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Mittel und Ausdruck der Selbstermächtigung [

Die Kunstzeitschrift "Der Sturm" lädt zum Rückblick ein in eine Zeit, in der das Format zwingenden Charakter hatte. Und deshalb eine ganz andere Strahlkraft.

Die erste Ausgabe von „Der Sturm – Wochen­schrift für Kultur und die Künste“ erschien unter Herwarth Waldens Feder­füh­rung 1910: Eine schlichte, aber form­schöne Typo­gra­fie, ein biss­chen Erklä­rung, manch­mal etwas mehr Text, vor allem aber: Ein großer Druck, Abbild eines Kunst­werks befreun­de­ter oder in der Ausgabe bespro­che­ner Künst­ler. Sie war von Anfang an beides, oder viel­mehr alles, wie typisch für die Anfänge der Kunst­zeit­schrift: Lite­ra­ri­sche und poeti­sche Texte von Kory­phäen wie Arthur Rimbaud erschie­nen hier neben Drucken von Kunst­wer­ken; kriti­scher Austausch, poli­ti­sche Äuße­run­gen gegen das wilhel­mi­ni­sche Esta­blish­ment und dessen Kriegs­pläne und natür­lich auch Werbung für die eige­nen Arbei­ten hatten ihren jeweils eige­nen Anteil am Blatt. Das Medium bot die Möglich­keit zur Knüp­fung loser Netz­werke, lange bevor dieser Begriff zuneh­mend zur über­prä­sen­ten Losung nicht nur der digi­ta­len Bohème gereichte, von Berlin nach Zagreb, von Wien nach Amster­dam.
VOM KUNSTKRITIKER UND SCHRIFTSTELLER ZUM GALERISTEN

Aus diesen losen Freund- und Bekannt­schaf­ten erwuchs gar nicht selten dann auch Konkre­tes. Zwei Jahre nach seiner ersten Ausgabe feierte „Der Sturm“ auch schon seine hundertste, und das sollte gefei­ert werden: Zum Jubi­läum präsen­tierte Walden eine Ausstel­lung mit Werken unter ande­rem von Oskar Kokoschka, Edvard Munch und bis dato noch unbe­kann­te­ren fran­zö­si­schen Künst­lern – die Zusam­men­stel­lung über­nahm er von befreun­de­ten Kura­to­ren, doch nach dem großen Zulauf soll­ten bald eigene Ausstel­lun­gen reali­siert und kura­tiert werden, wodurch Walden schließ­lich vom Kunst­kri­ti­ker und Schrift­stel­ler zum Gale­ris­ten wurde. Der Rest ist Geschichte: Nicht nur verhalf Herwarth Walden etli­chen unbe­kann­ten Künst­lern, sondern auch über­durch­schnitt­lich vielen weib­li­chen Künst­le­rin­nen zu eini­ger Bekannt­heit. Die Zeit­schrift exis­tierte noch insge­samt weitere zwan­zig Jahre lang, bis 1932, in der Zwischen­zeit wurden neben der STURM-Gale­rie auch Bühne, Buch­hand­lung und eine Akade­mie unter selben Namen reali­siert.

VON AMSTERDAM BIS ZAGREB: MITTEL UND AUSDRUCK DER SELBSTERMÄCHTIGUNG

Erst mit der Entwick­lung des Buch­drucks und hier­aus folgend der zuneh­men­den Verfüg­bar­ma­chung von Büchern, von geschrie­be­nen Ideen und Gedan­ken, konnte so etwas wie die öffent­li­che Ausein­an­der­set­zung mit einem Phäno­men wie der Bilden­den Kunst über­haupt entste­hen. Im Wandel ihrer rund 200-jähri­gen Geschichte hat die Kunst­zeit­schrift dabei unter­schied­lichste Funk­tio­nen einge­nom­men, oft gleich­zei­tig: Sie war Mittel und Ausdruck der Selbst­er­mäch­ti­gung von Künst­lern, bot eine zumin­dest ideelle Unab­hän­gig­keit vom Markt und von Insti­tu­tio­nen, wie sie heute in der Form wohl nicht mehr denk­bar ist, sie war Ideen­ge­ber und -Schaf­fer, Platt­form für aller­lei Albern­hei­ten, für Spiel und Expe­ri­mente, aber auch für Revo­lu­tio­nä­res. Allein die Titel der unter­schied­li­chen Publi­ka­tio­nen führen diese chamä­leon­ar­tige Viel­schich­tig­keit vor Augen: Etwa zur selben Entste­hungs­zeit von „Der Sturm“ fanden sich allein in Berlin ähnlich ener­gi­sche Titel wie „Der Gegner“ oder „Die Aktion“, in Zagreb kursier­ten die Ausga­ben von „Zenit“, in denen zum Beispiel Vjera Billers Arbei­ten präsen­tiert wurde, in Groß­bri­tan­nien veröf­fent­lichte man „Blast“.

MANCH EINE ZEITSCHRIFT ERSCHIEN BLOSS EIN EINZIGES MA

Andere waren da durch­aus beschei­de­ner, nann­ten ihre Zeit­schrif­ten nüch­tern „Het Over­zicht“, der Über­blick, program­ma­tisch „Futu­risty“, „Die Form“ oder „De Stijl“. Von den groß­ar­tig alber­nen Titeln der Dada- und Satire-Publi­ka­tio­nen, von Onoma­to­poe­ti­schem über reinen Nonsense bis zu Titeln wie „Der Blutige Ernst“ (mither­aus­ge­ge­ben von George Grosz), die heute einer Hambur­ger Punk­band zu Ehren gerei­chen könnte (wieso hat sich noch niemand nach ihr benannt?), einmal ganz zu schwei­gen: Gerade die Kunst­zeit­schrif­ten der frühen Gene­ra­tio­nen boten eine nie dage­we­sene Frei­heit, nicht nur alles schrei­ben und drucken, sondern auch alles veröf­fent­li­chen zu können – in einem tech­ni­schen Sinne, poli­ti­sche Zensur und klei­nere Quere­len außen vorge­las­sen. Und diese Kommu­ni­ka­tion funk­tio­nierte in zwei Rich­tun­gen: Was heute in teuren Semi­na­ren gern als Nonplus­ul­tra der Kommu­ni­ka­tion propa­giert wird, war zur Zeit von Walden, Grosz oder Fran­cis Pica­bia mit seinem dada­ist­schen Mani­fest selbst­ver­ständ­lich: Kunst­zeit­schrif­ten waren Austausch­platt­form der Avant­garde, boten imma­nent die Möglich­keit zur Reak­tion und Aktion – in einer Folge­aus­gabe oder schlicht in einer eige­nen Publi­ka­tion. Manch eine Zeit­schrift erschien bloß ein einzi­ges Mal, andere, wie nicht zuletzt eben auch „Der Sturm“, über viele Jahr­zehnte und Hunderte Ausga­ben hinweg.

EXTRACT FROM DUTCH MAGA­ZINE DE STIJL, WITH 'KLANK­BEEL­DEN' BY THEO VAN DOES­BURG, VIA WIKI­PE­DIA

KEIN MEDIUM UNTER VIELEN

Wer heute eine belie­bige aktu­elle Publi­ka­tion in die Hand nimmt, der kann sich nur noch schwer vorstel­len, welche revo­lu­tio­näre Kraft einst von diesem Stapel gedruck­ten Papie­res ausging. Nicht einmal, weil die Kunst­zeit­schrift heute trotz ihres Anspruchs, Kritik und Ausein­an­der­set­zung zu bieten, natür­lich (und kaum verwerf­lich) auch wirt­schaft­lich trag­bar sein muss. Sondern viel­mehr, weil ihre Geschichte eben nicht rück­wärts denk­bar ist: Als Zeit­schrif­ten wie „Der Sturm“ erst­mals in größe­rem Stile verkauft wurden (und das in gut fünf­stel­li­ger Auflage), war eben dieses Medium in seinem Charak­ter zwin­gend. Es bot keine Alter­na­tive unter vielen, sondern war das Medium schlecht­hin. Für Austausch, Infor­ma­ti­ons­ge­win­nung, für die Verbrei­tung und Diskus­sion von Ideen und Inhalte zu Dada, Futu­ris­mus und Surrea­lis­mus, Kunst und Lite­ra­tur, Aktion und Reflek­tion, ätzen­der Satire und Gegen­ent­wür­fen zum lähmen­den Geist der Jahr­hun­dert­wende, um nur einige zu nennen. Diese Eigen­schaft des quasi Unab­ding­ba­ren können auch ästhe­tisch und ideell offe­nere Publi­ka­tio­nen, Künst­ler­bü­cher oder gedruckte Mani­feste heute allein aus diesem Grund nur schwer errei­chen.

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