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Per aspera ad astra? Ein modernes Fakirbrett verspricht Heilungswunder

Sie sind viele Kilos schwer und mit spitzen Nadeln bespickt, engen uns ganz schön ein und bohren ihr Zacken tief in unsere Haut – und werden zunehmend als Wundermittel, Heilsbringer, Alleskönner gehandelt. Therapiedecken und Akkupressurmatten sind in aller Munde, vor allem aber: in aller Betten. Was soll das?

Okayokayokay, atme! Halte durch, den Schmerz aus – gleich wird alles besser, haben sie gesagt. Gleich wird es warm und schön und richtig kuschlig, haben sie gesagt. Schwer vorzustellen. Ich liege auf ungefähr 5000 sehr kleinen, sehr harten Plastikspitzen. Die sind hübsch in Blumenform arrangiert, „Rosetten“ nennt das der Hersteller euphorisch. Das alles auf der Fläche circa eines Handtuchs, so dass von der Schulter bis zum Hintern alles, was berührungsempfindlich ist, auch schön draufpasst. Und damit es nicht langweilig wird, schmiegt sich an Nacken, Hals und Hinterkopf nochmal ein separates Nagelkissen. Wenn ich jetzt noch mit der Flöte eine Kobra aus dem Wäschekorb locke, bin ich der vollendete Fakir.

Tatsächlich hat das Teil, auf das ich mich zähneknirschend gelegt habe, seinen Ursprung bei Fakiren, die auf Nagelbrettern meditieren, um Blockaden zu beheben. Physischer, emotionaler oder mentaler Art. Ein Allheilmittel also, das auch die alten Yogis längst schon kannten, und auf der Yoga-Welle kam sogleich das Werkzeug angeritten, das sich heute als „Akkupressurmatte“ oder, hipper, „ShaktiMat“ wachsender Beliebtheit erfreut. Täglich 20 Minuten bäuch- oder rücklings drauflegen oder -stellen, ein bisschen Gymnastik oder einfach ruhen und schon ist alles gut. Hast du Rücken? ShaktiMat! Hast du Schlafprobleme? ShaktiMat! Spielt deine Verdauung verrückt? ShaktiMat! Nur die Steuererklärung kann sie noch nicht. Der Marktführer jubelt: 98 % Schmerzlinderung, 81 % mehr Energie, 96 % Entspanntheit, 94 % erholsamerer Schlaf! Und alle jubeln mit, zumindest der halbe Bekanntenkreis, denn hier liegt das Nagelbrett mittlerweile in fast allen Betten.

Zunehmend gesellt sich zu dem Pieksgerät noch eine andere Erfindung, die eigentlich nicht neu, wohl aber neu auf dem Markt der Selbstoptimierungsgeräte gestresster Großstädter: die Gewichts- oder Therapiedecke. Gefüllt mit kleinsten Glasperlchen erreicht die schon mal zwölf Kilogramm – und dadurch, so das Wirkversprechen, „das gleiche Signal, das bei einer festen Umarmung entsteht.“ Wir fühlen uns behütet und beschützt, der Stresspegel sinkt, so dass wir uns sofort entspannen und sanft entschlummern. Auch hier liegt ein ernster, sogar medizinischer Hintergrund vor: Bei verschiedenen psychischen oder physischen Erkrankungen wie ADHS, Angstzuständen, Autismus oder Parkinson werden Gewichtsdecken seit langem therapeutisch eingesetzt. Und was hier gut ist, das kann für uns grad gut genug sein.

Schließlich sind wir alle so gestresst, dass wir schlicht keine Zeit finden, um zu entspannen. Nehmen die Arbeit mit nach Hause und ins Bett, tippeln kurz vorm Umkippen noch superwichtig auf dem Smartphone rum, hetzen vom einen Selbstoptimierungsprogrammpunkt zum nächsten und wieder zurück, dazwischen sportlich sein, Sozialleben haben, Freizeit auch, alles eng getaktet, alles gut getimt. Da trifft es dich doch gut, dass wir daheim nur auf ein Knöpfchen drücken müssen, Meditations-CD, Gute-Nacht-Lampe, Well-Sleep-Drink, ShaktiMat, Therapiedecke, um schnell noch zu entspannen und dabei bequem im Liegen Mails zu bearbeiten. Alles andere wäre ja auch gelacht.

Doch es ist nicht alles schlecht, was piekt. Denn während sich auf meiner geplagten Rückseite der Schmerz langsam auflöst, breitet sich erst im gepeinigten Areal und von hier aus fast überall ein bitzelnd-warmes Wohlempfinden aus. Denn tatsächlich: Hat man erst einmal die richtige Position gefunden, liegt es sich zunehmend angenehm auf diesen Stacheln – das sei dem Serotonin, dem Glückshormon zu verdanken, das durch den Anfangsschmerz aktiviert wird. Ähnliches berichten auch die eigentlich nicht kranken, jedoch irgendwie gepeinigten Gewichtsdeckenbesitzer: Man schlafe ruhiger, denn man könne sich schlicht nicht wälzen, und schnarche nicht dank Fesselung in Seitlage. Man habe die Trennung vom Partner besser überstanden, denn man sei weiterhin nachts umarmt.

 

Ich derweil bin zwar allein, doch sanft entschlummert. Die Entspannung hat scheinbar eingesetzt, und nachdem ich schmerzhaft meine Rückseite wieder entnagelt hab, ist deutlich zu sehen, was noch passiert: Puterrot zeugt das gepiekte Areal von bester Durchblutung, ich fühl mich pudelwohl. Ob’s langfristig was hilft? Bleibt abzuwarten.

 

Therapiedecke, Akkupressurmatte – alles schön und gut, finden Sarah Billmann und Svenja Helbach. Doch die Heilpraktikerinnen und Physiotherapeutinnen finden auch: Man kann diese Werkzeuge einsetzen. Wichtiger wäre aber, „sich als Ganzes zu sehen, umdenken und mehr ändern – vor allem dem eigenen Körper mehr Aufmerksamkeit widmen.“ Die Akkupressurmatte beispielsweise sei „ein winziger Bestandteil der Traditionellen Chinesischen Medizin, die ganzheitlich arbeitet“, und es gehöre mehr zur Verbesserung des Wohlbefindens, als sein Heil in der schnell gekauften Lösung zu suchen. Vielleicht treffe eine der Spitzen auch einen Akkupunkturpunkt, doch „das ist dann eher eine Art Schrotflinteneffekt: Kann sein, dass du was triffst.“

Durch die Durchblutung sei freilich „mehr los im Körper“, und das ist immer gut: Stoffwechselprozesse und Reflexzonen werden aktiviert, wodurch sich Verspannungen lösen können – und diese Entspannung den Schlaf fördert. Wesentlich jedoch sei etwas ganz anderes: „Wer permanent seinen Körper spürt, verlagert unbewusst seine Aufmerksamkeit, schaltet die Gedanken ab und fährt dadurch die Psyche runter“, erklären die Fachfrauen auch eine Wirkung der Therapiedecke, die bei Autisten, Angst- oder ADHS-Patienten genau zu diesem Zweck eingesetzt wird: Mehr Körperempfinden durch Druck, der einen beruhigenden Effekt hat.

Dass da etwas funktioniert, erkannte schon in den 70er Jahren die US-amerikanische Tierwissenschaftlerin Temple Gradin: Selbst Autistin, beobachtete die 1947 Geborene, wie sich sehr eng eingepferchte Rinder plötzlich beruhigen statt in Panik auszubrechen – und erfand für sich die „Squeeze Machine“, eine „Umarmungsmaschine“. Das Stichwort, sagen Sarah Billmann und Svenja Helbach, lautet: Achtsamkeit. In sich hineinspüren, auf den Körper hören – und sich im Klaren darüber sein, dass das Ding im Bett eigentlich eine „Mehrdurchblutungsmatte“ oder „Achtsamkeitsmatte“ ist.