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Der höchst erfolgreich Scheiternde

“Ever tried. Ever failed. No matter. Try Again. Fail again. Fail better.”



Dieses längst zu Post­kar­ten-Berühmt­heit avan­cierte Zitat von Schrift­stel­ler Samuel Beckett bringt zum Ausdruck, wieso Kunst und Schei­tern schein­bar so viel mitein­an­der zu tun haben: Ähnlich wie in den Natur­wis­sen­schaf­ten, so wird der künst­le­ri­sche Prozess auch hier als eine Art Versuchs­an­ord­nung gemäß des Trial-and-Error Prin­zips betrach­tet.


Womit über die Kate­go­rien, in denen geschei­tert wird, noch gar nichts gesagt wäre: Sind es die eige­nen Ansprü­che, die der Außen­welt oder beide? Gleich­zei­tig formu­liert Beckett hier bereits den Glau­ben an einen wie auch immer gear­te­ten Fort­schritt: Noch­mals schei­tern, besser schei­tern. Wobei offen bleibt, ob er hier­mit tatsäch­lich einen künst­le­ri­schen Fort­schritt meint, wie gern inter­pre­tiert wird (und was dann wiederum seinen Glau­ben an objek­ti­vier­bare Kate­go­rien guter und schlech­ter Kunst voraus­set­zen würde). Oder ob hier­mit nicht genau das Gegen­teil gemeint ist: Besser schei­tern als noch radi­ka­le­res, furcht­ba­re­res, folgen­rei­che­res Schei­tern.

All jene im Hamsterrad

Die Vorstel­lung vom schei­tern­den Künst­ler ist eine roman­ti­sche, wenn­gleich sie wie viele Über­zeich­nun­gen einen realen Kern hat: Aus ihr spricht die Sehn­sucht nach einem, der außer­halb gesell­schaft­li­cher Konven­tio­nen stehen kann und deshalb nicht nur schei­tern darf, sondern regel­recht bitte soll – stell­ver­tre­tend für all jene, die im Hams­ter­rad blei­ben. Der Zustand des perma­nen­ten Schei­terns wird als konsti­tu­ie­rende Eigen­schaft der Künst­ler­exis­tenz schlecht­hin betrach­tet, was sowohl als ambi­va­lent bewun­dernde Zuschrei­bung von außen wie auch als Selbst­de­fi­ni­tion für Künst­le­rin und Künst­ler selbst taugt.

Und natür­lich lässt sich das krea­tive und frei­heit­li­che Poten­tial des Nicht­er­rei­chens, des Nicht­ein­hal­tens kaum unter­schät­zen – aller­dings impli­ziert Schei­tern eben auch, dass zunächst trotz­dem ein Versuch gemacht wurde, sich und sein Tun Konven­tio­nen, Zielen und Rahmen­be­din­gun­gen zu unter­stel­len.

Auf dem Markt erfolgreich scheitern

Dass sich aus dem omni­prä­sen­ten Begriff vom Schei­tern Para­do­xes erge­ben kann, beschreibt auch Kunst­his­to­ri­ke­rin Susana S Martins in ihrem Essay „Failure as Art and Art History as Failure“: Schlechte Kunst, die schlecht sein wolle – man denke an die Bad Pain­tings von Kippen­ber­ger et al – sei eben gerade nicht geschei­tert, sondern gemes­sen an ihren eige­nen Kate­go­rien (und, neben­bei, nicht selten auch auf dem Kunst­markt) höchst erfolg­reich. Ähnli­ches gilt größ­ten­teils wohl auch für jene Arbei­ten, die 2013 in der Hambur­ger Kunst­halle in der Ausstel­lung "Besser Schei­tern" präsen­tiert wurden.

Im August prokla­mierte Annette Weis­ser in der „Zeit“ das Lebens­mo­dell Schei­tern für Künst­ler als been­det. Echtes Schei­tern, so die These, könne sich heute niemand mehr leis­ten, auch für auto­nome Künste gelte mehr denn je das Leis­tungs­prin­zip – wobei Weis­ser nahe­legt, dass Schei­tern in Zeiten des jeder­zeit zum Einsprin­gen berei­ten, virtu­el­len Ersatz-Ichs als Prin­zip eigent­lich sowieso keine große Rolle mehr spiele.

Bruce Nauman scheitert

Die Erfah­rung, dass sich ein Kunst­werk für den Künst­ler selbst selten als Erfolg anfühlt, hat Bruce Nauman in verschie­de­nen Perfor­man­ces und Film­ar­bei­ten thema­ti­siert: In den 60er-Jahren filmte er sich selbst im Studio beim Versuch, selbst gestellte Aufga­ben zu erfül­len – um schließ­lich an diesen verär­gert, frus­triert und erschöpft zu schei­tern. „Failing To Levi­tate In The Studio“ trägt das Unein­lös­bare des eige­nen Vorha­bens, nämlich im Atelier zu schwe­ben, ja bereits im Namen. Es fühle sich gut an, so Nauman, die Dinge erle­digt zu haben – aber es mochte sich keine längere Zufrie­den­heit oder Entspan­nung einstel­len. Wech­selt man von der akuten Beob­ach­tung auf die Außen­per­spek­tive, so ist jener hier im eigent­li­chen Sinne natür­lich nicht geschei­tert, war doch eben­je­nes Voraus­set­zung für die Arbeit (die längst zur viel­fach kopier­ten und adap­tier­ten Inspi­ra­ti­ons­quelle gewor­den ist).

Scheitern, finanziell und überhaupt

Bei aller Verklä­rung des Schei­terns hat jenes ja durch­aus Poten­tial, ganze Exis­ten­zen zu zerstö­ren – vor allem in finan­zi­el­ler Hinsicht: Die Liste an Millio­nen­pro­jek­ten, die schließ­lich doch nicht umge­setzt werden konn­ten, an Block­bus­tern, die zehn Mal so viel verschlun­gen wie schließ­lich einge­spielt haben und an Vapor­ware, die groß ange­kün­digt, aber niemals auf den Markt gebracht wurde, ist entspre­chend lang. Und manch ein Video­spie­ler wartet immer noch auf jene Konsole, die schon 2004 Gaming on Demand versprach - ihr Name: Phan­tom.

Scheitern als Show

Nicht zum Kunst­werk, aber doch zur gepfleg­ten Unter­hal­tung hat "Die Show des Schei­terns" eben­je­nes gemacht. Eigent­lich 2002 als Bühnen­pro­gramm in Berlin etabliert, wurde das Konzept zur Zele­brie­rung der Verlie­rer und ihrer geschei­ter­ten Vorha­ben 2011 auch in ein TV-Format über­setzt. Wobei die Defi­ni­tion von den Form­at­ma­chern aus Unter­hal­tungs­zwe­cken groß­zü­gig ausge­legt wurde: Als geschei­tert galten hier gern ille­gale, mit viel krea­ti­vem Einfalls­reich­tum umge­setzte Akti­vi­tä­ten, die dann auf die ein oder andere Weise doch aufge­flo­gen sind.

Scheitern als ultimative Selbstvermarktung

Keine nega­tive Erfah­rung, die nicht noch zu irgend­et­was nutze sein und gemäß der Losung des posi­ti­ven Denkens entspre­chend umge­deu­tet werden soll: Kaum ein Krea­tiv- und Lebens­rat­ge­ber möchte seinen Lesern das vermeint­lich massive Poten­tial des Schei­terns vorent­hal­ten, wie es in seiner roman­ti­schen Umdeu­tung auch in den Bilden­den Küns­ten (siehe oben) eine Rolle spielt. Eine kleine Auswahl an Buch­ti­teln: Schei­tern als Chance, Schei­tern als Weg; Vom Glück des Schei­terns, und natür­lich darf auch die Kunst nicht fehlen: Die Kunst des Schei­terns, Die Kunst des spie­le­ri­schen Schei­terns und jene des erfolg­rei­chen Schei­terns; Von der Kunst, hemmungs­los zu schei­tern; Schei­tern, na und?, Geschich­ten vom schö­nen Schei­tern (immer­hin kein Lebens­rat­ge­ber, sondern der Unter­ti­tel eines Roman von Kath­rin Bauer­feind).

Auf dem englisch­spra­chi­gen Lebens- und Karrie­re­ver­bes­se­rungs­markt konkur­rie­ren Buch­ti­tel wie „Why Success always starts with Failure“ oder, etwas ausführ­li­cher „ How To Use What Others Call Failure As Your Ticket To Asto­un­ding Success (Ulti­mate Success Program Book 14)“ um die Gunst poten­ti­el­ler Leser. Es gibt aber auch Gegen­ti­tel: „Schei­tern ist okay, nicht schei­tern ist okayer“ von Stefan Dörsing und Olivier Klei­ner zum Beispiel scheint zumin­dest eine Ahnung davon zu vermit­teln, dass Schei­tern im eigent­li­chen Sinne nicht zwangs­läu­fig eine Ange­le­gen­heit sein muss, die man lässig wegsteckt.


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