Im Badezimmer, auf einer karierten Decke, vorm Spiegel, nackt. Ihr Körper ist jung, schön - es ist immer dieselbe Frau. Die Farben ihres Fleisches schwirren, leuchten fast. Ihr Körper scheint kaum fassbar. Und doch ist er omnipräsent. Es ist Marthe (eigentlich Maria), die lange Lebenspartnerin und erst spät geehelichte Gattin des französischen Malers Pierre Bonnard.
Die Ausstellung „Matisse - Bonnard. Es lebe die Malerei!" läuft seit Mitte September im Frankfurter Städel Museum und zeigt die langjährige Freundschaft zweier Männer, die durch ihre Kunst die europäische Avantgarde nachhaltig prägten. Auf der einen Seite Henri Matisse - der gefeierte fauvistische Künstler, der stets wechselnde Frauenakte malte, stark konturiert sowie inszeniert, später flächig, sich selbst oft zitierend. Angeblich solle Pablo Picasso sogar ein Bild von ihm besessen haben - und das hieß was, immerhin duldete dieser sonst niemanden neben sich. Auf der anderen Seite Pierre Bonnard, ein zurückgezogener Charakter, der immer nur seine Frau Marthe malte. Die Szenen sind intim und alltäglich, meist in ihrem französischen Landhaus, durchzogen von einem Hauch Melancholie. Tatsächlich stand sie ihm nie Modell, er schuf sie aus Erinnerungen, wodurch Marthe a la Oscar Wilde'schen Fantasie auf seinen Bildern nie alterte - auch nicht über ihren Tod hinaus.
Die Ausstellung verdeutlicht: Obwohl die beiden Maler in ihrer Herangehensweise und Umsetzung so verschieden waren, verbindet sie mehr als bisher angenommen. Sie schrieben sich unzählige Briefe und inspirierten sich gegenseitig, unter anderem die Postkarte mit dem namensgebenden Spruch „Es lebe die Malerei!". Ihre Motive waren dieselben: Interieur, Stillleben und natürlich Frauenakte. Liebevoll gegenübergestellt leuchtet die Werkschau diese Gemeinsamkeiten hervor, präsentiert die Arbeiten von beiden ausgewogen und stellt sie so einander gegenüber. Die Gemälde von Matisse, in ihrer zunehmenden Fläche und kubistischen Formensprache sind klar verständlich. Bonnards Bilder verlangen hingegen Geduld. Es dauert, um sie zu entschlüsseln, um sich durch das Dickicht der Farbnuancen zu kämpfen. Der Lyriker Durs Grünbein beschreibt dies mit folgenden Worten „Man hat gesagt, jedes der Gemälde Bonnards sei eine Welt für sich. Gemeint war, dass hier einer die Zeit belagert, bis sie sich ihm zu lauter einzelnen Zwischensummen der Dauer verdichtet."
Am Ende bleibt die Frage, wieso Pierre Bonnard nie so bekannt wurde wie Henri Matisse. Das Kuratoren-Team, bestehend aus Felix Krämer und Daniel Zamani, sieht hier die in den 1940er Jahren aufkeimende Kunstkritik als ausschlaggebend. Bonnard sei zu Unrecht zu einem Nebencharakter in der Entwicklung der Moderne herabgestuft worden, vor allem außerhalb Frankreichs und somit schwer in die lineare Abfolge der Avantgardisten einzureihen gewesen. Wahrscheinlich hätte das den scheuen Pierre Bonnard gar nicht gestört. Trubel schien ja sowieso nicht sein Ding zu sein.
In: Frankfurter Rundschau 13.10.2017
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