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"Tinder in echt": XXL Speeddating

Ellenlange Fotogalerien beiseitewischen, gelegentlich mal jemanden attraktiv finden. Mit mal mehr, mal weniger klopfendem Herzen die Meldung „Ihr habt ein Match!“ zur Kenntnis nehmen, auf die dann ewiger Schriftverkehr folgt, tage-, manchmal nächtelang vom sexy Typen träumen oder der so charmanten Lady – und dann trifft man sich, und die illusorisch schillernde Liebesblase platzt: Der sexy Typ ist 20 Jahre älter als sein Foto und feuchtelt in der Aussprache, die charmante Lady kriegt kein Wort mehr raus und kreischt hysterisch statt zu lächeln. „Von Tinder und Konsorten“, sagt Patrick Kuhlmann über Single- und Dating-Plattform und -Apps „sind die meisten inzwischen doch nur noch genervt.“ Weil der designierte Traumpartner im grellen Scheinwerferlicht der Realität eben meist doch ganz anders ist. Deswegen hatte Patrick Kuhlmann, 32-jähriger Ideenentwickler aus Hamburg, schon 2015 das sehr unterhaltsame Kennenlernformat „Social Match“ ersonnen – und seit 2019 das Single-Rad zwar nicht ganz neu erfunden, den großen Markt der Begehrlichkeiten und Sehnsüchte aber um eine Variante erweitert. Eine riesengroße. „XXL-Speeddating“ verspricht „das größte Speeddating Event in deiner Stadt“ zu sein. 20 Frauen, 20 Männer, 20 Dates an einem Abend – was soll das bringen? „Wir kennen das doch alle aus der Schule“, sinniert Patrick Kuhlmann: „Von den 30 Leuten in der Klasse findet man garantiert einen oder eine gut.“ Dieses Prinzip – je mehr Leute, desto größer die Wahrscheinlichkeit, jemanden gut zu finden, will Kuhlmann sich fürs Speeddating zunutze machen. Und damit die bekannte Variante 7x7x7 einem Facelift unterziehen, denn, befand Kuhlmann, „so wenige Leute und dafür sieben Minuten Zeit – das ist doch Murks.“ Wie schaut so ein Verpartnerungsevent also aus?

Erstmal ziemlich anders: In der Altersgruppe 30-45, eine von insgesamt sechs verschiedenen Kategorien findet sich an einem kalten Februardonnerstag eine muntere Truppe in einer Bar in Bahnhofsnähe ein. Sogleich fällt auf: Während nach und nach die Männer vereinzelt ankommen und sich verschämt allein im Raum herumdrücken, rotten sich die Damen sogleich an der Bar zu einer vergnügten Meute zusammen und befinden binnen kürzester Zeit, man könnte den Abend auch einfach unter ihresgleichen verbringen. Doch so war’s freilich nicht gedacht – und dafür hat auch niemand die 25 Euro „Startgebühr“ bezahlt. Bevor der Spaß also eskaliert, schreitet Moderatorin Steffi ein, drapiert nicht nur die Ladies an Einzeltische, sondern dazu gleich noch Teilnehmerbögen (um Namen, Nummern sowie mögliche Wiedersehenswünsche zu notieren) und Fragenkataloge „als Einstiegshilfe und für Abwechslung im Gespräch“, so Kuhlmann. „Was machst du mit einem Millionengewinn?“, „Was ist deine nächste Fernreise?“, „Welchen Kinofilm mochtest du zuletzt am liebsten?“ – 30 Fragen stehen bereit, wenn der Stress die Worte stocken lässt. Und Stress gibt’s allemal: Vier Minuten hat jede Paarung Zeit, sich zu beschnuppern und erste Eindrücke zu formen, bei 3.30 kündigt Steffi den baldigen Wechsel an. Die Männer rotieren im Raum herum, innerlich gut sichtbar ebenfalls. Hinsetzen, Begrüßung, Namen notieren, Hochgeschwindigkeitssmalltalk, Klingel, der nächste! Auf diese Weise dauert das Event zwei Stunden, „und das reicht dann auch“, findet Patrick Kuhlmann, und man stimmt ihm gerne zu. Der Kopf raucht, die Herren schwitzen, manche, weiß einer zu berichten, waren schon öfter da, richtig entspannt ist trotzdem keiner. Es geht ja auch um viel. Georg war früher gern im Terminal, aber das gibt’s ja jetzt nicht mehr. Stefan sitzt im Ex-Frauen-Haus auf dem Land fest und langweilt sich, Jochen schläft nur vier Stunden, macht aber täglich genau so viel Sport. Nils hat einen Stammtisch in Bamberg, Jens liebt Alpenklettern, Reiner war schon dreimal hier, Richard sprengt vor Stress fast seinen Anzug und Ivan den Rahmen des Erträglichen sowie auch Ralf. Roland liebt Serien, Christoph das Vereinsleben, Johannes Bier. Michael hat keinen Hals, Jürgen Magenschmerzen vor Aufregung und Vlad Probleme, sich ans deutsche Gemüt zu gewöhnen. Puh. Das schlaucht. Doch aus dem Augen- und auch Ohrenwinkel kriegt man mit: Bei manchen fließt die Unterhaltung, möchte gar nicht mehr gestoppt werden, nur unter großer Anstrengung wird der Trennungsklingel Folge geleistet. Doch der Schmerz muss nicht von Dauer sein: Während manche Interimspärchen die Gelegenheit beim Schopfe packen und sich nach Ende des offiziellen Teils in ruhigere Ecken verziehen, bleibt für die anderen noch die Matching-Chance: Per Mail werden später Präferenzen angekreuzt und per Computerautomatik miteinander verglichen. „Wie Tinder, nur in echt“ vermeldet das System nicht nur (anonym), wie viele Gesprächspartner auf ein Wiedersehen hoffen, sondern freilich auch, bei wem der Wunsch auf Gegenseitigkeit beruht. Das Ergebnis des Abends: Jeder Teilnehmer wurde von mindestens einem anderen Teilnehmer angekreuzt. Ca. 75 % der Teilnehmer haben mindestens ein Match. Im Schnitt haben die Teilnehmer zwei Matches, zwei Teilnehmer hatten sogar fünf Matches. Das ist doch gar nicht schlecht. Oder sogar gut: Gelegentlich bekäme er Emails, berichtet Patrick Kuhlmann. „Danke für den Abend“, schreiben sie, „Ich hab jemanden tolles kennengelernt!“ Hochzeitseinladungen gab’s noch keine, Geburtstkarten auch nicht. Aber das kann ja noch werden. „Wir spielen das Format ja erst seit Mitte letzten Jahres“, so Kuhlmann, der das XXL-Speeddating deutschlandweit in 15 Städten anbietet. „Mal schauen, was im Laufe des Jahres noch an Feedback kommt.“

Infos und kommende Termine für Nürnberg: speeddating-xxl.de

 

Was sonst noch so geboten ist:
Face-to-Face Dating
1 Abend, 3 Bars, 18 Leute. 1,5h pro Bar. Offline-Dating, kein Speeddating. Ein 6er-Tisch pro Bar. Keine 1 zu 1 Situationen; 16.90 EUR; face-to-face-dating.de

Jumping Dinner
3-Gänge-Menü in drei Wohnungen für 12 Teilnehmer – jeder Gang in einer anderen Wohnung, jeder Gang mit vier neuen Gesichtern, Abschlussparty mit Begrüßungssekt; 26 Euro; jumpingdinner.de

Freizeit-Treffs
Winterwanderung, Kino- und Museumsbesuche, Stadtführung oder Theater – ein vielfältiges Programm mit Angeboten deutschlandweit bietet auf jeden Fall Ablenkung vom Alleinsein; monatl. Ab 19,90 Euro; freizeit-treffs.de