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Schlamperer, Gerchla und Neustädter Rutscher

Ein Sonntagmorgen im Englischen Garten, einer kleinen Parkanlage irgendwo südlich der Metropolregion. Es graut der Tag, nicht aber die Menschen, die sich hier versammelt haben: Um die 15 000 sind es, alt und jung, in festlichem Gewand, bunt, munter, ausgelassen, manche erst seit dem offiziellen Start um 6 Uhr, sind extra früh aufgestanden, andere wiederum schon seit dem Vorabend. Es wird getanzt: Zwiefacher, Polka, Münchner Française – traditioneller baierischer Volkstanz. Beim „Kocherlball“ erinnern unsere Freunde aus München seit 20 Jahren mit großer Hingabe daran, dass es hierzulande etwas gibt, das tiefverwurzelte Kultur ist – und gleichzeitig völlig in Vergessenheit geraten. Daran, dass sich daran vielleicht etwas ändern könnte, traut sich Steffi Zachmeier nicht direkt zu glauben. Aber Hoffnung aufgeben ist nicht – und deswegen bietet die Nürnberger Volksmusikkoryphäe auch in diesem Jahr erneut unter dem Titel „Fränkisch Tanzen und mehr“ an mehreren, nicht aufeinander aufbauenden Abenden ab September an, sich dem Hopperer und Dreher, dem Schlamperer, Gerchla und Neustädter Rutscher zu nähern.

Als „Anlaufpunkt für Übriggebliebene“ und „damit im Großraum überhaupt noch irgendwas los ist“, sagt Zachmeier und berichtet vom steten Niedergang der Tradition. Volkstanz, das bedeute ja eigentlich nur „das, was die Leut halt tanzen“, in dem Fall: Was die Leut vor 150 jahren getanzt haben, „entsprechend heute vielleicht dem Discofox, den kann ja heute jeder.“ Doch während heute neben Square Dance und Salsa, Swing und African Dance allerlei internationales Kulturgut auf den Tanzparketten gepflegt werden, seien die urtypischsten Schrittfolgen der Region schon kaum mehr nur gleichberechtigt Nischensport, sondern schon eher auf dem besten Ausfallschritt gen Untergang. Das klingt wenig sinnvoll. Zünftig blasmusiken tut’s an allen Ecken von Kapelle bis modern, und ob’s dem Traditionalisten gefallen mag oder nicht – was im weitesten Sinne unter „Tracht“ verstanden wird, hängt längst als Must-Have in allen Schränken statt als Erbstück vor sich hinzustauben. Wohl wahr, weiß auch Steffi Zachmeier, aber „die Bewegungen dazu, die kennt man nicht mehr.“ Denn den konservativen Beigeschmack habe die ureigenste Kultur hier nie überwinden können. Und ja: Denkt man an den „Volkstanz“ der Region, so hat man unweigerlich Bilder im Kopf von Menschen gehobenen Alters, die in altbackenen Trachten beim Kärwazug zwischen Feuerwehr und Bierfassl einen Bändertanz vollführen. Freilich gibt’s das auch – und soll es ja.

Doch „man muss keine Tracht haben, um Volkstanz zu machen“, sagt Steffi Zachmeier, die in schwarzem Top und Jeans von der Selbstverständlichkeit berichtet, mit der sie als Tochter des Volksmusikpflegers Erwin Zachmeier mit dem Kulturgut in Berührung und über musikethnologisches Studium, Straßen- und Kapellenmusik nicht mehr losgekommen ist. Berichtet vom Missbrauch der Nazis aller Volkskultur, vom Generalverdacht, unter dem diese seitdem steht, und dass nach dem Krieg eh der Jazz angesagt war und Swing, dass es Aufschwünge gegeben hat, „Befreiung mit schmissiger Tanzmusik“ wie eben beim „Kocherball“ mit Vorbereitungskursen und großem Hallo, die Franken aber trotz Bemühungen in den 1970er Jahren „nicht geschafft haben, die nächste Generation mit ins Boot zu holen.“ Einzig erfolgreich: Der „Antistadl“ der Bamberger Formation „Boxgalopp“, bei dem erst im Januar die höchst moderne „Volxmusik ist Rock’n’Roll“-Fahne im E-Werk gehisst und zuckenden Beinen und johlenden Kehlen ein Spaß „für Leute, die nie gedacht hätten, dass sie Volksmusik mögen könnten.“

Und mal ernsthaft: Warum eigentlich nicht? Wo auch immer „Macarena“ ertönt, finden sich garantiert sogleich die Menschen ein, denen die immergleiche, minutenlange Schrittfolge in die DNA gebrannt ist. Gleichwohl motorisch anspruchsvoller, doch nicht ebenso wenig von allen Tanzflächen wegzudenken: Der „Freestyle“, mit dem Ende der 90er Jahre ein gewisser Jonny O die Welt beglückte – und seitdem beständig tut. „Und das“, sagt Steffi Zachmeier, „ist ja auch schön und der Reiz an einfachen Sachen: Dass jeder gleich mitmachen kann.“ Nirgendwo sonst sei „die eigene Kultur und Musik so verpönt wie in Deutschland und Franken“, bedauert Zachmeier – dabei ergebe ein „offener Blick über die Grenzen hinweg Verbindungen quer durch Europa und die Welt“, ins Finnische, zum Square und Klezmer, handle es sich zudem um eine „so kraftvolle Musik“, zu denen Bewegungen und Schrittfolgen einfach bis anspruchsvoll, in Gruppen, Paaren oder einzeln und solang der Takt stimmt auch moderne Musik ausgeführt werden kann. „Ich geb mich nicht dem Traum hin, dass wieder jeder Volkstanz kann“, so Zachmeier. Aber dass man vielleicht einmal vorbeischaut auf AEG, live zur Quetschn ausprobiert, was es damit eigentlich auf sich hat – was soll schon passieren außer schlimmstenfalls ein großer, neuer Spaß?

„Fränkisch Tanzen & mehr“, ab 25. September 2019, 19.30-22.00 Uhr, Kulturwerkstatt auf AEG, Fürther Straße 244d, Nürnberg, 8 bzw. 6 Euro; Vorkenntnisse sind nicht erforderlich, die Tänze werden angeleitet. Die Abende bauen nicht aufeinander auf und können einzeln besucht werden. Anmeldung nicht erforderlich. TanzpartnerIn findet sich vor Ort.