Katharina Finke

journalist & non-fiction author

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Amerikanische Träume

New York Das Colors ist das erste genossenschaftlich geführte Restaurant Manhattans. Ziel ist es, Migranten respekt­voller zu behandeln. Seine Geschichte ist eng mit 9/11 verwoben

Als vor zehn Jahren der Arbeitsplatz von Fekkak Mamdouh in Flammen aufging, lag er daheim im Bett. Er arbeitete damals als Kellner im Windows on the World, einem Nobelrestaurant im 106. und 107. Stockwerk des Nordturms des World Trade Centers. Am 11. September 2001 hatte Mamdouh Spätdienst und schlief morgens länger. "Meine Schwester rief mich an, ich schaltete den Fernseher ein und sah, wie alles in Flammen stand", erinnert er sich. Die gesamte Frühschicht des Windows on the World starb bei den Terroranschlägen, 73 Menschen.

Wenn man Mamdouh heute an seinem Arbeitsplatz besuchen will, muss man von der Baustelle am Ground Zero ein ganzes Stück nach Norden laufen. In der Nähe des Washington Square findet sich ein eher unscheinbar wirkendes Restaurant mit Glastüren. Aber das Colors ist kein gewöhnliches Lokal. Es hat eine besondere Geschichte, die auch die von Mamdouh ist. Sie erzählt, wie aus den Trümmern der Katastrophe etwas Neues geschaffen wurde.

Gegründet wurde das Colors vor fünf Jahren von 58 Überlebenden des Windows on the World, Einwanderern aus über 20 verschiedenen Ländern, die durch das Unglück ihren Job verloren hatten. Als Immigranten mit dunkler Hautfarbe hatten sie es nach den Anschlägen nicht nur besonders schwer, wieder Arbeit zu finden, oft wurden sie auch zur Zielscheibe von Anfeindungen. Um für ihre Rechte zu kämpfen, schlossen sie sich zusammen und gründeten ein Restaurant, das sich unterscheiden sollte von den anderen in Manhattan - es sollte fair, sozial und immigrantenfreundlich sein. Das Colors war 2006 das erste von einer Arbeiter-Kooperative geführte Restaurant in Manhattan.

Tritt man durch die Glastüren ein, gelangt man in einen langgestreckten Raum, der im Art-déco-Stil gehalten ist. Wände und Interieur sind aus dunklem Holz. Nur Details deuten auf den multikulturellen Einfluss hin. An der Wand hängt eine Weltkarte, es läuft lateinamerikanische Musik. Das Personal stammt von überall her: Mitbegründer Mamdouh ist in Marokko geboren, Managerin Shardha Young kommt aus Papa-Neuginea und Hilfskoch Oscar Galindo aus Mexiko. Beide sind aber erst nach der Gründung dazugekommen.

Doch verbunden fühlen sie sich alle durch den 11. September 2001. Auch Young und Galindo arbeiteten damals nur wenige Häuserblocks vom World Trade Center entfernt. "Ich saß in der U-Bahn fest", sagt Young. "Ich hatte Glück." Galindo hingegen war an dem Tag bei der Arbeit. Als sein Chef ihm von den Meldungen erzählte, konnte er es zunächst nicht glauben. "Draußen sah ich den ganzen Staub und die blutenden Menschen. Dann brachte ich mich in Sicherheit." Nach den Anschlägen verlor auch er seinen Job. "Ich hatte nichts mehr", sagt er. Die Suche nach einer neuen Arbeit war extrem schwierig, die Gastronomie- und Tourismusbranche lagen am Boden.

Besonders schwer hatten es auf dem umkämpften Arbeitsmarkt Migranten mit nichtweißer Hautfarbe. Schon vor den Anschlägen wurden sie nicht gut behandelt, erzählt Galindo. "Wir wurden angeschrien, bekamen weniger Geld als Weiße und mussten auch arbeiten, wenn wir krank waren." Nach dem 11. September wurde es noch schlimmer. "Ich hatte den Eindruck, als ob alle auf einmal dachten, sie hätten grünes Licht uns zu attackieren", sagt Mamdouh. Er musste erleben, dass er den American Dream anscheinend nicht leben durfte.

Respekt und Profit

Doch Mamdouh wollte das nicht akzeptieren. Um für bessere Arbeitsbedingungen in New Yorks Gastronomiebranche zu kämpfen, gründete der heute 50-Jährige zusammen mit einer Anwältin die Organisation Restaurant Opportunities Center (ROC). Heute hat ROC New York über 5.000 Mitglieder. Die Initiative organisierte Proteste und etablierte ein Schulungszentrum für Migranten mit Englisch-, Koch-, und Kellnerkursen. Von diesem ging der Anstoß für die Gründung eines Restaurants aus, das seine Angestellten mit Respekt behandeln und trotzdem Profit machen sollte. Man entschied sich für die Form eines genossenschaftlich geführten Lokals: Im Colors wurden alle Miteigentümer, vom Tellerwäscher über den Hilfskoch bis hin zur Managerin. Und alle halfen beim Aufbau des Restaurants.

Dafür trafen sie sich zwei Jahre lang jede Woche gemeinsam und entwickelten ein Konzept. "Es war nicht immer einfach eine Lösung zu finden2, erinnert sich Galindo. "Es gab so viele Meinungen." Auch das Genossenschaftsmodell war für die meisten neu. "Eigentümer zu sein gefiel allen, aber Verantwortung wollte erstmal keiner übernehmen", sagt Managerin Young, Ein Teil des Profits sollte zudem ans ROC gehen, um die über drei Millionen Restaurantarbeiter in der Stadt zu unterstützen. "Wir wollten nicht nur etwas für uns, sondern auch für andere tun", sagt Mamdouh. Doch das zu vermitteln, war nicht einfach. Einige Windows-on-the-World-Kollegen stellten sich sogar gegen Mamdouh und griffen ihn bei der Eröffnung an. "Das war eine der schlimmsten Erfahrungen", sagt er. "Ich konnte es nicht verstehen, denn wir waren wie eine Familie."

Eine weitere Schwierigkeit waren die Finanzen. Überall versuchte man Geld aufzutreiben, erzählt Mamdouh: "Doch man traute uns nicht zu, das ohne Weiße zu schaffen." Ihre Rettung war eine italienische Lebensmittel-Kooperative, von der sie 500.000 Dollar Startkapital erhielten. Die restlichen 75.000 US-Dollar bekamen sie von verschiedenen kleinen Geldgebern, Wohlfahrtsverbände und eine Gruppe Dominikaner-Nonnen.

Das Colors sollte ein Beispiel für Chancengleichheit und Verschmelzung verschiedener Kulturen sein, kurz: für den amerikanischen Traum. Hier konnte die heute 51-jährige Young alle Stationen durchlaufen: von der Bedienung über die Küchenhilfe bis hin zu ihrem heutigen Job als Managerin. "Normalerweise kann man in Restaurants nicht aufsteigen", sagt sie. "Da bleibt man zwanzig Jahre lang Tellerwäscher. Im Colors ist das anders."

Die Erfahrung machte auch Galindo. Er fing mit Gemüseschnippeln an und durfte dann mehr Verantwortung in der Küche übernehmen. Heute assistiert der 38-Jährige dem Chefkoch bei der Zubereitung der internationalen Gerichte: mediterranem Quinoasalat, mexikanischen Käsetaschen, indischer Lammkeule, englischem Trifle. "Es ist schön, Teil von etwas zu sein, das versucht ein Zeichen zu setzen", sagt er.

Die Gäste blieben weg

Doch kann so ein idealistisches Restaurantkonzept in der gnadenlosen Gastronomie-Szene New Yorks überleben? Knapp die Hälfte aller neueröffneten Restaurants schließt hier innerhalb der ersten drei Jahre wieder. "Am Anfang standen die Leute Schlange, um einen Tisch zu bekommen", erzählt Young. "Doch nach einem halben Jahr blieb die Kundschaft aus."

Das Problem: Das Colors war in Anlehnung an das Windows on the World, wo es gehobene Küche zu hohen Preisen und eine Flasche Wein für bis zu 10.000 US-Dollar gab, gestartet. Wer als Mann kein Jackett trug, bekam im Windows on the World keinen Platz. "Doch unsere Gäste wollten sich nicht herausputzen, um essen zu gehen", sagt Young. Also wurden die weißen Tischdecken entfernt, die Preise gesenkt. Hauptgerichte kosten seitdem zwischen 8 und 15 Dollar. Und es kamen wieder Gäste: Studenten aus der Umgebung, Mitarbeiter von gemeinnützigen Organisationen. Doch sie kamen nicht, um viel Geld dazulassen, sondern um etwas Leckeres zu essen oder ein bisschen guten Willen zu zeigen.

Das Personal war enttäuscht. Vor allem die Kellner, die ein anderes Einkommen gewohnt waren. "Im Windows on the World konnte man im Jahr 100.000 US-Dollar verdienen", sagt Mamdouh. "Im Colors bekommt man nicht mal die Hälfte." Alle 58 ehemaligen WoW-Mitarbeiter bis auf Mamdouh und einen Kellner haben das Colors mittlerweile verlassen. Die Mitarbeiterzahl reduzierte sich drastisch, momentan arbeiten dort nur noch zwölf Angestellte.

Aber auch das reichte nicht, um die gesunkenen Einnahmen auszugleichen. Deswegen beschloss der Genossenschaftsvorstand, den Mindeststundenlohn zu kürzen. Aus 13,50 wurden 9,45 US-Dollar. Das liegt nicht mehr viel über dem gesetzlichen Mindestlohn, der in New York 7,25 US-Dollar beträgt. "Wir mussten das machen, um zu überleben", sagt Young. An der prekären Lage hat sich bis heute nichts geändert. Gäste hat das Colors immer noch zu wenig. Doch Young bleibt optimistisch. "Ich hoffe, dass wir den Kredit abbezahlen können, damit das Restaurant uns gehört."

Auch Mamdouh weiß, wie es um das Colors steht, aber er gibt nicht auf. "9/11 und die Folgen haben mir gezeigt, dass Menschen mit nichtweißer Hautfarbe nicht die gleichen Rechte haben", sagt er. "Ich werde solange kämpfen, bis die Hautfarbe keine Rolle mehr spielt."

Für das Colors hat er schon neue Ideen: Bald sollen ein Wochenmarkt etabliert und die Restaurantschulungen ausgebaut werden. Viel Arbeit investiert er in den Aufbau neuer ROCs in anderen Städten. Bislang gibt es acht, in Detroit soll zum zehnten Jahrestag der September-Anschläge sogar ein zweites Colors eröffnet werden. Mamdouh kämpft für seinen Traum. "Für mich bedeutet Amerikaner zu sein, nicht Essensmarken zu sammeln, rumzusitzen und andere zu kritisieren", sagt der Mann aus Marokko. "Für mich bedeutet es, etwas für sein Land zu tun."

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