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Disney-Version eines Botanischen Gartens

El Dorado, Paititi, Die versunkene Stadt Z: Die Suche nach dem sagenumwobenen Ort mitten im
Amazonasgebiet hat viele Namen. Ganz so spektakulär ist die Erkundung des Jardim Monte Tropical
Palace vielleicht nicht – aber wenn Sie einmal Gelegenheit dazu haben sollten: Gehen Sie ruhig
hinein! Er befindet sich hoch über der Stadt Funchal auf der portugiesischen Blumeninsel Madeira,
knapp 970 Kilometer Luftlinie von Lissabon entfernt, mitten im Atlantik. Einschlägige Reisemagazine
wie der Condé Nast Traveller preisen ihn als einen der schönsten Gärten der Welt, aber er ist
außerdem noch: Hemmungslos kitschig, eklektisch, bisweilen auch schaurig. Und wie in einer echten
Expedition kann der Besucher vorab kaum einsehen, wohin die Reise geht – die Anlage des Jardim,
was Portugiesisch schlicht Garten bedeutet, entfaltet sich nicht wie üblich auf weiten Flächen in der
Ebene, sondern vor allem in der Vertikalen. So geht es bergab in einen paradiesischen Pseudo-
Dschungel, der auf 600 Metern über Normalnull prächtig gedeiht.
Der Jardim Monte Tropical Palace ist eine Art Disney-Version des Botanischen Gartens: Ende des 19.
Jahrhunderts wurde das Grundstück angelegt, später um das Schlösschen Monte Palace ergänzt und
zwischenzeitlich als Hotelanlage geführt. Seit 1991 ist der tropische Berggarten nach mehreren
Jahrzehnten Stillstand nun für Jedermann geöffnet. Im Laufe der Zeit wurden Tausende Spezies aus
aller Welt angesiedelt – Azaleen und Orchideen aus dem Himalaya, Heidekraut aus Schottland,
prächtige Farne aus den heimischen Wäldern findet man hier. Zwischendrin leben Pfauen, Schwäne
und Koi-Karpfen. Alles wächst und gedeiht in tropischer Üppigkeit, das Klima ideal, um
verschiedenste Vegetationszonen abzudecken. Und trotzdem macht sich hier und dort eine schöne
Merkwürdigkeit bemerkbar, und bevor man die vollends erfassen kann, ist sie auch schon wieder im
verschwunden: Gerade, wenn’s ein bisschen arg wird mit den geschrumpften Pagoden und Bächlein
und zuckerbäckerverzierten Miniaturen, holt die prächtige Vegetation wieder in die physische Welt
zurück. Und wähnt man sich gerade, hier das umgekehrte Beispiel, beim Aufstieg durch einen
tropischen Bergwald, dann erscheinen aus heiterem Himmel blaue Flächen oder regalartige Kuben im
grünen Dickicht. So ähnlich muss es sich anfühlen, wenn die eigene Umgebung plötzlich mit einem
Super Mario-Computerspiel verschmilzt. Des Rätsels Lösung: Neben allem, was in diesen
Zaubergarten schon hineingepackt worden ist, gehören inzwischen außerdem ausgewählte
Kunstwerke dazu. Auch sonst gibt es eine Menge zu entdecken: In Nähe des oberen Eingangs
befindet sich ein Museum mit afrikanischen Skulpturen, weiter unten kann man asiatische
Drachenfiguren bestaunen oder die Geschichte der portugiesischen Seefahrer in Japan auf bunten
Kachelbildern nachlesen. Der rote Faden? Hauptsache, es kann irgendwie als schön, exotisch oder
interessant gelten – ganz im Geiste des Historizismus, der sich auch im „Monte Palace“ widerspiegelt.
Vor dieser namengebenden Villa, mitten im Park gelegen, begrüßt uns eine Mädchenfigur mit
Springseil; auf dem Hauptzugangsweg passiert der Spaziergänger eine offensichtlich nicht besonders
altehrwürdige Damenfigur mit Fackel (zusammen mit der grandios misslungenen Cristiano Ronaldo-
Büste am Flughafen von Funchal ließe sich so fast schon ein Madeira-spezifisches Faible für kuriose
Bronzestatuen ausmachen). Auch das Schlossinnere, hier und heute nur durch einige große Fenster
einsehbar, macht mit beim eklektischen Reigen: Beim kurzen Blick hinein lassen sich schon einmal
eine knallbunt gemusterte Bad Taste-Couch nebst antiken Möbeln und Klavierflügel ausmachen.
Den ultimativen Jardim Monte Tropical Palace-Moment aber gibt es vielleicht hier: Etwa in der Mitte
der gesamten Anlage, auf halber Höhe wie auch auf halber Länge, erhebt sich ein künstlich
angelegter See mit Wasserfall, Schwänen und allem, was seine Erbauer sonst vermutlich für
romantisch gehalten haben. Hier fügt sich all das zusammen, was diesen Garten so verwunschen wie
reichlich beknackt macht: Die feuchte Luft legt sich über die Arme, der kühle Wind fegt durch die
tropische Stickigkeit, und man steht ein wenig ratlos vor diesem Ensemble, das sich wie der gesamte
Park wohl nur als Gesamtkunstwerk begreifen lässt. Verzückung, Beklemmung: Hier kann man, je
nach Geschmack und Assoziationen, vieles empfinden. Irgendwo liegt eine Frauenstatue im

Plastiksarg: Wie Schneewittchen muss die arme Schöne vor dem Zahn der Zeit bewahrt werden (so
genau weiß ich es nicht mehr, denn der Anblick der in Acryl verpackten Liegenden am Seeufer
drängte uns nach draußen). Nun hat man die Wahl zwischen Abkürzung gen Ausgang und
Fortführung der Erkundung über eine längere Strecke – in jedem Fall kostet auch der Weg aus dem
Paradies zurück einige Zeit und Höhenmeter. Wenn man irgendwann dann wieder aus diesem
magischen wie morbide-skurrilen Garten hinausstolpert und vielleicht nicht die erste, sondern die
zweite Seilbahn hinab nimmt (oder ab hier auch den waghalsigen, ebenfalls sehr empfehlenswerten
Bus), dort, wo der Weg nicht mehr weiterführt, dann fühlt man sich restlos am Ende der Welt
angekommen.