und sich den Bauch zum Anschlag voll, ließ sich rückwärts in die Hecke fallen und berichtete selig vom neuen Fund. Es wurden sogleich Gruppenreisen anberaumt, und plötzlich hatte ich nicht nur neue Mitbewohner, sondern auch noch solche, die den Balkon für sich als Hoheitsgebiet erklärten. Denn seitdem wird hier gespeist, gefälligst – und zwar nur als Spatz! Und wehe, ich wage es, zu balkonieren! Der Spähertrupp dreht schneller bei, als ich mich ducken kann, ich höre quietschende Bremsen und Flügelschlag und kurz darauf entzürntes Schimpfen. Da sitzt ein Mensch! In unserem Essen!

Und ich folge eingeschüchtert. Stimme Balkonbesuchszeiten mit der Menüfolge ab, fülle artig Körner auf und Wasserschalen auch, nur mit dem vom LBV gemahnten Staubbadeplatz möchte ich ungern dienen. Durch mein Wohnzimmer, das unerhörterweise an die Spatzenkantine angrenzt, bewege ich mich in Zeitlupe, um die Zirpschaft nicht zu stören, und das auch erst, nachdem ich vorsichtig um die Ecke gelinst habe. Zehn, fünfzehn Spatzen saßen da schon aufgefädelt auf der Balustrade, speisten und sangen und feierten ein ordentliches Bankett, dessen Hinterlassenschaften vom Gesinde später aufzuräumen waren. Ich folgte, ganz im Einklang mit dem seit 2016 vom Bayerischen Naturschutzfond geförderten Projekt „Der Spatz als Botschafter der Stadtnatur“. Katharina Freifrau von Droste zu Hülsoff arrangierte Körner und Gehülse, reichte Erfrischungen und schickte sich beinahe an, Würmer und Insekten zu jagen und hübsch anzurichten. Kehrte zeternd über Unrat und fand es doch ganz wundervoll.

Und dann das: „Hast du eigentlich meine neuen Mitbewohner schon entdeckt?“ frug ich nach oben hin zur Nachbarsdame. „Die Spatzen aus der Hecke, meinst?“, klang die Antwort. „Ja klar! Ich fütter die!“ Sofort entflammte ich in Eifersucht! Meine Spatzen! Die ich seit Wochen! Mit Hingabe! Na das wollen wir doch mal sehen, wer hier das letzte Wort hat! Nun, wie es scheint, sollte es mein vorerst letztes bleiben. Die Futterstelle verwaist, die Tränke verdörrt, seit Tagen hat mich kein Flügelquietschen mehr erschreckt. Ich bin traurig.

„Ich bin traurig“, hab ich der Nachbarin gestanden, „du hast mir meine Spatzen abgeworben!“ – „Ich wünschte, es wäre so“, sagte die Beschuldigte. „Aber ich hab die selber seit Tagen nicht mehr gesehen. Vielleicht sind sie ja weitergezogen?“ Ich hoffe, sie hat recht, hoffe, die quirligen Tierchen haben eine Häuserwand gefunden oder einen grünen Unterschlupf, in dem sie wohnen, brüten, fröhlich sein können. Und das dürfen dann ruhig alle wissen. Solang sie’s nur von den Spatzen auf den Dächern hören!