Beinahe wäre noch der Wagner zwischen den eingefärbten Backsteinzacken ertönt: Zu jedem Schichtwechsel im Technischen Verwaltungsgebäude der Farbwerke Höchst sollte eigentlich ein Glockenspiel des Komponisten erklingen. So hatte es jedenfalls Peter Behrens, der ausgebildete Künstler, Grafiker und schließlich Autodidakten-Architekt, der in diesem ausklingenden Jahr sein 150. Geburtstagsjubiläum feiern würde, geplant. Aus dem Vorhaben wurde letztlich nichts – doch auch so strebt der Bau stark in Richtung Gesamtkunstwerk. Vom Grundriss über Handläufe, Türgriffe und Fenster bis zur extravaganten, ursprünglich grellgrünen, knallroten und leuchtend blauen Farbgestaltung des 1924 fertiggestellten Firmensitzes hat Behrens nahezu alles selbst entworfen (und, nebenbei, dies auch noch in wenigen Monaten).
Regelmäßig führt die Höchst AG, die noch heute Büroräume im Behrens-Bau unterhält, Besucher durchs Gebäude. Mit Quizfragen: „Was meinen Sie, wie hoch die Eingangshalle ungefähr ist?“ Alle reingefallen auf Behrens architektonischen Trick, der beeindruckend gut wirkt, selbst wenn man um ihn weiß: Er hat die einzelnen, vom Erdgeschoss aus offen einsehbaren Stockwerke nach oben zulaufend niedriger gestaltet. Selbst die Leuchten passte Behrens der Größe jedes Stockwerks an. So ergibt sich die optische Täuschung einer Halle, die deutlich höher wirkt als ihre tatsächlichen 40 Meter.
Unter den gleich mehreren sogenannten Behrens-Bauten dürfte dieser der bestbesuchte sein: Als herausragendes Beispiel des Neo- oder Backsteinexpressionismus, der vor allem in Deutschland eine kurze Blüte in den 20er Jahren hatte. Aber auch als Erklärung, wieso Peter Behrens gern als Erfinder des Corporate Design und der Corporate Identity genannt wird: Der ausgebildete Künstler und Grafiker hatte schon früh erkannt, dass zu jener mehr zählt als nur das Unternehmenslogo.
„Der Anspruch, alle Dinge der Lebenswelt zu behandeln, also die Konzeption des Gesamtkunstwerks an sich – das hat aus meiner Sicht durchaus etwas Totalitäres, “ meint Dr. Thorsten Scheer, der als Professor für Bau- und Kunstgeschichte sowie Architekturtheorie an der Peter Behrens School of Architecture in Düsseldorf lehrt. Als aktuelles Beispiel einer Unternehmensidentität, die sich bis auf die Architektur der Firmenzentrale ausdehnt, nennt er den Apple Park im kalifornischen Cupertino: Eine fast schon heilige Allianz aus Design und Ökonomie, beides allumfassend gemeint.
Mit diesem ausklingenden 2018 geht heimlich, still und eher leise also auch ein Jubiläumsjahr von Peter Behrens zu Ende. Das Kölner Museum für Angewandte Kunst zeigte im Frühjahr eine Retrospektive, die sich vor allem mit seinem gestalterischen Erbe beschäftigte – und Behrens Weg vom Maler und Grafiker, der Holzschnitte anfertigte, zum Designer von Gläsern und Möbeln über Schriftarten bis hin zu Firmenlogos aufzeichnete. Wie die Kaiser’s-Kaffeekanne, ein perfektes Beispiel gelungenen Markendesigns, hinter dem der Designer selbst vollkommen zurücktritt.
Wer sich näher mit dem 1868 in Hamburg geborenen Alles-Gestalter beschäftigt, stößt nur auf weitere Fragen. Einiges weiß man, vieles hat Behrens selbst in amüsanten Schriften notiert. In anderen Bereichen bleibt er aber ein Phantom: Wie passt das alles zusammen? Dass in seinem Atelier zeitgleich Bauten im Stil des Neoexpressionismus wie der Neuen Sachlichkeit entworfen wurden, kann sich Scheer nur durch große Freiheiten der „jeweiligen Projektleiter“ erklären. Soll heißen: Es war also nicht unbedingt Behrens höchstpersönlich für jedes Bauwerk federführend. So erklärte zum Beispiel ein später Mitarbeiter, er habe den Architekten nie mit einem Zeichenstift in der Hand gesehen.
In der Zeit des Nationalsozialismus „bearbeitet er hier einen neoklassizistischen Protzbau für die AEG an Speers „Großer Achse“, während er dort bei seinem letzten Bauprojekt, dem Gut Hohenlanke, selbst gegen die örtlichen Vertreter der NSDAP für seine Absichten kämpfen musste,“ fasst der Professor für Architekturtheorie zusammen. Als indifferent würde er Behrens beschreiben – womit der allerdings keine Ausnahme, sondern ein geradezu typisches Beispiel des auftragsabhängigen Architekten darstellte.
Begreifen lässt sich Behrens Schaffensgebiet, das vom Werkbund bis zum Jugendstil, von der Grafik bis zur Architektur, vielleicht überhaupt nur punktuell: Der Behrens-Bau in Höchst, die mindestens ebenso berühmte und mächtige AEG-Turbinenhalle, Möbeldesign und Firmenlogos, das Wohnhaus Behrens auf der Darmstädter Mathildenhöhe, Behrens erstes Bauwerk überhaupt, heute ein bekanntes Beispiel der Jugendstil-Wohnarchitektur.
Letzter Versuch einer Annäherung: Der Erfinder der Corporate Identity, der selbst nie auch nur annähernd eine wiederkennbare Handschrift besaß? Zumindest architektonisch mag das hinhauen. „Ich würde ein Bauwerk aus dem Atelier von Peter Behrens nicht erkennen, wenn ich nicht wüsste, dass es von dort stammt, “ bestätigt Scheer. Im Architekturbereich sieht er ihn vor allem als Initiator– aber allein in dieser Rolle sei das, was Peter Behrens neben all den zweidimensionalen Arbeiten geleistet habe, bemerkenswert genug.
[Auf spiegel.de in Auszügen/Gemeinschaftstext.]
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