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Misswirtschaft und politische Krise - Das Weihnachtsessen fällt in diesem Jahr aus

Ein Venezolaner mit „hallacas“ im Dezember 2012, als es dem Land wirtschaftlich noch gut ging

„Wir können nicht essen, was wir wollen und vor allem nicht, wann wir wollen", sagt Vero Z.* , eine 20-jährige Ingenieur-Studentin aus Venezuelas Hauptstadt Caracas. „Bis jetzt habe ich noch nicht ein mal ‚hallacas' essen können!"

Hallacas, das sind Teigtaschen, gefüllt mit Schweinefleisch oder Hühnchen. Sie gehören zum traditionellen Adventsessen und sind für die Venezolaner so etwas wie der Lebkuchen für die Deutschen. Doch das Maismehl, das zu seiner Herstellung benötigt wird, ist zu teuer geworden. Kaum einem Land haben Misswirtschaft und der Verfall des Ölpreises so stark zugesetzt wie Venezuela. Für den Import von Grundnahrungsmitteln fehlt das Geld, denn rund 96 Prozent der Devisen sind vom Erdöl-Abbau des Landes abhängig.

Falsche Entscheidungen über viele Jahre

Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht, obwohl die OPEC gerade neue Erdöl-Fördergrenzen festgesetzt hat, damit der Ölpreis wieder steigt. Denn zum einen haben die Schulden des Landes astronomische Höhen erreicht; zum anderen hat der südamerikanische Wirtschaftsverbund Mercosur Venezuela ausgeschlossen, wegen des Verstoßes gegen Handelsnormen und demokratische Regeln.

Stundenlang müssen Venezolaner Schlange stehen, um Grundnahrungsmittel und Medikamente zu erhalten. Dabei werden ihre Personalien kontrolliert, um illegalen Handel zu unterbinden

Zu lange hat sich die Regierung in Caracas auf den einst hohen Einnahmen durch den Öl-Export ausgeruht.

► Rückblick: Von 30 Dollar pro Barrel im Jahr 2000 stieg der Preis auf 90 Dollar pro Barrel im Jahr 2008, ein Anstieg um satte 300 Prozent. Der damalige Präsident Hugo Chávez verstaatlichte Unternehmen und führte zahlreiche Sozialprogramme ein. Von 2000 bis 2013 wurde der Anteil der armen Bevölkerung im Land halbiert (von 18 auf 9,8 Prozent).

► Fehler: Niemand verschwendete einen Gedanken daran, die Wirtschaft auch in anderen Bereichen stark zu machen.

► Folge: Weitere Krisen, wie die Anfang des Jahres eingesetzte Dürre, kann das Land nicht mehr kompensieren. Die Sparmaßnahmen der Regierung wie Stromsperren und die Beschränkung von Arbeitszeiten für Beamte wirkten hilflos und verstärkten den Unmut der Bevölkerung.

„Studieren mit Hunger ist keine Lösung" - Studenten bei Demonstrationen im Mai 2016

Seit Beginn des Jahres mobilisiert die politische Rechte gemeinsam mit dem Oppositionsbündnis „Tisch der Demokratischen Einheit" (MUD) die Bevölkerung für ein nationales Referendum. Ihr gemeinsames Ziel: die Absetzung von Präsident Nicolás Maduro.

Doch die Regierung hat die Termine für das Einleiten einer Volksbefragung immer wieder verschoben.

Nicolás Maduro ist seit Amtsantritt deutlich unbeliebter als Chávez. Die politische Linke ist derzeit gespalten, eine linke Alternative gibt es nicht.

Bei den Parlamentswahlen Ende 2015 hatte die Regierungspartei die Mehrheit im Parlament verloren. Der Oberste Gerichtshof erkannte die Zweidrittel-Mehrheit der Oppositionspartei MUD jedoch ab, das Parlament ist seither handlungsunfähig. In der MUD sind verschiedene politische Kräfte und zivilgesellschaftliche Organisationen vertreten.

Was sagen die Menschen?

Der Händler Rodolfo Soto (55) glaubt weiterhin an den sozialistischen Chavismus. Der Chilene floh im Jahr 1982 vor der Diktatur Pinochets. Im heutigen Venezuela fühlt er sich an den „damaligen Wirtschaftskrieg der US-Amerikaner" gegen den chilenischen Präsidenten und Vorgänger Pinochets, Allende, erinnert.

Soto hält die Errungenschaften des venezolanischen Sozialismus hoch: „Bildung zum Null-Tarif gab es vor Chavez nicht!".

Von der Unterdrückung politischer Gegner und einer Einschränkung der Pressefreiheit im Land will er nichts wissen.

Er vertraut zudem in den Dialog, den die Regierung Maduro mit der Opposition in den letzten Wochen aufgenommen hat. „Wir werden positiv aus dieser schwierigen Zeit herausgehen", ist er sich sicher.

Essen müssen sich die Venezolaner seit Mitte 2016 gut einteilen: Nicht immer gibt es alles. Nicht jeden Tag drei Mahlzeiten

Derweil berichtet ein junger Venezolaner in Berlin, dass die Lage in seinem Heimatland „chaotisch wie nie zuvor" sei. Anfang des Jahres war er noch in Caracas. Die Kriminalität sei so hoch, dass man Angst haben müsse, wenn man abends auf den Straßen Caracas' unterwegs sei. Die Kontrollen der Staatsbeamten an der Grenze zu Kolumbien vergleicht er mit Nordkorea. Auch die Korruption floriere.

In einem Hörsaal einer Universität in Caracas fragte ein Professor jüngst die Studentin Vero Z.* und 600 andere Studenten, wer nach der Beendigung des Studiums das Land verlassen wolle. Mehr als die Hälfte hoben die Hand.

*Weil ihr die Kritik an der Regierung in Venezuela zum Verhängnis werden kann, möchte die junge Frau ihren Namen nicht nennen.


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