Seit es große Glasscheiben gibt, gehört Schaufensterbummeln zum
Shopping dazu. Ein Bildband zeigt verführerische Auslagen - die sich
längst nicht mehr nur aufs Ladenfenster beschränken.
Ein Fuchs aus orangefarbenem Leder sitzt in seiner geschmackvoll eingerichteten Behausung. Auf dem Tisch steht ein Porzellanservice, aus der Schublade der Kommode hängen eine Krawatte und ein Seidenschal, im Regal stehen Lederkladden und an der Wand ein Paar dunkelblaue Brogues aus Wildleder.
Was aussieht wie das Bühnenbild zu einer Szene aus Wes Andersons Animationsfilm " Der fantastische Mr. Fox", ist tatsächlich ein Schaufenster von Hermès. Der Fuchs und das Mobiliar seines Baus waren natürlich nicht zufällig gewählt, sondern eine Anspielung auf die traditionellen Farben des Unternehmens und seine Ursprünge in der Lederverarbeitung. Die eigentlichen Produkte waren fast schon versteckt, so perfekt fügten sie sich in das Bild.
Geschaffen wurde die Dekoration von dem französischen Designstudio Zim & Zou, das mit seiner Arbeit exemplarisch steht für den Wettkampf, den sich Luxushäuser und Edelboutiquen um die ausgefallensten Schaufenster und damit um die immer häufiger ins Internet abwandernde Kundschaft liefern.
Dekoratives Leitmotiv
Es ist nicht neu, wenn Luxuslabels, Traditionshäuser und Concept Stores heute wieder die Möglichkeiten der räumlichen Inszenierung ausreizen. Eher eine Rückbesinnung auf eine Tradition, die viele Jahrzehnte lang mit der Produktion von Kunden verbunden war. Vor allem bei großen Kaufhäusern bot das Schaufenster von Beginn an nicht nur Einblick in eine Waren-, sondern auch eine Themenwelt: Ein dekoratives Leitmotiv, das in der Auslage beginnt und vor der Kasse endet.
Allerdings sind die modernen Verführungskonzepte so extravagant und ausdifferenziert wie nie: Der Band "Shoplifter" widmet sich der Kunst, aus einer Shoppingtour wieder ein Gesamterlebnis werden zu lassen. Dabei kommt es auf jedes Detail an: Interieur-Designer und Konzepter müssen Licht- und Farbgestaltung, Materialien, Stoffe, Kontraste und Wegführungen planen und gestalten.
Bei Hèrmes kümmerte sich Leïla Menchari um diese Aufgabe. Von 1978 bis 2013 war sie verantwortlich für die Schaufenster in der Rue du Faubourg Saint-Honoré. Ihre aufwendigen Inszenierungen gehören fast schon zur DNA des Labels und sind quasi der Goldstandard der Branche. Aus den Auslagen machte Menchari Theaterbühnen, auf denen sie Geschichten mit Leder und Seide erzählte. Dafür wurden Birkins und Kellys in Sonderfarben produziert, unverkäufliche Einzelstücke, um die sich die Kundschaft gerissen hätte. Als Menchari nach 35 Jahren in den Ruhestand ging, gab es einen Bildband mit 137 ihrer schönsten Hermès-Fenster und eine Ausstellung im Grand Palais.
Verlockende Markenbildung
"Es besteht immer ein Risiko, g ebrandet zu werden", erklärt Silvia Venturini Fendi in "Shoplifter", warum sie bei Fendi ein komplett eigenständig agierendes Designteam nur für die Dekoration beschäftigt. Mit ihren Produktdarbietungen ziehen Läden nicht nur Blicke an, die Unternehmen können so auch bestimmen, wie ihre Marke wahrgenommen wird. Gefordert sind kreative Lösungen für die proaktive Markenbildung.
Der Fantasie sind dabei wenig Grenzen gesetzt. Wo der Konkurrenzdruck groß und das Budget (noch) üppig ist, wird ein Feuerwerk an Materialien und Ideen abgebrannt. Texturen, Farben, Licht: Ein rauschender Trip durch die Jahrzehnte des guten Geschmacks; Fünfziger, Sechziger, Siebziger, Achtziger, anything goes. Modernismus trifft Memphis, Gitterstrukturen und Resopal zwischen Spiegelkabinetten, Diner-Essecken oder Waschsalons.
Fest zum globalen Vermarktungsinventar gehören inzwischen auch tropische Blätter und Gewächse: Bei Beehive beispielsweise sprießt und grünt es gleich auf Wänden und in Vasen, andernorts sorgen durchgehende Glasflächen für den Blick ins üppig bewucherte Draußen. Eine Erklärung, warum der Anblick von Dschungelgrün so verfängt, bleibt das Buch allerdings schuldig. Das ästhetische Vergnügen steht im Vordergrund.
In die Hirne der Kunden einbrennen
"Shoplifter" bietet zwar fantastische Ansichten mit detaillierten Beschreibungen und einigen Essays. Die konzentrieren sich aber eher auf die Frage, wie das Einkaufserlebnis sich heute in virtueller Konkurrenz behaupten kann und muss - der Band will ausdrücklich als Showcase-Studie und Inspirationsquelle für die Branche dienen. Eine historische Einordnung oder eine genauere Analyse spezifischer Vorlieben und Geschmäcker wären sinnvoll gewesen.
Den kleinsten Nenner findet man in diesem Sammelsurium nicht in einer Ästhetik, sondern im Ziel: Um sich in die Hirne seiner Kundschaft einzubrennen, ist Auffallen Pflicht. Am besten Reize für alle Sinne, so dass neben dem Anschauen auch Hören, Riechen, Fühlen oder gar Schmecken auf dem Programm stehen.
Wo alle Welt vermeintlich virtuell wird, kann man plötzlich im Luxus-Geschäft ganz reale Träume von Unterseebooten, riesige abstrakte Skulpturen und im Schwarzlicht schimmernde Geheimtunnel betreten. Müsste ein Hinweisschild gefunden werden, das an allen in "Shoplifter" präsentierten Orten zugleich gültig wäre, von Mailand bis Hongkong, dann wohl dieses: " This is not a playground! Hier bitte nur einkaufen."
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