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"Nich' so kleinkariert!"

Deutsches Filminstitut & Filmmuseum / Archiv Barbara Baum

Wenn Hanna Schygulla als Lili Marleen in ihrer silbernen Robe ein wenig zögerlich das Glitzertreppchen hinunterläuft, um im Anschluss unter einem riesigen Hakenkreuz zu singen, dann wirken genau diese beiden Momente nach: die Ambivalenz, die Schygulla ihrer Figur verleiht. Und der schillernde, so gar nicht zögerliche Glamour ihres Kostüms.

Entworfen wurde das Filmkleid nebst passendem Turban von Barbara Baum, die als Kostümbildnerin in der Branche zu einer der gefragtesten Koryphäen wurde. Die 1944 geborene ausgebildete Schneiderin nähte Schauspielern von Armin Mueller-Stahl bis Catherine Zeta-Jones ihre Kostüme auf Rolle und Leib. Das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt widmet ihr jetzt eine eigene Ausstellung, die gerade deshalb so gut ist, weil sie die Bedeutung des Kostüms für den Film ganz aus Baums Arbeit heraus erzählt.

Herzstück der Schau ist eine Nachbildung von Baums Wohnatelier. Zwischen Bildern des Originals und Dankesschreiben von Schauspielern kann man Drehbuchbuchnotizen oder Stoffproben studieren und Baums Anekdoten lauschen: Wie etwa Bernd Eichinger einmal fuchsteufelswild auf dem Dachfirst eines New Yorker Hochhauses herumraste, weil ihm (ein Einzelfall in Baums mehr als 50-jähriger Karriere) ein Kostüm nicht gefiel.

Rundherum dann der Ausstellungsparcours mit etwa 50 Kostümen aus insgesamt mehr als 70 Filmen. Sie sind auch für sehbehinderte Besucher ausgelegt, die sich Detailbeschreibungen anhören und Stoffproben fühlen können: puderrosa Spitze, Organza mit Blütenstickereien, grobe und zarte Materialien. Und das Silberlamé, wie es einmal ausgesehen haben muss, bevor Schygullas Kostüm durch schlechte Lagerung oxidierte. Heute schimmert es nur noch matt bronzefarben, oder, wie Baum sagt: "Es ist gebrochen."

Kostüme für alle Fassbinder-Filme

Filmausschnitte hinter den Exponaten zeigen, wie wenig manchmal von der prachtvollen Arbeit übrig bleibt: Wenn Baums Kostümen, Ergebnis monatelanger Recherchen und Vorarbeiten, nur wenige Sekunden im Film vergönnt sind. Wenn die Kamera nur winzige Ausschnitte erfasst - oder wenn, umgekehrt, prächtige Details wie Brokatgürtel, Pelzärmel oder handgenähte Perlendetails von der Totalen vollständig verschluckt werden. Film ist Verdichtung: Was außerhalb davon geschieht, bekommt das Publikum nicht zu Gesicht.

Doch Baum liebte alles, was mit ihrer Arbeit zu tun hatte, einschließlich der Millionen Einzelschritte, die außerhalb der eigentlichen Aufnahmen stattfinden: Die monatelange "Büroarbeit", Vorverhandlungen, Gespräche mit dem Filmteam von der Regie bis zu den Statisten. Das Suchen nach Stoffen in ganz Europa, in Großbritannien und natürlich Italien, wo die Auswahl hochwertiger Materialien so viel größer gewesen sei als in Deutschland.

Die Produktionsfirmen, erzählt Baum, seien "gern mal" in Ohnmacht gefallen, wenn sie die Kosten für ihre hochwertigen Stoffe auflistete. Aber weniger kam für sie nie infrage. Und weil die Filmemacher ihre präzise, sehr materialaffine Arbeit zu schätzen wussten, blieb den Produzenten oft nichts übrig, als Baums Kompromisslosigkeit in Kauf zu nehmen. Dazu die Kostümbildnerin, belustigt, aber energisch: "Man hat ja behauptet, ich würde nur aus Eitelkeit handeln, um irgendwie zu 'brillieren' - der größte Blödsinn, den ich je gehört habe!"

Ein Jahrzehnt lang fertigte Baum die Kostüme für nahezu alle Filme von Rainer Werner Fassbinder, über den sie sagt, dass sie beide "irgendwie füreinander bestimmt" waren. Ein guter Teil ist jetzt im Filmmuseum zu sehen: die feschen Matrosenuniformen für "Querelle", das berühmte Silberlamé-Kleid aus "Lili Marleen", dazu etliche Anprobefotos von Fassbinder-Schauspielern wie Gottfried John oder Günther Kaufmann. Geplant waren viele weitere, gemeinsame Filmprojekte, doch dafür verstarb der Münchener Regisseur zu früh.

Vielleicht verstanden sich die Kostümbildnerin und der Regie-Berserker auch deshalb blind, weil sie dieselbe Arbeitsauffassung teilten: Der Film, das künstlerische Werk, ist König. Epochen und Historie? Die dürfe man "nicht so kleinkariert" sehen, eher fantasievoll: Wichtiger als die zeitlich korrekte Herkunft eines Materials sei, dass der Stoff dem Film etwas hinzufüge. "Für mich, " sagt Baum, "war die Liebe zum Stoff schon das halbe Kostüm." Und das wiederum, so konstatierte Hollywood-Schauspielerin Meryl Streep einmal begeistert über ihren Traum in Weiß, den ihr die Kostümbildnerin für "Das Geisterhaus" angefertigt hatte, sei denn auch schon die halbe Rolle: "Jetzt kommt nur noch mein Talent hinzu."

Hautnah. Die Filmkostüme von Barbara Baum; bis 10. März 2019 im Deutschen Filmmuseum Frankfurt

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