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„What I eat in a day"-Videos: Hilfreich oder gefährlicher Trend?

Früher holte man sich Diät-Tipps aus „Frauenmagazinen". Heute schauen sich Teens und junge Erwachsene Ernährungsweisen direkt bei ihren Lieblings-Influencer*innen oder Supermodels ab. Auf Youtube und Tiktok feiern sogenannte „What I Eat In A Day"-Videos riesige Erfolge. Doch diese könnten Essstörungen triggern und seien oft alles andere als gesund, warnt eine Suchttherapeutin.


Was sind „What I Eat In A Day"-Videos?

„What I Eat In A Day"-Videos sind wie eine Art klassisches Ernährungstagebuch gestaltet. Die Protagonist*innen filmen, was sie über einen Tag verteilt essen. Oft mit genauer Rezeptanleitung und Zubereitung. Zu Tausenden finden sich diese Videos auf sozialen Medien, allen voran auf Youtube. Dort gibt es diese Videoform schon seit einigen Jahren, mittlerweile existiert sie in vielen verschiedenen Ausführungen. Videotagebücher, die einen beispielhaften Tag oder eine ganze Woche an Mahlzeiten beinhalten. Frühstücks- oder Abendesseneditionen. Videos, die auf bestimmte Ernährungsweisen wie komplett vegan oder vegetarisch ausgelegt sind oder sich mit der Keto- oder Paleodiät befassen. Auch auf Instagram und Tiktok sind diese Tagebücher mittlerweile ein Trend. Dort allerdings als stark verkürzte Version mit maximal einer Minute Länge aber nach dem gleichen Prinzip.

Was auffällt: „Normale" Körperformen oder Übergewichtige finden hier so gut wie nicht statt. Meist stammen die „Food Diaries" von Fitnessinfluencer*innen und Models, die ihre perfekt geformten Körper in knappen Bikinis (oder in der männlichen Version mit nacktem Sixpack präsentieren. Je gesellschaftskonform „schöner", also schlanker und durchtrainierter die Person, desto erfolgreicher. Videos von Stars, darunter bekannte Schauspielerinnen oder von Topmodels wie Romee Stijd, haben besonders hohe Klickzahlen.



Warum sind diese Videos so beliebt?
„What I Eat In A Day“-Videos funktionieren nach einem simplen Prinzip. Sie sind eine Art Gebrauchsanweisung, die einem klaren Ziel folgen. Bei Supermodel Rommee Strijd wäre das etwa das Versprechen: Wenn du dich ernährst wie ich, kannst du genauso schlank, schön und erfolgreich sein. Dass das niederländische Model mit einer Körpergröße von 1,81 Meter einen ganz anderen Körperbau hat als eine kleinere Frau, wird dabei außen vorgelassen. Auch, dass sie neben ihrer strikten Ernährung mehrmals die Woche mit einem Personaltrainer trainiert und mit dem Modeln ihr Geld verdient.   Zum Erfolg trägt auch bei, dass Influencer*innen wie Strijd mit ihren Videos eine vermeintliche Nähe zu ihren Fans aufbauen. Dabei stillt der Einblick in das Privatleben nicht nur den Voyeurismus der Zuschauenden. Er sorgt auch dafür, dass Youtube-Persönlichkeiten wie Strijd als Vertrauensperson gesehen werden – ähnlich einer guten Freundin.


 Können „What I Eat In A Day"-Videos gefährlich sein?

Erst mal wirken diese Ernährungstagebücher nicht besonders besorgniserregend. Schließlich drehen sie sich einfach nur um gesundes Essen, oder? Das Problem ist aber, dass die Zielgruppe auf Plattformen wie Tiktok und Youtube oft aus sehr jungen, hauptsächlich weiblichen Zuschauerinnen besteht. Und die sind besonders beeinflussbar. So hat eine australische Studie aus dem Jahr 2019 festgestellt, dass die Nutzung von Social Media schon das Essverhalten von 13- bis 14-Jährigen verändert. Und das ist laut Ernährungswissenschaftlerin Dr. Verena Haas genau der Zeitpunkt, indem auch Magersucht entsteht. Haas arbeitet im Essstörungsschwerpunkt in der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Charité. „What I Eay In A Day"-Videos sieht sie entsprechend sehr kritisch.

Die Ernährungsformen, die in vielen solcher Videos gezeigt würden, seien zwar meist nicht unbedingt typisch für Magersüchtige - die Auswahl der gezeigten Lebensmittel aber eher fettarm und die Portionen für eine aktiv Sporttreibende oft sehr klein. Doch Essstörungen wie eine Magersucht fangen eben oft genau damit an: Dass sich Betroffene ein bisschen gesünder ernähren, ein bisschen abnehmen wollen. Wenn dann eine genetische Voraussetzung vorläge, eine Magersucht zu entwickeln, könnten solche Ernährungstagebücher einen Trigger darstellen, ist Haas überzeugt.

Das vermeintlich gesunde Essverhalten ist nur schwer umsetzbar - und oft Werbung

Das bestätigt auch Suchttherapeutin Martina Hartmann gegenüber FITBOOK: „In unseren Gruppen gibt es viele Betroffene, die regelmäßig von solchen Influencerinnen berichten." Hartmann arbeitet im Berliner Beratungszentrum für Essstörungen „ Dick und Dünn e.V ". Durch ihre Arbeit mit junge Mädchen weiß sie, dass viele durch den Konsum solcher Videos in ein orthorektisches Essverhalten hineinrutschen. Orthorexie bezeichnet eine Sucht, bei der Betroffene auf möglichst gesundes Essen fixiert sind. Spaß oder eine ungezwungene Umgang mit Ernährung geht verloren.


Viele „What I Eat In A Day"-Videos teilen Essen in gut und böse ein

Hartmann glaubt, dass diese digitalen Ernährungstagebücher nur selten die reale Ernährung der Influencer*innen widerspiegeln. „Wir haben genug Betroffene in den Gruppen, die so etwas früher selbst gemacht haben." Die Dinge, die nach dem Abfilmen der hypergesunden Superfood-Bowl wirklich gegessen werden, werden nicht gezeigt. Es wird eine cleane, disziplinierte Ernährung vorgegaukelt. Die frustriert Zuschauende extrem, da diese eine derartig gesunde Ernährung in der Regel nicht hinbekommen", erläutert die Suchttherapeutin. Viele dieser Videos täten nichts anderes als das, was auch jede Diät tut: Nämlich Essen in „Gut" und „Böse" zu unterteilen. Der selbstgemachte, aufwendig verzierte Haferbrei am Morgen ist gut. Das Weißmehl-Toastbrot oder die gezuckerten Cornflakes? Gift. „Junge Mädchen, die ohnehin eine Neigung zur Perfektion haben und gefährdet sind, eine Magersucht zu entwickeln, verbringen Stunden damit, ihre Bowls exzessiv zu dekorieren", sagt Hartmann. So würden es ihr viele Eltern von Betroffenen schildern. Das Essen wird inszeniert, muss perfekt sein.

Eine Hilfe zu einem entspannten Verhältnis zum Essen zu finden, sind viele dieser Videos deshalb nicht. Zuschauende vergleichen sich mit den scheinbar perfekten Vorbildern, erleben sich selbst aber regelmäßig an deren strikter Ernährung scheitern. „Wer das oft genug erlebt hat, dreht die Schraube der Rigidität einfach an. Noch gesündere Mahlzeiten, noch kleinere Portionen, noch weniger Kohlenhydrate. Was am Ende aufgrund des Mangels zu Essattacken wird", mahnt die Suchttherapeutin.


Gibt es auch positive Beispiele für Ernährungstagebücher?

Trotz der Gefahren, die solche Ernährungstagebücher für junge Menschen bergen können, gibt es auch positive Beispiele. Etwa Videos, die Menschen die Ernährungsgewohnheiten aus verschiedenen Kulturkreisen näher bringen und sie damit animieren, neue Dinge zu probieren. Videos, die nicht auf Gewichtsabnahme abzielen, sondern Zuschauende zu einem entspannteren Verhältnis mit Essen führen sollen. Videos, die bei einer Ernährungsumstellung Inspiration für ausgewogene Rezepte bieten. Etwa für Menschen, die auf eine pflanzliche Ernährung umschwenken wollen.


Foodbloggerin Amina lässt ihren Körper nicht zum Mittelpunkt ihrer Videos werden 

Aber wie beeinflusst das ständige Filmen Aminas eigenes Verhältnis zu Nahrung? „Ich gebe mir schon ein bisschen mehr Mühe beim Anrichten. Ich achte besonders auf die Ausleuchtung und mache mir vorher Gedanken, welche Rezepte cool wären. Aber ansonsten spiegeln diese Videos mein Essverhalten ziemlich wahrheitsgetreu wieder."

Schwierig sei es nur, wenn sie beispielsweise ein reines Frühstücksvideo filmen würde. Da sie alleine wohne und die Rezepte teste, müsse sie sich in dieser Woche dann eben hauptsächlich von Frühstückssachen ernähren. „Mein Kanal ist in erster Linie ein Foodblog und kein Ernährungsratgeber", stellt Amina klar.

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