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Die rosarote Revolution

Pink und Rosa in allen Nuancen sind die Farben der Saison. Wie der Lieblingston von Barbie das geschafft hat? Es hat mit neuen Geschlechterbildern zu tun – aber auch viel mit uralten Traditionen.


Erinnern Sie sich noch an Elle Woods? Mit Tussi-Charme und juristischen Ambitionen mischte die von Reese Witherspoon verkörperte Heldin aus „Natürlich Blond“ 2001 die Jura-Fakultät von Harvard auf. Der Film hätte auch „Natürlich Pink“ heißen können. Denn die Garderobe der Nachwuchsjuristin ist bis heute als Streifzug durch die Farbpalette von Pink bis Puderrosa in Erinnerung geblieben. Elle Woods bewies schon damals: Auch in Rosa & Co kann man klug und selbstbewusst sein.


Sechzehn Jahre später ist diese Botschaft auch in Politik und Mode angekommen. Seit dem Frauenmarsch in Washington Anfang des Jahres sind pinke Strickmützen das Symbol des Widerstands gegen Chauvinismus à la Donald Trump. Auf der Mailänder Fashion Week griff Angela Missoni das textilgewordene Statement auf. In New York zeigten Anna Wintour und Diane von Fürstenberg mit pinkfarbenen Broschen ihre Solidarität mit der Organisation Planned Parenthood, Angela Merkel führt die Regierungsgeschäfte auch mal in pink-, lachs- oder fliederfarbenen Hosenanzügen. Hillary Clinton kämpfte in warmem Magenta um die US-Präsidentschaft, und wenn Theresa May nicht gerade in High Heels mit Leo-Print den Brexit plant, trägt sie Schuhe aus pinkfarbenem Satin.


Pink ist Barbie - und neuerdings politisch

Das US-Unternehmen Pantone, auf dessen Farbsystem und Trendprognosen die Modeindustrie schwört, listet unter dem Stichwort „Pink“ fast 100 Nuancen von hauchzartem Rosé bis zu warmen Lila-Tönen auf. Sie alle bilden das Farbspektrum eines neuen gesellschaftspolitischen Bewusstseins: Im Onlineshop Etsy gibt es rosafarbene T-Shirts mit „Pussies against Trump“-Aufdruck, bei H&M und Zara hängen Tüllröcke neben Kapuzenpullis in Puderrosa, auf denen „Girl Power“ prangt. Das Logo der schwedischen Partei „Feministiskt initiativ“ erstrahlt in Pink; jenes von Demo, einer 2016 gegründeten Initiative zur Politisierung von Jugendlichen, in hellem Rosa.


Die Farbe sei von der Spielzeug- und Kindermodeindustrie zur Barbie-Farbe stilisiert worden, meint Demo-Gründerin Mareike Nieberding, und passe eigentlich gar nicht zu einer politischen Bewegung. Genau deshalb habe sie sich dafür entschieden: „Wir wollen dafür sorgen, dass Pink wieder Punk, dass Rosa auch politisch sein kann. Wenn Rosa für Weiblichkeit steht, dann kann es auch für Politik und für politisches Denken und Handeln stehen, weil Frausein per se ja immer noch politisch ist.“


Mit dem Klischee der Mädchenfarbe bricht Pop-Ikone Rihanna, nebenberuflich Designerin für Puma, in ihrer gerade erschienenen Frühjahrskollektion. Ihre rosa schimmernden Overalls, Kapuzenpullis und Korsagen entwarf sie für Frauen und Männer. Kein Wunder, schließlich diente die Vorstellung von Marie Antoinette im Fitnessstudio als Inspiration. Und die kleidete im 18. Jahrhundert nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Sohn Louis Charles gern in rosafarbene Gewänder.


Hätte die königliche Stil-Pionierin die Entstehung von Fitnessstudios noch erlebt, wäre sie auf der Suche nach angemessenem Schuhwerk fündig geworden. In den aktuellen Kollektionen von Adidas bis Christian Louboutin erstrahlen auch Turnschuhe in glitzerndem Rosa und leuchtendem Pink. Die Anzüge in hellem Rosa, in denen Gucci-Designer Alessandro Michele in diesem Frühjahr Männer sieht, erinnern an den Titelhelden von F. Scott Fitzgeralds „Der große Gatsby“, der schon 1925 im rosa Anzug um seine Daisy kämpfte und damit Trendgespür bewies. „Echte Männer tragen in diesem Frühling Pink“, befand kürzlich die Online-Boutique für Herren MrPorter.com.


Der kanadische Rapper Drake etwa trägt Daunenmantel, Pelzjacke, Sonnenbrille und sogar Fußballtrikot in Zuckerwatte-Rosa. Das Trikot von Juventus Turin aus der Saison 2015/16, in dem Drake vergangenes Jahr auf Instagram posierte, steht ganz in der Tradition des 1897 gegründeten Vereins: Dessen Spieler liefen in den ersten sechs Jahren seines Bestehens in Rosa auf. Fast ein Jahrhundert später, 1977, gewann die Mannschaft des HSV in pinkfarbenen Trikots den Europapokal der Pokalsieger. 2016 folgte die Neuauflage, die auch Kritik erntete: „Zu weiblich“ fand mancher Fan das Trikot. Ähnliches bekommen die Spieler des Hertha BSC zu hören, wenn sie in ihren pinkfarbenen Ausweichtrikots zu Auswärtsspielen antreten.


Rosa war früher auch Männersache

Dabei war Rosa bis ins 18. Jahrhundert auch Männersache. „Stoffe rot zu färben war teuer und das männliche Geschlecht höher angesehen als das weibliche. Deshalb wurden Jungen in Rot oder im ‚kleinen Rot‘, also in Rosa, gekleidet“, erklärt Dr. Ulrike Wegener, Kunsthistorikerin mit Schwerpunkt Modegeschichte und Dozentin an der Akademie für Mode und Design in Berlin. Auch die Assoziation von Rot mit Blut, Krieg und Gewalt ließ die Farbe lange als für Männer prädestiniert gelten. In stark christlich geprägten Regionen wurde Blau zudem mit dem Mantel Marias, der Mutter Gottes, assoziiert. Hellblau, das „kleine Blau“, galt damit eher als Mädchenfarbe, so Wegener.


Ein generelles Farbdiktat habe es aber nicht gegeben: „Noch im Rokoko waren Pastellfarben wie Hellblau und Rosa sehr populär – und zwar bei beiden Geschlechtern.“ Erst mit der Französischen Revolution setzten sich in der Männerkleidung dunkle Farben durch; zarte Pastelltöne wurden nur noch von Frauen getragen. Das Blau-Rosa-Schema, das heute durch viele Köpfe geistert, sei erst mit der Konsumkultur der 1950er-Jahre entstanden: Das Mantra angeblicher Jungen- und Mädchenfarben verhieß für die Mode- und Spielzeugindustrie nun doppelten Absatz.


Warum Rosa den Mädchen zugeordnet wurde, weiß niemand so genau. Unbestritten ist aber der Einfluss einer First Lady, die ihre Farbleidenschaft so exzessiv auslebte, dass das Weiße Haus während der Amtszeit ihres Gatten in „The Pink Palace“ umgetauft wurde. Mamie Eisenhower trug nicht nur rosa- und pinkfarbene Kleider, sondern richtete ab 1953 auch das präsidiale Domizil in ihrer Lieblingsfarbe ein. Bald nannte man Puderrosa in den USA nur noch „Mamie Pink“ oder auch „First Lady Pink“. Die Outfits und Einrichtungsideen der Präsidentengattin wurden landesweit kopiert.


Und dann kam Barbie. In den folgenden Jahrzehnten ließ sie zusammen mit Hello Kitty, Polly Pocket, Prinzessin Lillifee und unzähligen anderen Spielzeugserien durch kluges Merchandising rosarote Mädchenwelten entstehen. Das schreckte engagierte Frauen wie Evelyn Lauder jedoch nicht ab. Seit 1992 ist die pinkfarbene Schleife das weltweit bekannte Symbol von Lauders Brustkrebs-Initiative. Auch Provokation macht sich gut in Pink, das wusste Charlotte Roches Verlag schon 2008 und gestaltete das Cover ihres Romans „Feuchtgebiete“ in der Signalfarbe. Zwei Jahre später rappte sich Nicki Minaj mit „Pink Friday“ in die Charts und etablierte ihren „Barbie-Feminismus“, der rosa Mädchenkitsch mit selbstbewusstem Sex-Appeal vereint.


Dass am jährlichen Weltmädchentag, der auf die Situation von Mädchen in Entwicklungsländern aufmerksam machen soll, weltweit Gebäude und Plätze in pinkfarbenem Scheinwerferlicht erstrahlen, ruft trotzdem Kritikerinnen auf den Plan: Die Farbe stehe für schutzbedürftige, niedliche Mädchen und „weniger für eine Welt, in der auch Jungen Pink tragen dürfen und Frauen die Wirtschaft prägen“, befand 2015 die Organisation „Pinkstinks“, die jedes Jahr aufs Neue gegen diese Farbwahl protestiert.


Fast scheint es, als hielten solche Stimmen vehementer als alle anderen am vermeintlichen Farb-Diktat fest. Die Palette zwischen Knallpink und Blassrosa kann heute alles zwischen Politik und Polly Pocket umfassen. Die Filmfigur Elle Woods wusste das schon vor sechzehn Jahren. Deshalb überreichte sie auch ganz souverän einem Harvard-Professor ihre Bewerbungsmappe. Die war, Sie ahnen es, natürlich pink.

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