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Knastkunst im Kater

Zu Selbstreflexion und Selbstwahrnehmung, könnten böse Zungen meinen, haben inhaftierte und in Untersuchungshaft sitzende Menschen doch bereits ausreichend Gelegenheit. Weil das selbstverständlich mehr als kurz gedacht ist, bemüht sich die JVA Nürnberg stets um besondere Kooperationen, die nur auf den ersten Blick der Zerstreuung dienen. Eine solche Kooperation ist die mit dem Bildenden Künstler und Kunstpädagoge Thomas Mohi. Die Ausstellung „Ich im Knast“ zeigt, wie vielschichtig und anders das mit der Selbstreflexion aussehen kann – und an deren Ende „vielleicht Erkenntnisse über sich selbst stehen.“ Bereits zum zweiten Mal leitete Mohi, normalerweise als Dozent an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät, einen solchen Zeichenkurs an. Waren es beim ersten Mal noch Männer, griffen Ende 2018 zwölf inhaftierte Frauen zu Kohle, Bleistift oder Kugelschreiber, um in zehn Kurseinheiten verschiedene Zeichentechniken kennenzulernen, denn das, so Mohi, „ist der Hauptauftrag: den Insassinnen etwas an die Hand zu geben, womit sie sich beschäftigen können und dabei im besten Fall Lust machen auf Erfolgserlebnisse.“ Handwerkszeug vermitteln, Begreifen übers machen – zweierlei Konzepte führte Thomas Mohi dazu ein: Zum einen das Abmalen von Vorlagen; nicht irgendwelche, sondern Porträts von Rembrandt oder Käthe Kollwitz, die die Frauen nachzeichnen, oder auch schon mal ein Totenschädel. Mit einer Besonderheit: Die Vorlage, so Mohi, stand stets auf dem Kopf, denn so verändere sich die Wahrnehmung und erhöhe die Konzentration. Zum anderen das Erstellen eigener Selbstportraäts, in dem die Frauen mittels eines Plexiglasspiegels (echtes Glas ist verboten!) sich selbst studieren, untersuchen, wahrnehmen und mit unterschiedlichen Materialien wiederzugeben versuchen. Dabei herausgekommen sind über 100 Zeichnungen, die käuflich erwerbbar sind und unterschiedlicher kaum sein könnten. Zwar referieren sie meist auf das selbe Sujet, doch die Ausführungen ist dank verschiedenster Techniken und Materialien variantenreich – und nicht zuletzt dank der Frauen selbst. Plastizität, Anatomie, Proportionen und Licht- und Schattenwirkungen – von der mühsamen Anfertigung bis geübtem leichten Strich ist alles dabei, von Naturtalente bis erste Gehversuche, bei denen nicht immer leicht fällt, zwischen kopierter Vorlage und Selbstportrait zu unterscheiden. Dass gerade letztere oft alles andere als vergnügt dreinschauen, sei freilich primär dem konzentrierten Arbeiten zu verdanken, so Thomas Mohi, der von höchst vergnügten, musikalisch unterlegten Kurseinheiten berichtet. Und aber vor allem auch daran, dass „das Material sehr ehrlich ist: Bleistift versteckt nicht.“ Jeder Strich eine Äußerung, Handschrift der Person, die den Stift führt: „Die Teilnehmerinnen können den Ausdruck kaum verändern, sich nicht hinter Farbe verstecken.“ Auch für ihn, so Mohi, sei die Arbeit in der JVA „ein Spannungsfeld“ gewesen, erzähle die Ausstellung nicht umsonst doppeldeutig vom „Ich im Knast“. Doch freilich geht es vor allem um die Frauen, die zwischen 18 und 55 Jahre alt und wegen unterschiedlichster Delikte inhaftiert sind, vor allem Beschaffungskriminalität spiele eine Rolle. Doch alle seien „hochmotivierte und dankbare Schüler, die alles aufnehmen wie ein trockener Schwamm“ – und auch gerne bei der Ausstellungseröffnung dabei gewesen wären, ihre Werke der Öffentlichkeit präsentiert hätten. Obwohl das freilich nicht möglich ist, hat Mohi seine Eleven doch gewissermaßen mitgebracht: „Die Gruppe „erlöst“ mich für 2 Stunden aus der Einsamkeit“, heißt es da, „Ich habe gelernt, mit anderen Augen zu sehen“, „Ich bin manchmal selbst überrascht über meine Bilder. Doch – eigentlich kann man alles lernen!“ oder „It helps me think about good life!“ Es sind Zitate der Teilnehmerinnen, die Mohi gesammelt und den Bildern zur Seite gestellt hat. Und die zeigen: Selbstreflexion hat viele Gesichter.

 

„Ich im Knast“, bis 22. Juni im Kater Murr, Johannesgasse 14, Nbg, ÖZ Di-Do 14-1, Fr&Sa 14-2 Uhr, kater-murr.com