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Review

Dichtung und Wahrheit: "Es war einmal in Amerika" in Köln

"Nach 278 Jahren Kunstgeschichte trifft man denn auch Edward Hopper wieder, der noch dem schönsten Sonnenschein eine elegante Grabeskälte einzuhauchen vermag. Seine über-ästhetisierten Alltagsszenen haben das Americana-Bild geprägt wie wenige andere Kunst, vielleicht weil sie das Prinzip Amerika aus europäischer Sicht perfekt verkörpern: Das Neue irgendwie vertraut, aber ins Vertraute grätscht eine unheimliche, anziehende Fremde."


Was war eigentlich vor Hopper, Pollock und Rothko? Neben Hollywood und Fernsehgerät waren es immer schon die wörtlich gemachten Bilder, die unsere Vorstellung von den USA geprägt haben. Viel weiter zurück als ins 20. Jahrhundert reicht das eigene Bildgedächtnis allerdings selten. Mit „Es war einmal in Amerika“ verspricht das Kölner Wallraf-Richartz-Museum, sonst bekannt für seine weltweit größte Sammlung mittelalterlicher Malerei, nun nicht weniger als die erste umfassende Aufarbeitung US-amerikanischer Kunst in Deutschland.


Der Rundgang durch  130 Kunstwerke beginnt 1650 mit den Porträtmalereien der Kolonialzeit – Kunst, deren Motive und Stil noch deutlich jener der alten Welt entsprechen. Der Austausch mit Europa bleibt intensiv, während gleichzeitig die Motive die besonderen Umstände von „God’s Own Country“ widerspiegelten: Von John Trumbolls in Öl verewigter Unabhängigkeitserklärung bis zu den Landschaftsmalereien der Hudson River School stricken auch diese fortwährend am ja noch gerade erst entstehenden amerikanischen Traums, sind Zeitzeugnis und Wunschvorstellung in einem.


Der Anspruch der europäischen Siedler auf Expansion in den Westen wird unverblümt in einer Lithografie von Frances Flora Bond Palmer illustriert: Links des nach vorn preschenden Zuges fällt, baut und werkelt man schon fleißig, während rechts zwei indianische Krieger auf ihren Pferden von schwarzen Auspuffgasen eingenebelt werden – das Motiv war 1868 keineswegs als kritischer Kommentar, sondern Werbemittel für die imperiale Landnahme gemeint.


Die indigene Kunst, von der im Ankündigungstext die Rede ist, findet eher sparsam dosiert in Schaukästen statt. Hinter Glas befinden sich einzelne Artefakte wie der wertvolle Wampum-Gürtel, ein kunstvolles Schmuckstück aus Meeresmuscheln, einzelne Statuen oder eine geritzte Pfeife. Und so erscheinen sie in dieser Schau zwangsläufig, ein wenig als isolierte, ethnologisch faszinierende Objekte einer parallelen Lebenswelt.


Nicht falsch verstehen: Dieses Nebeneinander entspricht in weiten Teilen ja durchaus der historischen Realität (auch wenn es Beispiele wie den des Taos Pueblo-Malers Albert Looking Elk gegeben hätte, die durchaus für einen intensiven, künstlerischen Austausch standen – bis hin zum Umstand, dass seine stilisierten Landschaftsmalereien weißen Sammlern und Galeristen dereinst als zu europäisch galten. Der Indianer sollte, bitteschön, Indianer bleiben.) Allerdings bekräftigt die Präsentation so unwillentlich, was sie eigentlich aufbrechen möchte – die Vorstellung also, es gäbe die eine US-amerikanische Kunstgeschichtsschreibung, nach der alles im 17. Jahrhundert begann und vorher tabula rasa war.


Und: Wie überall spiegelt die Kunstproduktion historische Gegebenheiten nicht direkt wieder, sondern ist immer auch Wunsch- und Traumproduktion: Themen wie Sklaverei und die Sezessionskriege beispielsweise finden kaum ihren Weg in die Ausstellung, wofür es gute Gründe geben mag. Den zynischen Idyllen-Kitsch, in dem schwarze Plantagenarbeiter in volkstümlicher Malerei bisweilen dargestellt wurden (Motive, die bis heute ihre Sammler finden), erspart die Kuratorin dem Publikum ebenso wie heroische Gemälde von Kriegsschlachten.


„Es war einmal in Amerika“ erhebt keinen Anspruch auf thematische Vollständigkeit, sondern arbeitet sich chronologisch an Phänomenen entlang: Wie dem des vergoldeten Zeitalters, in dem sich neureiche Ölmagnaten in großartigen Porträts und ihren Wohlstand und Besitz gleich dazu verewigen lassen. Man kann die brillant leuchtenden Atelieransichten des Impressionisten William Merrit Chase bewundern, die wiederum von seiner Zeit in München geprägt wurden, und der wechselseitigen Einflussnahme bis zum Schluss nachspüren.


Das letzte Viertel der Ausstellung erfüllt dann alle Erwartungen, mit denen man so eine Schau eben auch besucht: Endlich ist sie da, die Moderne! Während in New York die Wolkenkratzer gen Himmel geschraubt werden, beginnen sich auch Motive und Stile in alle Richtungen auszudehnen.   William Henry Johnson, neben dem Landschaftsmaler Robert S. Duncanson einer der wenigen afro-amerikanischen Künstler in der Ausstellung, wird mit einer cool-plakativen Harlem-Straßenszene präsentiert, Georgia O’Keeffe geometrisiert den Himmel über New Mexico, gegenüber kann man die pink-türkisfarbene „tote Natur“ des fast vergessenen Patrick Henry Bruce wiederentdecken.

Grant Woods berühmtes „American Gothic“ sucht man leider vergebens, doch ist der Maler mit einem ebenfalls ländlich inspirierten, gewohnt überzogenen Motiv vertreten, dem man die Lust an der Weirdo-Kunst in Zeiten, in denen andere längst den diversen Stufen von Abstraktion frönten, ansieht. Und nach 278 Jahren Kunstgeschichte trifft man denn auch Edward Hopper wieder, der schon Eintrittskarte und Ausstellungskatalog zierte und der noch dem schönsten Sonnenschein eine elegante Grabeskälte einzuhauchen vermag. Seine über-ästhetisierten Alltagsszenen haben das Americana-Bild geprägt wie wenige andere Kunst, vielleicht weil sie das Prinzip Amerika aus europäischer Sicht perfekt verkörpern: Das Neue irgendwie vertraut, aber ins Vertraute grätscht eine unheimliche, anziehende Fremde.


ES WAR EINMAL IN AMERIKA. 300 JAHRE US-AMERIKANISCHE KUNST, bis 24. März 2019 im Wallraf-Richartz-Museum Köln. Katalog 39,90, Begleitheft 12,90 €.


[Eine leicht gekürzte Fassung ist auf Spiegel Online erschienen.]