Durch das Wabern und Wölben der Linien und Kreise flirren die Gesprächsfetzen: Selten wurde im Museum so viel geredet wie hier. Hier und da klopfen Besucher die Bilder schon mal auf ihren dekorativen Gehalt ab. Vor den tanzenden Rechtecken in Herbstfarben: "Das in einer Bar!" - "Nee, als Tapete hätt' ichs gern...." - "Tapete? Viel zu krass!"
Ja, bildende und angewandte Kunst verflüssigen sich hier wahrhaftig, was der Maler selbst ausdrücklich begrüßte: Kunst müsse großzügig werden, beginnt eines der bekanntesten Zitate von Victor Vasarely (1906-1997), dessen Suche nach einer Bildsprache der Moderne nun im Städelmuseum präsentiert wird. Nicht elitär, sondern demokratisch müsste sie sein, zugänglich für das Leben und die Menschen, die mit ihr zu tun haben - und vice versa.
Diese Durchlässigkeit zwischen den Disziplinen spiegelte sich auch in Vasarelys eigener Person wider. In seiner über 60-jährigen Tätigkeit hat der gebürtige Ungar als Künstler und Werbegrafiker gearbeitet, das Logo der Olympischen Spiele in München gehört zu seinen bekanntesten Arbeiten. Die Ausdehnung von Form und Farbe in die dritte Dimension wird gleich zu Beginn erfahrbar: Im ehemaligen Speisezimmer der Deutschen Bundesbank, das hier mit seinen Kreismustern auf gelber Teppichwand den noch vergleichsweise zarten Startschuss für den Rundgang gibt. Dann folgen die Farb-Raves.
Der Sturz in diese Op-Art-Fluten kostete einige Überwindung. Nicht so leicht, die eigene ästhetische Sozialisation abzuschütteln: Grausame Erinnerungen an Psychedelik-Plakate auf hölzernen Jugendzimmerwänden kamen hoch, als das Städelmuseum Victor Vasarely mit der blau-rot-grünen Kugel aus der berühmten 'Vega'-Reihe ankündigte. Doch vor Ort wirkt dann schnell und immer noch zuverlässig der Zauber der Malerei: Handgemalt und in voller Größe sieht all das schon erstaunlich beeindruckend aus.
Durch die versammelten Werke zieht sich ein großer Forscherdrang
Goa- und Jugendzimmer-Fantasien geraten schnell in Vergessenheit. Auch deshalb, weil Vasarelys Originale ungemein vielschichtiger sind als das, was später aus ihnen folgte. Er begnügte sich nicht mit einzelnen Farb- oder Formeffekten; durch seine versammelten Werke von Ende der Fünfziger- bis Mitte der Siebzigerjahre zieht sich ein großer Forscherdrang.
Vasarelys großformatige, in Öl und Acryl gefasste Versuchsanordnungen beanspruchen viel Raum. Das Städelmuseum bietet ihn reichlich - weniger hätte es aber kaum sein dürfen. Damit sich die einzelnen Bilder nicht in die Quere kommen, wurden die Wände schräg versetzt zueinander platziert. Und auch dann noch überfordern die hyperventilierenden Linien und flackernden Farben regelmäßig Augen und Gleichgewichtssinn.
Die Anfänge seiner optischen Illusionsgemälde liegen in der Schwarz-Weiß-Fotografie, später entwickelte der Künstler mit dem 'Alphabet Plastique' ein Modulsystem für die eigene Bildsprache: Geometrische Formen und Farbskalen in unendlichen Kombinationsmöglichkeiten. Und in jeder einzelnen wummert, flickert und wölbt es sich ins Bild hinein und aus ihm wieder heraus, oft in mehrere Richtungen gleichzeitig oder im ständigen Wechsel. Eine gute Vorstellung: dass diese Bilder seit ihrer Entstehung permanent in Bewegung sind. Dauerhaft vor sich hin strahlendes, beinahe chemisches Atemlos since 1959. Nur das kleinste Teilchen, die kleinste Einheit lässt sich kurz fixieren, bis das gesamte Ensemble sich seinem Zuschauer wieder entzieht.
Eine Etage weiter oben sinkt der Geräuschpegel: Zwischen Malereien aus den Dreißiger- bis Fünfzigerjahren hört man nur hin und wieder leises Flüstern und Raunen. Die Ausstellung folgt Vasarelys Werk in umgekehrter Reihenfolge - was einen spektakulären Start verspricht, aber aufmerksamkeitsökonomisch problematisch sein kann.
Der fortlaufende Versuch, die Welt zu geometrisieren
Stilistische Hemmungen kennt Vasarely wie vielleicht jeder wirkliche Experimentierer keine, und so reicht die Bandbreite von eleganten Bildern mit elliptischen Formen in matten Farben, die ihr Vorbild noch in der Flora und Fauna seiner französischen Ferieninsel haben, bis zu den Vorläufern seiner späteren Illusionsgemälde: Schwimmt dort tatsächlich ein liebevoll-kitschig gemalter Wal im Op-Art-Meer? Ja, er schwimmt.
Gerade in ihrem zweiten Teil wird die Ausstellung so zur Nacherzählung von Vasarelys fortlaufendem Versuch, die Welt zu vergrafischen, zu geometrisieren, bis die Kunst völlig unabhängig von ihr existieren kann. Um erst so wieder, aus dieser emanzipierten Haltung heraus, mit ihr in Kontakt treten zu können. Und sie vielleicht erst einmal hemmungslos zu überfordern.
Victor Vasarely "Im Labyrinth der Moderne", bis 13.01.2019 im Städelmuseum Frankfurt. Katalog 39,90.