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Lemonade und die Frauen: Womit Insurtechs punkten können

Das StartUp Lemonade wirbt damit, dass es besonders attraktiv für Frauen wirkt. Jeder zweite Vertrag wird von einer Versicherungsnehmerin abgeschlossen. Doch ist dies ein Alleinstellungsmerkmal von Lemonade oder steckt hinter diesem Trend mehr als das bloße Interesse an Versicherung?


Ladylike, Ladyprotect oder Womencare heißen die Produkte klassischer Versicherer, die sich nach eigenen Angaben an die "moderne Frau" richten. Sie sichern Risiken von Brustkrebs über Unfälle oder Krankheit ab, werden in pinken oder lila Farben beworben und sollen frauenspezifische Risiken wie beispielsweise Brustkrebs absichern. Mit der modernen Frau hat das Image, was Anbieter mit ihren Produkten nähren, jedoch wenig zu tun. Es nährt eher überholte Klischees.


Wie die moderne Frau wirklich tickt


Diese Schlussfolgerung entsteht unweigerlich nach einem Blick darauf, wie moderne Frauen sich zur Frage von Finanzdienstleistungen verhalten. So veranstaltet die Zeitschrift Brigitte vor wenigen Wochen ein Finanzsymposium. Thema dieser Veranstaltung ist nicht nur die Frage, warum viele Frauen sich in finanziellen Angelegenheiten nicht mündig verhalten. 


In Workshops werden die Teilnehmerinnen zu unterschiedlichen Finanzthemen geschult und zu mehr Souveränität geführt. Verhandlungsführung, Versicherungen und Investments stehen genauso auf der Tagesordnung wie Netzwerken und Austausch mit Anderen - und ja: Es geht auch um die Frage, wie man die Finanzen in einer Partnerschaft regelt.


Die Zeiten der finanziell zurückhaltenden Frau, die spezielle Produkte für ihre Risiken benötigt, scheinen also vorbei. Dreiviertel der Frauen bestreiten laut statistischem Bundesamt ihren Lebensunterhalt selbst. Als nächstem Schritt der Emanzipation steht die Frage der Finanzen auf der Agenda. Eine der führenden Botschafterinnen dieser Bewegung ist neben der Grande Dame Helma Sick das junge Portal Madame Moneypenny.


Selbstbewusstsein statt Klischee ist gewünscht


Hinter diesem steht Natascha Wegelin. Die Berlinerin ist keine Finanzberaterin, sondern hat aufgrund ihrer Erfahrungen als Verbraucherin ein Portal ins Leben gerufen, was Frauen in die finanzielle Freiheit begleiten soll. 


Finanzielle Bildung für Frauen macht Wegelin mit ihrer Initiative sexy und nimmt Frauen die Furcht vor dem angestaubten Thema ohne Klischees zu bedienen. Ein Kernthema, was man in diesen Kreisen immer wieder liest oder hört, sind Fuck-Off-Konten oder -Gelder, die einzig dazu dienen, jederzeit frei darüber entscheiden zu können, wie man arbeiten und leben möchte.


Dies ist nur eins von vielen Beispielen, die unter den Begriff der finanziellen Emanzipation oder auch des Women Empowerment fallen. Hierunter sind zwei Bewegungen zu verstehen, die seit einigen Jahren durch Amerika schwappen und nun verstärkt in Deutschland dazu führen, Fuss zu fassen. 


Grund dafür sind der Wunsch nach mehr Selbstbestimmung, dem gewandelten Selbstverständnis erfolgreicher Frauen und der Überzeugung, die Dinge selbst regeln zu können. So berichtet beispielsweise Julia Ballerstädt für die Barbara von ihren eigenen Erfahrungen und erläutert, warum es für Frauen wichtig ist, sich um ihre Finanzen zu kümmern. Das unstrittigste Argument, was auch Experten immer wieder predigen, ist hier die Gefahr vor möglicher Altersarmut.


Warum Frauen Lemonade lieben


Lemonade ist das erste Unternehmen, was nicht auf Frauen als Kernzielgruppe abzielt und diese doch vermehrt anspricht. So berichtet Pressesprecherin Yael Wissner-Levy im Unternehmensblog darüber, dass jeder zweite Versicherungsnehmer weiblich ist. Als Grund führt sie Bewertungen von bestehenden Kunden ins Feld. 


Diese loben beispielsweise den Aspekt, das Gemeinwohl zu unterstützen, oder die einfache Bedienbarkeit des Angebots. Wissner-Levy schreibt weiter, dass es eine Frage des respektvollen Umgangs sei und Kunden offensichtlich anhand der einfachen Prozesse besser verstehen, wozu sie sich entschließen.


Diese Argument hält Lemonade jedoch nicht exklusiv. Auf Anfrage von Cash. haben auch einige deutsche Insurtechs Einblick in ihre Zahlen gegeben. Die überraschendste Antwort kommt aus Berlin. Friendsurance antwortet befragt dazu, wie sich das Geschlechterverhältnis zwischen Männern und Frauen zusammensetze, dass 60 Prozent der Kunden männlich und 40 Prozent weiblich seien. Ähnlich sieht es auch bei Getsafe aus. Dort ist nach Aussage der Pressesprecherin etwa jeder zweite Versicherungsnehmer weiblich. Bei 

Knip sind es nur 15 Prozent. 


Unabhängig in jeder Hinsicht 


Ein Grund für diese Verteilung könnte im Produktangebot liegen. Knip tritt als Versicherungsmakler auf. Die beiden anderen Insurtechs sind eigenständige Unternehmen, die Versicherungen vertreiben. Genau hier könnte ein Antrieb für Frauen liegen, sich mit Produktgeber zu befassen. 


Folgt man den Ausführungen von Helma Sick, Natascha Wegelin und anderen, dann ist ein zentraler Ratschlag an die Frauen sinngemäß die Aufforderung, sich neutrale und unabhängige Beratung zu suchen.


Dementsprechend sind Versicherungsmakler das Höchste der Gefühle. Abschluss- und Vertriebskosten schrecken einige Frauen beim Abschluss eines Versicherungsvertrags ebenso wie das schlechte Image der Branche. Die Hab-Acht-Stellung ist nicht selten bei Beratungsgesprächen geweckt.


Genau in diese Lücke stoßen nun Insurtechs vor. Sie bieten leicht zu verstehende Produkte, die ohne großen Aufwand abgeschlossen werden können und Sicherheit bieten. Dieses selbstbestimmte Handeln ohne die Notwendigkeit, sich mit einem Vermittler auseinander zu setzen, besitzt Vor- wie auch Nachteile:


Der kritische Punkt bei diesem Handeln besteht darin, dass ein hohes Wissen über die Funktionsweise von Versicherungen und mögliche Fallstricke nötig sind, um mögliche Risiken zu erkennen und gegebenenfalls ausschließen zu können. Den Aufwand, sich dieses Wissen proaktiv anzueignen, betreiben jedoch viele Frauen gerne, weil sie es bedingt durch ihre berufliche Entwicklung bereits gewöhnt sind. 


Was Insurtechs nun wirklich als klassische Versicherer besser schaffen 


Diese Ausführungen sind jedoch lediglich ein weiteres Beispiel zur Frage, was Versicherer von den jungen Unternehmen lernen können. Allem voran geht es um mehr als das Bemühen näher am Kunden zu sein. 


Klassische Versicherer besitzen nicht selten bedingt durch ihre Strukturen und ihre Präsenz am Markt nicht die Möglichkeit mithilfe von einem Tarif alle Kunden versichern zu können. Grund dafür ist auch der Anspruch, den Kunden an diese Unternehmen stellen:


Wer bei einem klassischen Versicherungsunternehmen kauft, der ist auf Sicherheit bedacht. Kunden sind dann nur bedingt dazu bereit, Experimente oder Risiken einzugehen. Im Gegenzug dafür geben sie bereitwillig Gelder für Beratung und Vermittlung des Vertrags an ihren persönlichen Ansprechpartner und verbinden damit eine gewisse Anspruchshaltung wie beispielsweise Hilfe im Schadensfall zu erhalten. 


Auch für diese Form der Nähe zum Kunden gibt es einen Markt, den Insurtechs nicht bedienen können und wollen. Direktversicherer schließen diese Lücken für klassische Versicherer nur bedingt, da sie oft nicht an der Lebenswelt junger Kunden ausgerichtet sind und sich an deren Werten orientieren. 


Insurtechs machen dies deutlich besser, indem sie in der Regel kundenzentriert arbeiten. Dies bedeutet, dass sie den Kunden in den Mittelpunkt des Geschäftsmodells stellen und anhand dessen Lebenssituation und Einstellungen versuchen, ihr Produkt als Lösung zu kommunizieren. 


Was der Vertrieb daraus lernen kann 


Diese Lücke können nun freie Makler ihrerseits nutzen, um die Kommunikation anzupassen. Neben den technologischen Hürden, die beispielsweise bei Sprachsteuerung und Bots entstehen, bedeutet dies jedoch auch, sich nicht länger als Dienstleister zu verstehen, sondern als handelnder Lösungsanbieter aufzutreten. Teil dessen ist es, die Sprache zu verändern.


Erste Initiativen dazu finden sich bei Versicherern, die ihre Versicherungsbedingungen reduzieren und den Abschluss beispielsweise per Sprachsteuerung anbieten. Die Deutsche Familienversicherung orientiert sich hier ebenso wie auch die ERGO in eine neue Richtung. Ob dies ausreicht, um Insurtechs im Kampf um junge Kunden das Wasser zu reichen, wird abzuwarten sein. Bislang wähnen die meisten jungen Versicherer in ihrem Selbstverständnis als Technologieunternehmen mit der Lizenz zur Vermittlung von Finanzdienstleistungen das Pfund in ihrer Hand. 


Wissenschaftliche Modelle zur Entwicklung von Innovationen widersprechen diesen jedoch, wenn sie davon ausgehen, dass das lineare Wachstum an einem bestimmten Punkt durch Exponentielles abgelöst werden. Somit liegt das Momentum bei den großen Unternehmen und ihren Vermittlern, die entstandene Lücke durch Aktivitäten zu schließen und so ihren Stammmarkt zu verteidigen. 


Foto: Lemonade

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