"Alle hier beschriebenen Aktivitäten und Materialien sind potenziell giftig oder gefährlich", heißt es in der Einleitung zu Jason Logans Buch "Make Ink - Ein Leitfaden zur Herstellung natürlicher Tinte". Dass die Warnung begründet ist, beweist die Anekdote von Logans Tinte, die im Büro des Bestsellerautors Stephen King explodierte. Doch dazu später mehr.
Zum Tintemachen kam der Kanadier, weil er ungiftige Tinte für seine Arbeit suchte. Seitdem ist Logan eigentlich ständig auf der Suche nach Zutaten, die er in seiner Küche zu Tinte verarbeiten kann. In seinem Heimlabor verarbeitet er inzwischen auch Material, das ihm Menschen aus aller Welt zuschicken. Er verwendet Flechten, die auf Steinen wachsen, gebrannte Pfirsichkerne, geschwärzte Japanische Teemuscheln, Petroleum, wilden Wein, rostige Nägel, Gipsstaub und sogar Schießpulver.
SPIEGEL ONLINE: Herr Logan, das Motto Ihrer " Toronto Ink Company" lautet, dass Sie aus wirklich allem Tinte machen. Was haben Sie zuletzt in Farbe verwandelt?
Logan: Das war ein Bruchstückchen römischer Straße, ein paar Tausend Jahre alt. Ein Freund aus Rom hat es mir mit der Post geschickt. Für mich liegt das Herz einer Stadt in ihren Straßen und Wegen. Ich mochte die Idee einer geschichtsträchtigen Römische-Straße-Tinte. Ich arbeite übrigens immer noch daran.
SPIEGEL ONLINE: Klingt nach einem eher grauen Farbton...
Logan: Oh, ja, ziemlich. Ich mag die Farbe Grau allerdings auch wirklich sehr! Leute fragen mich oft: "Ich liebe diese oder jene Farbe, wie bekomme ich die am besten hin?" - und da kann ich meist nicht helfen. Für mich ist nicht unbedingt die Farbe allein aufregend, sondern die Geschichte dahinter. Ich starte gern mit den Rohstoffen und lasse mich überraschen, was dabei herauskommt. Wenn ich diese Schuttprobe dann zermahle, ein Bindemittel hinzufüge, dann gehe ich ganz in diesem Prozess auf. Ich liebe es, mich mit einer einzelnen Pflanze oder einem Material so richtig nerdy zu beschäftigen.
SPIEGEL ONLINE: Sie ermutigen Menschen, ihre eigenen Farbpaletten zu finden - passend zu ihrer Stadt oder Umgebung. Irgendwelche Empfehlungen für Einsteiger?
Logan: Was immer funktioniert, sind Nüsse, Beeren oder gelbe Blüten. Außerdem liebe ich Steine und alles, was mit Rost zu tun hat, denn Eisen ist ein großartiges Material. Genau wie Kupfer - und Zigarettenstummel.
SPIEGEL ONLINE: Nicht unbedingt das Paradebeispiel für natürliche, ungiftige Tinte.
Logan: Stimmt, da muss ich etwas zurückgehen: Als ich mit der Tintenherstellung begonnen habe, wollte ich tatsächlich vor allem ungiftige Stoffe nutzen, und die Allerweltdinge, die man so in einer Stadt findet. Irgendwann experimentierte ich dann aber auch mit Chemikalien. Wobei ich immer wieder gern Buckminster Fuller zitiere: Er sagte, dass Umweltverschmutzung bloß etwas ist, mit dem wir noch nicht gelernt haben umzugehen.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es auch eine kindersichere Variante?
Logan: Natürlich. Sie können in der Stadt Unmengen an tollen Pflanzen, Gräsern oder Beeren finden, die sich hervorragend für die Herstellung natürlicher Tinte eignen. Die vielleicht einfachste Möglichkeit: Kräftig farbige Beeren zerquetschen.
Zeichnung aus Kupferoxidtinte
SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Buch zeigen Sie auch, wie ein einziges Material ein ganzes Spektrum an Farben erschaffen kann.
Logan: Oh ja! Nehmen wir violette Farben, Rote Bete oder Blaubeeren zum Beispiel. Ihre Pigmente werden Anthocyanine genannt. Ein bisschen Zitrone verfärbt sie pink, mit Backsoda kann es sich in eine blaue Farbe verwandeln. Ganz zu schweigen von Sanddorn. Ich liebe Sanddorn!
SPIEGEL ONLINE: Erzählen Sie!
Logan: Hier in Nordamerika gelten die Sträucher als Plage, jeder hasst sie. Es ist eine sehr invasive Pflanze, die übrigens aus Europa eingeschleppt wurde, ...aber als Farbstoff hochinteressant: Manchmal schaut die daraus gewonnene Tinte fast grau aus, manchmal grünlich. Das hängt stark vom pH-Wert des jeweiligen Untergrunds ab. Außerdem kann man verschiedene Teile der Pflanze nutzen. Wenn man die Beeren nimmt und etwas Lauge hinzufügt, wird ein wunderschönes Gelb daraus, beinahe wie Gold.
SPIEGEL ONLINE: Nicht immer läuft alles glatt: Versuch und Irrtum gehören für Sie dazu, aber auch handfeste Explosionen. Wie war das, als Sie einmal Tinte an Stephen King geschickt haben?
"Tinte lebt"Logan: Wenn man hin und wieder selbst gemachte Tinte an berühmte Leute schickt, landet die zuerst bei deren Assistenten. Und wenn man etwas in eine Glasflasche mit einer Gummipipette packt, und das Ganze versehentlich fermentiert, und die Tinte breitet sich aus, ...sie ist ja ein sehr, nun ja, lebendiges Ding. Sie verändert sich.
Ich hatte also Stephen King ein paar Sorten zugeschickt, darunter eine aus wilden Trauben. Und weil ich ein wenig aufgeregt war, hatte ich die Flaschen nicht wie sonst sterilisiert. Stattdessen: schnell eingefüllt und ab damit in die Post. Irgendwann bekam ich dann eine Nachricht von Kings Assistentin: Die Tinte war fermentiert und in der Glasflasche explodiert. Keine so schöne Geschichte.
Wobei diese "Tinten-Missgeschicke" gar nicht so selten sind bei mir: Um Schellack klein zu brechen, habe ich es einmal in die Mikrowelle gesteckt. Das gab dann eine andere, schöne Explosion. Meine Küche ist ein ziemliches Labor geworden.
SPIEGEL ONLINE: Sie arbeiten hin und wieder noch als Illustrator. Nutzen Sie dafür Ihre eigenen Tinten?
Logan: Vor einer Weile habe ich eine Art Glossar für die " New York Times" gezeichnet, über die neue "Twin Peaks"-Staffel. Dafür habe ich Materialien genutzt, die irgendwie mit der Serie in Zusammenhang stehen - Kaffee, bestimmte Beeren. Ich bin überzeugt: Nutze einfach ein überraschendes Material, und es wird deiner Zeichnung, deiner Geschichte eine neue Ebene hinzufügen!
SPIEGEL ONLINE: Und bemerken Ihre Auftraggeber den Unterschied?
Logan: Selbst, wenn man es nicht bewusst wahrnimmt, vielleicht fühlen die Leute, dass irgendetwas an dieser Illustration ein wenig anders ist.... Zumindest möchte ich das glauben (lacht).