Carmen Messmer in ihrem Buch, das im Rahmen ihrer Dissertation entstand.
Ein neuer, ungewöhnlicher Blick auf Stofftiere
Jahrzehntelang
hatten sie einen festen Platz im Alltag eines jeden Kindes. Ende der
1980er Jahre traten sie dann ihren regelrechten Siegeszug in der
installativen Kunst an: Künstler*innen wie Mike Kelley, Annette
Messager, Paul McCarthy oder Charlemagne Palestine und später Cosima von
Bonin entdeckten das Potential der flauschigen Stofftiere für sich, für ihre Arbeit, und ebneten ihnen damit den Weg in die Ateliers einer ganzen Generation.
War
der Gebrauch von Stofftieren als künstlerisches Material bisher eher
ungewöhnlich und die Ausstellung ebenjener mit viel Aufsehen verbunden,
so wurden die pinken Häschen, die knallbunten Bären, Affen und Hündchen
ab jetzt gern massenhaft verwendet. Und zwar wortwörtlich: Der
US-Amerikaner Mike Kelley (1954-2012) fertigte riesige Trauben
zusammengestopfter Plüschtiere an, die Französin Annette Messager
(geboren 1943) stapelte Kolonnen davon zwischen Bücherreihen, und der
US-amerikanische Performancekünstler Charlemagne Palestine kleidete sich
mit opulenten Stofftier-Kostümen ein. Kurzum: Stofftiere waren
plötzlich ausgesprochen angesagt, weshalb es einigermaßen überrascht,
dass Wesen und Bedeutung dieses vor knapp drei Jahrzehnten entdeckten,
künstlerischen Materials bisher noch kaum erforscht worden sind.
Carmen Messmer hat Kunstgeschichte und Neuere deutsche Literatur sowie Kirchengeschichte in Hamburg und London studiert. "STUFFED – Stofftiere in der installativen Kunst" leistet fast so etwas wie Pionierinarbeit:
Auf knapp 300 Seiten geht die Autorin der komplexen Bedeutung von
Kuscheltieren auch in einem größeren gesellschaftlichen Kontext nach. So
kann überhaupt erst eine Erklärung dafür gefunden werden, was genau den
Zauber dieses kindlichen Spielzeugs ausmacht, der dann auch
Künstlerinnen und Künstler und schließlich das Publikum überzeugte.
Denn, so Messmer: Das Stofftier könne wie ein Schlüsselreiz wirken, auf
den ersten Blick harmlos, aber dann umso wirkungsvoller, als ein "von den Betrachtern, aber auch von den Künstlern (...) schwer kontrollierbarer Akteur."
Neben
dieser These, die zum Schluss des Buchs steht, hält sich Messmer mit
eigenen Interpretationen zurück. Sie konzentriert sich vornehmlich
darauf, das Phänomen Stoff- und Kuscheltier in seiner gesamten
Bandbreite und weit über den Kunstkontext hinaus zu erforschen und
beschreiben: Die berühmten Theorien vom Kuscheltier als Übergangsobjekt
des Psychoanalytikers Donald Winnicott kommen ebenso zur Sprache wie
geschichtliche und wirtschaftliche Entwicklungen des Stofftieres, die
Erfindung des Teddybären, die Bedeutung des Stofftiers als
"Sehnsuchts-Katalysator". Die vorgestellten Künstler*innen und ihre
Arbeiten werden detailliert beobachtet und analysiert.
Dabei macht
Carmen Messmer höchst unterschiedliche Rollen aus, die Kuscheltiere in
der installativen Kunst einnehmen können: Als Stellvertreter von
Tätigkeiten wie Hausarbeit und Kindererziehung, deren Wahrnehmung als
vermeintlich weibliche Eigenschaften Mike Kelley mit einer Collage wie
"More Love Hours Than Can Ever Be Repaid" (1987) ironisch kommentierte,
als Fetischobjekte, als Repräsentanten kindlicher Unschuld, als Zeugnis
menschlicher Zivilisation und Handwerkskunst - und nicht selten eben
genau zwischen diesen Polen befindlich, was vielleicht eine der
spannendsten Qualitäten des Stofftieres ausmacht: Es lädt zur Projektion
höchst menschlicher Gefühle und Ideen geradezu ein – und bleibt selbst
ambivalent.
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