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Kein Hauch von Oma: DJ stickt modern

Wem sich beim Wort „Sticken“ entsetzt die Haare zu Berge stellen, weil ihn sofort Erinnerungen an die böse Handarbeitslehrerin heimsuchen, der darf sich ab sofort entspannen. Und auch, wem beim Gedanken an die filigrane Tätigkeit sogleich die Füße einschlafen wegen weißer Deckchen oder fröhlicher Landschaftsbilder, soll eines Besseren belehrt werden. Denn dass „Sticken“ etwas sein kann, das ausgesprochen moderne, junge und nicht zu sagen coole Werke hervorbringt, das zeigt ausgerechnet einer, dem man dieses Hobby auf den ersten Blick eher nicht zugerechnet hätte: Stefan Riegauf ist langjähriger Betriebsleiter der Elektrodiskothek „Rakete“, als selbststätiger Plattendreher „DJ Solaris“ hinlänglich bekannt – und Stickart-Künstler.

Wobei er sich schwer tut mit dem „Kunst“-Begriff. Er macht das halt, sagt Stefan Riegauf, und ihm gefällt’s. Anderen auch. Damit dürfte ein Kriterium für „Kunst“ erfüllt sein. Zeit seines Lebens, erzählt der 45-Jährige, habe er sich als eher bis äußerst unkreativen Menschen bezeichnet. Bis zu diesem Moment im Büro der Rakete, als es ein bisschen fad war und Stefan Riegauf die viele Wolle ins Auge sprang, die vor Jahren für Deko-Zwecke bestellt und dann vergessen worden war. Die schnappt sich der DJ sowie einen der unzähligen Kartons der Flyer- und Plakatbestellungen des Hauses und beginnt herumzuspielen. Dabei heraus kommt der Schriftzug einer Raketen-Veranstaltung – hübsch bunt und geometrisch akkurat. Man ist entzückt. „Aus Not und Langeweile heraus hab ich also entdeckt, dass ich doch nicht so unkreativ bin.“ Riegauf gestaltet weitere Buchstaben, Formen, Worte für den Club, bis ein Kollege und Freund den Namen seines kleinen Sohnes zu sticken in Auftrag gibt – und in großer Begeisterung die Idee zu bedenken, eine Ausstellung zu realisieren. Stefan Riegauf hat da die Stick-Art längst für sich entdeckt. Er bildet geometrische Formen und feine Muster, überlegt sich Vorlagen oder lässt die Bilder einfach entstehen beim Entstehen. Dass er so lang und tief versinkt in die Beschäftigung, hat noch einen ganz anderen Grund: Sein ganzes Leben schon leidet der 45-Jährige am „Restless Leg Syndrome“, einer Krankheit, die die Betroffenen niemals zur Ruhe kommen lässt, da sich ein unbezwingbarer Drang einstellt, die Beine zu bewegen, sobald man sich zu entspannen beginnt. „Ich habe entdeckt“, sagt Stefan Riegauf, „dass das Sticken sozusagen meditative Wirkung auf mich hat.“ Jagen ihn die Beine nachts aus dem Bett oder tagsüber vom Schreibtischstuhl, widmet er seine Konzentration den Bildern. Das hilft. So werden es immer mehr Bilder werden, die an immer mehr Freunde verschenkt werden. Riegauf entwickelt und präzisiert seine eigene, akkurate Technik, stickt Sneaker und Bäume mit weitverzweigtem Wurzelwerk, dreidimensionale Formen und quietschbunte Symbole, Mandalas und Blumen und alles, was ihm in den Sinn kommt. Immer mit Wolle, immer noch auf den gleichen Kartons, die er schwarz streicht. Zur ersten Ausstellung im Mai 2017 muss man ihn fast zwingen. Der „Vorraum“ ist voller Menschen, die sind voller Begeisterung. Eine „Versuchsveranstaltung“ mit Freunden und Bekannten war das gewissermaßen, sagt Stefan Riegauf, der jetzt gern wissen, was Menschen zu seiner Stick-Kunst meinen, die ihm nicht nur persönlich zugetan sind. 20 neue Bilder wird es zu sehen geben – und zu erwerben. Das Ergebnis, sagt er, ist ihm freilich nicht so wichtig, handelt es sich doch um ein Hobby, das vor allem ihm selbst gefällt und hilft. Wenngleich ein zeitintensives. Zwei Stunden täglich widmet er seinen Werken, so ein „R“ kann schon mal diese Zeit in Anspruch nehmen, ein ganzes Bild wie „Camouflage“ (Foto) rund 60 Stunden. Dafür steht fest: Wenn jemand eins der Bilder kaufen möchte, bekommt er garantiert ein Unikat. Und noch etwas: Mit „Oma-Kunst“ hat das, was Stefan Riegauf da so stickt, garantiert überhaupt nichts zu tun.

„Stickart Vernissage #2“, Dienstag, 12. Dezember, 19-23 Uhr im „Vorraum“, Klaragasse 8