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Als hätte das Instrument eine eigene Persönlichkeit

Julia Hagen FOTO: NEDA NAVAEE

„Als ich klein war, haben meine Eltern oft im Lucerne Festival Orchestra gespielt", erinnert sich Julia Hagen. „Ich weiß noch, ab und zu durften meine Geschwister und ich mit in die Generalprobe und da wurden am Anfang immer Hustenzuckerl verteilt."

Diese Anekdote möchte sie eigentlich gar nicht erzählen, zu peinlich sei ihr das. Das Lucerne Festival Orchestra wurde von der Dirigentenlegende Claudio Abbado mit aufgebaut und geführt. „Uns ging es eigentlich nur darum, wer die meisten Zuckerl kriegt, nicht um das tolle Orchester", gesteht sie lachend. „Also wirklich furchtbar!" Abbados Konzerte, schwärmt sie rückblickend, müssen unglaublich gewesen sein.

Die Zuckerl zeigen, mit welcher Selbstverständlichkeit zur Musik die Cellistin aufwuchs. Hagen wurde 1995 in Salzburg geboren. Bereits mit fünf Jahren begann sie Cello zu lernen. Wahrscheinlich, glaubt sie heute, weil sie sich immer im Cellokasten des Vaters, Clemens Hagen, verstecken konnte. Ein sicheres Versteck in einer Musikerfamilie.

Vielleicht erklärt sich damit die Ruhe, die sie beim Eröffnungsauftritt der neuen Solo-Konzertreihe „Made in Berlin" der Universität der Künste Berlin ausstrahlt. In einem schwarz-weißen Aphrodite- Kleid betritt Hagen an diesem Aprilabend die Bühne des Joseph-Joachim- Konzertsaals. Nicht zögerlich, sondern federnd. Das lange, dunkelbraune, lockige Haar wird von einem Zopfband im Zaum gehalten. Dazu trägt sie knallroten Lippenstift.

Bei der ruhigeren Boccherini-Sonate scheint es, als würde sie in ihr Spiel versinken, um dabei gleichzeitig ruhig und routiniert bleiben. Mal schaut sie nach rechts, dann wieder aufs Cello, verzieht eine Augenbraue im Takt.

Bei Beethoven wird ihre Mimik wechselhaft, mal lächelnd, mal grimmig, staunend, auch gelangweilt. Es scheint, als treten Instrumentalistin und Instrument in einen Dialog, um sich gegenseitig herauszufordern. Manchmal hält Hagen für einen kurzen Moment inne, eine Sekunde vielleicht, streicht dann den Bogen langsam und bedacht über die Saiten und wartet auf den letzten Ton, wie er vorbei zieht, als würde sie nicht wissen, was als nächstes passiert. Als hätte das Cello eine eigene Persönlichkeit.

Neue Konzertreihe "Made in Berlin"

Mit der neuen Konzertreihe „Made in Berlin" gibt die UdK Berlin ausgewählten Studierenden die Möglichkeit, sich solistisch zu präsentieren. Der damit verbundene organisatorische Aufwand soll reale Bedingungen der Arbeitswelt widerspiegeln. Die Studierenden entwickeln ein eigenes Programm und zeigen es einem weitgehend unbekannten Publikum. Jeweils zwei Studierende pro Semester erhalten diese Chance, pro Jahr jeweils ein Streicher, eine Pianistin, ein Bläser und eine Teilnehmerin aus dem Nachwuchsprogramm des Julius- Stern-Instituts. Passend zum Jahr des Cellos 2018 gestaltete Hagen den Auftakt der neuen Konzertreihe. Für „Made in Berlin" erarbeitete sie ein Rezital mit Werken von Beethoven, Boccherini, Dvorák und Schostakowitsch - für sie mehr Routine als Herausforderung.

In Hagens Familie hat jeder ein Instrument gelernt. Dennoch empfahl ihr Vater niemandem, den Weg des Berufsmusikers einzuschlagen. „Weil er selbst Profimusiker ist, weiß er, wie schwer es ist, in diesem Geschäft Erfolg zu haben. Man braucht Talent, muss aber auch hart arbeiten, und Glück braucht man auch. Ich kann das schon verstehen", erklärt sie. „Für Eltern ist es sicherlich schwer, einzuschätzen, ob das Kind wirklich Interesse hat oder der Spaß am Instrument schnell wieder verschwindet. Ich stelle mir das schwierig vor, aber ich glaube, mein Papa hat dann schon schnell gemerkt, dass das bei mir eben doch gut geht", fügt sie augenzwinkernd hinzu.

Zukunftsängste hat sie keine

Für ihre Alter weiß Hagen erstaunlich sicher, was sie will. Sie hat sich ausschließlich in Berlin beworben, weil sie unbedingt in die Cello-Klasse von Jens Peter-Maintz wollte. Eine der besten Klassen Europas, meint sie. „Hätte ich die Aufnahmeprüfung nicht bestanden, hätte ich ein echtes Problem gehabt", gesteht sie. Zukunftsängste habe sie keine, weil die Solo-Karriere für sie keine Ultima Ratio darstelle. „Heutzutage gibt es so viele gut ausgebildete Musikernnen und Musiker, da ist es schon ein Glück, eine Anstellung in einem Orchester zu bekommen", weiß sie. Dennoch ist sie auf einem guten Weg dahin. Sie hat bereits eine Agentur in Deutschland und eine in Italien. Einmal wurde Hagen sogar von einer japanischen Agentur angeschrieben, was zu einem Auftritt in der Suntory Hall in Tokyo führte.

Nach ihrem Master an der UdK Berlin plant sie, noch einen zweiten Master zu machen: „Ich würde gern mal bei jemandem lernen, der ein ganz anderes Instrument spielt, Piano zum Beispiel. Ein Cello-Professor kennt unser Repertoire natürlich in- und auswendig und hat auch jedes Stück schon mehrfach unterrichtet. Ich könnte mir vorstellen, dass ein Nicht-Cellist ganz neue Ideen und Impulse hätte, weil der technische Aspekt dann in den Hintergrund tritt und es nur noch um die Musik geht", überlegt sie. „Mal schauen, wie offen Berlin für sowas ist."

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