So ein bundesweites Jubiläum eignet sich prima für ein Gegenprogramm: Während dieses Jahr allerorten der 100. Geburtstag des Bauhauses gefeiert wird, zelebriert das Designmuseum Marta Herford die Widersacher des Minimalismus.
"Rebellische Pracht - Design- Punk statt Bauhaus" präsentiert ausschließlich Gestalter, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts bewusst gegen den Funktionalismus angetreten sind. Die gar bezweifelten, dass es so etwas wie die reine Funktion überhaupt geben könnte.
Als Beweis fahren die Kuratoren rund 300 quietschebunte, halsbrecherisch verbogene und kühn aufeinandergestapelte Designerstücke auf. Von Herstellern wie Alchimia bis Memphis, von Metamoderne bis Protos. Für die haben wiederum Designer wie Philippe Starck, Javier Mariscal, Ettore Sottsass, Matteo Thun und viele andere gewirkt - nicht wenige standen damals noch am Beginn ihrer Karriere.
Alle Stücke stammen aus der Hannoveraner Sammlung Anthologie Quartett, einer Designkollektion, die 1983 von der damaligen Kunst-, Design- und Modegalerie "quartett" in Hannover ins Leben gerufen wurde. Dabei war das Anthologie Quartett auch selbst Hersteller von Stücken, die oft in kleiner Auflage erschienen und die ihren Gestaltern jegliche Experimentierfreiheit ließen.
Im Fokus der Ausstellung stehen vor allem kleinere Möbel und Wohnaccessoires. Die Exponate schlagen einen Bogen von den Anfängen des Radical Design in Italien in den späten Sechzigerjahren über Gruppen wie Memphis bis zum bisher weniger bekannten Neuen Deutschen Design der Achtzigerjahre: Die Kuckucksuhr von Robert Venturi für Alessi zum Beispiel, die vorwegnahm, was viele Jahrzehnte später selbst die Traditionshersteller ganz selbstverständlich mit in ihr Programm aufnehmen sollten - Heimatkitsch aus fröhlich buntem Kunststoff, nicht aus Holz. Das klobige Schnurlostelefon von Ettore Sottsass, programmatischer Name: Enorme.
Einmal längs durch den Ausstellungsraum zieht sich eine lange Tafel, die gedeckt ist mit Geschirr und Bestecken, wie man sie damals noch nie zuvor gesehen hatte in ihrer radikalen Albernheit oder diesem manchmal furchtlosen Kitsch: Sehr lieb lächelndes Besteck von Riccardo Dalisi, bei dem die Suppe vielleicht aus den Löchern für Augen, Nase und Mund herausgetropft sein könnte. Gläser, deren Verwendung man sich nur mit viel Phantasie vorstellen kann. Und gigantische Teekannen-Skulpturen, größer als ein gesamter Unterarm, die man eher in der heimischen Kunstsammlung denn in der Küchenvitrine vermuten würde.
Am meisten Spaß macht es, zu schauen, welche Entwürfe den Zeitgeist wie gut überstanden haben. Die "Tahiti"-Leuchte von Ettore Sottsass etwa, die aussieht wie ein aus Bauklötzen nachempfundener Papagei, fasziniert noch heute. In direkter Nachbarschaft zu etlichen anderen Exponaten ihrer Zeit wirkt sie beinahe ruhig und ordentlich - denn grelle Farben und billiger Resopal-Überzug können nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch sie eigentlich auf geometrischen Formen basiert.
Kleinteilig statt laut und punkig
Begleitet werden die Teile durch Entwurfsskizzen, Ausstellungsplakate und Manifeste, in denen die Designergruppen eine humanere Gestaltung der Welt fordern. Manche historischen Zeugnisse, Plakate und Bilder der grellen Designerschauen hätten die Ausstellungsmacher aber besser vergrößert - so wirkt das Ensemble manchmal doch eher kleinteilig statt laut und punkig.
Spaßig ist in jedem Falle das Prinzip Zitat - Gegenzitat, mit dem man die verschiedenen Themen wie "Banalität + Spiel" oder "Oberfläche + Dekor" als Schlagabtausch in wenigen Worten auf den Punkt bringt. Dem bekannten Ur-Credo aller Minimalisten, "Weniger ist mehr", steht hier Mae West gegenüber: "Zu viel von einer guten Sache kann wunderbar sein."
"Rebellische Pracht Design-Punk statt Bauhaus" läuft noch bis zum 1. September im Marta Herford.