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"Voll aufgeregt nach London": im zweiten Semester zum Sony Award

Eigentlich hatte Nadine Hackemer das Fotografie-Studium nur angetreten, um ihrem liebsten Hobby mehr Gewicht zu verleihen und das erforderliche Handwerkszeug zu lernen. Jetzt, wenige Monate später, tritt sie plötzlich in London an, um möglicherweise einen der begehrtesten Preise des Metiers entgegen zu nehmen: Als eine von weltweit zehn Finalisten ist die 30-jährige Nürnbergerin für die „Sony World Photography Awards“ in der Kategorie „Student Focus” nominiert. Das macht nicht nur die Fakultät Design der TH Nürnberg glücklich, ist es doch unter 300 Ausbildungsstätten erstmals einer deutschen gelungen, in die sogenannte „Shortlist“ des Wettbewerbs zu kommen. Diese Ehre versetzt Nadine Hackemer gleichsam in Verzückung wie Erstaunen. Im zweiten Semester so eine große Nominierung – „Was ist denn da passiert?“, ist man neugierig, und hört die herrliche Antwort: „Das frag ich mich auch.“  Zehn Meter vor dem Treffpunkt fotografiert Nadine Hackemer schnell noch eine Magnolie in opulenter Blütenpracht. Fotografie, das war schon immer ihrs, seit der Schule „immer ein Thema in meinem Leben“, learning by doing, immer machen. Fürs Studium mit dem sperrigen Namen „International cultural business studies“ ging’s nach Passau, zum Praktikum nach Brasilien, aus sechs Monaten wurde ein Jahr, zurück in Nürnberg dem Wunsch nach journalistischer Arbeit mit einem Volontariat beim Unimagazin „AudiMax“ Rechnung getragen, ein bisschen ins SZ Magazin reingeschnuppert, schließlich eine Redakteursstelle beim Portal „Immowelt“ angetreten, um Artikel zu schreiben und angeschlossene Kanäle zu betreuen. Und zu fotografieren, natürlich. Aus einer Bewerbung bei der Akademie der Bildenden Künste war nichts geworden („Ich hatte keine Ahnung von Mappen – heute weiß ich: Das war grottig.“), doch die grafische Arbeit bei „Immowelt“, da „hab ich Blut geleckt“. Und gemerkt: „Ich möchte handwerklich ausgebildet werden.“ Die Bewerbung bei der TH Nürnberg kam einem Sprung ins kalte Wasser gleich: nach Feierabend Mappe basteln mit der Kunstlehrerfreundin, eingeladen werden, und plötzlich ist man eine Studentin, die das Glück hat, dass die Chefin sie vollauf unterstützt. Studiert man also, Fotografie,Typografie, Grafikdesign, und dann sagt Dozent Oliver Kussinger, man könnte ja als Aufgabenthema im Seminar mal eine Bewerbung für diesen Sony-Wettbewerb versuchen, für den pro Uni nur ein Bild eingesendet werden kann. Gesagt, getan, Thema: Memories. „Ich hatte keine Ahnung, was ich machen soll“, erzählt Nadine Hackemer fröhlich, „Erinnerungen hat ja jeder, aber ich wollte etwas, das nicht gleich ersichtlich ist, den Hirndreh, den Aha-Moment.“ Der kam ihr beim Gespräch mit der Oma über eine neue Tagesdecke. Für die Bettseite vom Opa, seit der 2006 verstorben ist, aus „ganz effektiven Gründen: Sie will nicht so oft waschen.“  Also „hat die Oma alles schön hergerichtet und ist zur Fußpflege gefahren“, während die Enkelin sich am Bild versuchte und alsbald eins namens „Großvater“ in der Uni abgab. Im Dezember 2016, der Prof hatte im Geheimen seine Wahl getroffen, erhält Nadine Hackemer einen Anruf: „Dein Jahr fängt ja gut an“, sagt Oliver Kussinger und liest die Mail von Sony vor: Glückwunsch, beste zehn weltweit, Einladung! „Ich war so verdutzt“, sagt die Nominierte, so viele tolle Fotos haben die Kommilitonen eingereicht, und „ich hatte ja keine Ahnung, was das alles nach sich zieht.“ Eine Schweigepflicht zum einen. Zum anderen die Aufgabe eine zweite Fotoserie „Emotions“ zu erstellen, ein Interview und einen „Behind the Scenes Movie“ anzufertigen. Und gleichzeitig eigentlich in Südafrika zu urlauben. „Ich schaff das“, sagte sich die Studentin, und schaffte eine sehr private, sehr intime Fotoserie, in der sie den Herzinfarkt des Vaters vor sieben Jahren, das Koma, das Aufwachen, die Rückkehr ins Leben nacherzählt und die Gefühle zwischen Angst und Trauer, Hass und Freude, die sie empfand. „Das machen wir!“, rief der Dozent freudig aus. Jetzt also London, am 19. April geht’s los, „voll aufgeregt“ ist die junge Dame, die kein Cocktailkleid hat, dafür einen edlen Jumpsuit, die sich von der krössalen Galaveranstaltung am 20. vor allem nette Kontakte erhofft und gespannt ist auf die Arbeiten der vielen anderen Kategorien, für die aus 183 Ländern 227596 Bilder eingereicht wurden, und sich viel verspricht von dem persönlichen Portfolio-Feedback durch die Jury, das allen Nominierten versprochen ist. Dass das alles, von der gesponserten Kamera für die angeforderte zweite Bilderserie bis hin zum Preis in Form eines 30 000 Euro-Equipments, eine große Sony-Werbeveranstaltung ist, muss wirklich niemanden interessieren. Sondern vielmehr, dass ein kleines Foto aus einer Oma-Wohnung in Langwasser so weit gekommen, bald im ehrwürdig-royalen Londoner Somerset House zu sehen ist – und von dort aus übers Berliner Willy-Brandt-Haus eine Wanderausstellungsweltreise antritt. Darf der Opa noch mal so weit reisen. Da wird er sich bestimmt freuen. So wie Nürnberg sich für Nadine Hackemer. Zweites Semester – also sowas!