Katharina Finke

journalist & non-fiction author

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Bhutan: Streben nach Glück

"Gross National Happiness", zu Deutsch: "Bruttosozialglück" heißt die Staatsphilosophie in Bhutan, bei der es darum geht, möglichst viele Menschen glücklich zu machen und ein Gleichgewicht zwischen Materialismus und Spiritualität zu schaffen.

Bereits 1972 sagte König Jigme Dorje Wangchuck: "Streben nach Bruttosozialglück zählt mehr als das Bruttoinlandsprodukt" und erklärte die Zufriedenheit der Bürger zum obersten Staatsziel. Allerdings lässt sich Happiness nicht verordnen. Aber die Regierung kann entsprechende Rahmenbedingungen für Natur, Kultur, Politik und Wirtschaft schaffen. Schutz von Kultur und Natur stehen dabei ganz weit oben. Auch eine gute Staatsführung soll zum Glück beitragen. Damit sich die Gesellschaft frei von Unterdrückungen, Ungerechtigkeiten und Aggressionen entwickeln kann, soll Bhutan zudem wirtschaftlich unabhängiger vom Ausland werden.

In der Tat hat sich seit der Öffnung des Landes in den sechziger Jahren einiges verbessert: die Infrastruktur, die Gesundheitsversorgung, das Bildungsniveau und auch das Bruttoinlandsprodukt; die Lebenserwartung stieg von 40 auf fast 60 Jahre. Kein Wunder also, dass der Wert des Human Development Index, der Maßstab der Vereinten Nationen für den Entwicklungsstand eines Landes, rapide steigt und 2008 sogar Indien überholt hat.

Seit kurzem gibt es eine Verfassung, und als Jigme Khesar Namgya Wangchuk 2008 den Thron seines Vaters übernahm, führte er auf dessen Wunsch die konstitutionelle Monarchie ein, überließ einen Teil seiner Macht dem Parlament.

Die Wirklichkeit in Bhutan ist allerdings nicht ganz so idyllisch: Ein Fünftel der Bevölkerung lebt in Armut, Korruption ist weit verbreitet. Das größte Problem ist allerdings die Dominanz der Ngalongs, der Volksgruppe, der auch die Königsfamilie angehört. Die Ngalongs waren im 9./10. Jahrhundert aus Tibet nach Bhutan eingewandert, das aber schon von indischen Volksgruppen besiedelt war.

Seit dem 19. Jahrhundert wanderten kontinuierlich Nepalis ein, die auf der Suche nach kultivierbarem Land waren. Sie waren keine Buddhisten, sondern Hindus, sorgten für Unruhe, bestanden auf Bürgerrechten und forderten in den Fünfzigern, angeregt durch den Unabhängigkeitskampf in Indien, demokratische Rechte. Das führte zu stetigen militärischen Einsätzen, bis der Ngalong-König schließlich 1958 die Grenzen dichtmachte. Er sah die Ngalong-Tradition durch die Nepalis bedroht und erließ 1985 ein Gesetz, nach dem jeder Einwohner Bhutans nachweisen musste, dass er schon vor 1958 offiziell in Bhutan registriert war, wenn er die Staatsbürgerschaft haben wollte. Damit nicht genug: Der König befahl die Anpassung aller Einwohner an die Ngalong-Kultur, inklusive des Tragens der Nationaltracht.

Sprache und Religion (Mahayana-Buddhismus) der Ngalongs wurden Staatsdoktrin. Das löste Unruhen in Südbhutan aus. Dagegen ging der König militärisch vor und entsandte 1991 eine Einheit, die die Nepalis einschüchterte, zu Auswanderungserklärungen zwang und einen Großteil vertrieb.

Insgesamt flohen knapp 100.000 Menschen nach Nepal. Dort leben sie noch heute in Flüchtlingslagern, da vielen der nepalesische Pass und somit die Bürgerrechte verweigert werden. 1993 schuf die bhutanische Regierung ein Komitee, das die Flüchtlinge in echte, emigrierte, kriminelle und Nicht-Bhutaner kategorisierte.

Zehn Jahre später wollte Bhutan sogar alle außer den Nicht-Bhutanern wieder aufnehmen. Doch als kurz darauf ein Komitee-Mitarbeiter von Flüchtlingen attackiert wurde, brach die Regierung die Verhandlungen ab und hat sie bis heute nicht wieder aufgenommen.

Artikel erschienen: Oktober 2009

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