Katharina Finke

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Loslassen als Lebensprinzip

Die Schriftstellerin Katharina Finke lebt seit fünf Jahren ohne eigene Wohnung. Sie wohnt mal hier, mal da. (dpa)


Von "krass" bis "cool" reichen die Reaktionen, wenn die 31-Jährige erzählt, dass sie keine Adresse hat. Echt? Freiwillig? Wieso? Und schon ist sie mittendrin im Gespräch.

Seit fünf Jahren hat Katharina Finke keine eigene Wohnung mehr. Sie lebt mal hier, mal da, stets unterwegs, mit leichtem Gepäck. Gerade bewacht sie in Berlin die Wohnung von Freunden, bereitet sich auf ihre nächste Reise quer durch Asien vor - und schreibt ein Buch über ihr freiwilliges Nomadendasein. "Loslassen" soll es heißen, "wie ich die Welt entdeckte und verzichten lernte".

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Finke besitzt einen Koffer und eine Reisetasche. Ein weiterer Koffer und ein Karton stehen bei ihren Eltern in Frankfurt am Main. Sie hat keine Wohnung, keine Möbel, kein Auto, keine Erinnerungsstücke.

Freiwilliges Nomadendasein

"Auf meinen Reisen habe ich gemerkt, dass ich nicht mehr brauche als das, was in meinen Koffer passt", sagt die Journalistin, die für Printmedien und Fernsehsender arbeitet. Ihr letzter fester Wohnsitz war in Hamburg. Als ihr damaliger Freund und sie sich trennten, beschloss sie, die gemeinsame Wohnung aufzugeben. Sie mistete radikal aus, verschenkte, verkaufte, spendete das Inventar.

Am schwersten fiel ihr, Kindheitserinnerungen auszusortieren: "ein Graus". So richtig realisiert, wie radikal dieser Schritt war, hat sie erst mit Zeitverzögerung. Sie stand am Flughafen und gab ihr Gepäck auf Richtung Portugal. "Da wurde mir klar: Ich hab jetzt wirklich nur noch das, was ich hier gerade eingecheckt habe."

In Krisenzeiten wird es schwer

Hat sie damals ihre Entscheidung bereut? "Nein, das war ein total befreiendes Gefühl." Bis heute genießt sie ihr von Materiellem unbeschwertes Leben: "Man kann sofort weg, ist unheimlich flexibel, hat den Kopf frei."

Die meiste Zeit fühle sich das gut an. Schwerer sei es in Krisensituationen. Als ein enger Freund starb, wohnte sie in einer WG in einem Durchgangszimmer ohne Privatsphäre. "Da habe ich gemerkt, was ich schon brauche: eine Tür, die ich zumachen kann."

Wenn sie in Deutschland ist, wohnt sie in München, Frankfurt, Hamburg oder Berlin: als Gast bei Freunden, Untermieter, WG-Mitbewohner, Zwischenmieter oder Haus-Sitter. "Dann bist du also ein Schnorrer", sagen manche, die ihr Leben nicht nachvollziehen können. Finke sieht sich nicht so: Sie zahle Miete, beteilige sich an den Kosten oder revanchiere sich zum Beispiel mit Kochen oder Reisesouvenirs.

"Mein einziger Luxus sind die Flüge"

Die meiste Zeit ist sie ohnehin im Ausland. In den letzten fünf Jahren war sie in New York, Lissabon und Buenos Aires, reiste durch Neuseeland und Australien, China und Indonesien. In Indien schrieb sie ein Buch über eine junge Frau, die verkauft, versklavt und zwangsverheiratet wurde: "Mit dem Herzen einer Tigerin" ist Ende 2015 im Heyne-Verlag erschienen.

Auch unterwegs versucht sie, lieber privat unterzukommen als im Hotel. "So kommt man leichter in Kontakt mit den Menschen vor Ort." Ihre Reisen finanziert sie mit ihrer journalistischen Arbeit - bisher gehe das ganz gut, sagt sie: "Miete und Essen, mehr brauche ich nicht." Und zu Hause habe sie ja keine Fixkosten. "Mein einziger Luxus sind die Flüge."

Geboren wurde Finke an der Nordsee, aufgewachsen ist sie in Frankfurt, zurzeit hat sie durch ihren Freund einen Anker in Berlin. Der zweite Fixpunkt sind ihre Eltern. "Für die ist das nicht so leicht", sagt Finke. Sie sei ein risikofreudiger Mensch, und ihre Eltern machten sich verständlicherweise Sorgen. "Mein Vater sagt immer: Mach, was du machen musst, aber erzähl's mir erst hinterher."

Miete und Essen, mehr brauche ich nicht

Ihr ganzes Leben wird Katharina Finke wohl nicht so leben. "Irgendwann möchte ich gerne Kinder haben", sagt sie. Das wäre dann wohl der Zeitpunkt, wo sie wieder eine Wohnung haben müsse. "Aber ich glaube nicht, dass ich dann zu Ikea fahre und alles vollstelle."

Was ist eigentlich drin in dem Koffer und in der Reisetasche? "Hauptsächlich Klamotten", sagt Finke. Schuhe, Sportsachen, Kosmetik, ein bisschen Schmuck - ein Armband aus Haiti, der Ring ihrer verstorbenen Oma. Da sie auch keine Waschmaschine hat, muss sie mit Kleidung haushalten. Eine Woche trägt sie die dunklen Stücke, eine Woche die hellen.

"Loslassen" soll im März 2017 im Malik Verlag erscheinen.

Auf Reisen wird man oft gefragt: Wo kommst du her? Finke muss für die Antwort immer etwas ausholen - "und dann kommen sofort Fragen". In ihrem Buch will sie versuchen, die meisten davon zu beantworten.

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