Stefan Jordan
„Die wichtigsten Daten sind tatsächlich die 1,3 Milliarden Sternen, für man die Position, die Bewegung, die Entfernungen und die Helligkeiten und Farbmessung hat.“
Am 25. April wurden die Daten des Teleskops Gaia veröffentlicht. – Wohl zum ersten Mal in der Geschichte geschah das, noch bevor ein einziger Forscher damit
gearbeitet hätte. Deshalb war Stefan Jordan vom Astronomischen Recheninstitut an der Universität Heidelberg klar, dass sich die Arbeitsweise seiner Kollegen nun schlagartig verändern dürfte.
Stefan Jordan
„Also eigentlich sollte ich sagen, jeden Astronomen sollte dieser Datensatz interessieren.“
Tatsächlich stürzte sich fast die gesamte Astronomengemeinde weltweit auf den Datensatz von Gaia. Seit der Veröffentlichung sind ganze 72 Studien auf das ArXiV-Portal hochgeladen worden, auf dem Forscher ihre Arbeiten noch vor dem Peer Review teilen, also noch vor der Begutachtung durch Kollegen. Noch dazu sind es Studien, für die Astronomen sonst Monate oder Jahre brauchen.
Nitya Kallivalayalil
„Well, I told myself that I wanted to do this at least once, you know, in my life.“
Nitya Kallivalayalil von der University of Virginia wollte an so einem Wettlauf mindestens einmal in ihrem Leben teilnehmen. Ihre nun in Windeseile verfasste Studie weist zum ersten Mal nach, dass die Magellanschen Wolken, also die kleinen Begleitgalaxien unserer Milchstraße selbst von noch kleineren Mikrogalaxien begleitet werden. Auch der Astrophysiker Thomas Kupfer am California Institute of Technology musste schnell sein: Er suchte und fand in dem Datensatz einander umkreisende weiße Zwerge, Neutronensterne und Schwarze Löcher, die in den kommenden Jahren messbare Gravitationswellen aussenden könnten.
Thomas Kupfer
„Ich bin nachts um fünf aufgestanden und habe dann praktisch sofort alles aufgemacht und alles angeschaut. Wir haben da tatsächlich seit Wochen hingefiebert, bis es endlich kommt. Man muss auch sagen, dass der Gaia-Datenrelease nichts schuldig geblieben ist.“
Die wissenschaftliche Bilanz ist gemessen am normalen Tempo astronomischer Forschung enorm: Forscher fanden rasend schnelle Sterne in der Milchstraße. Sie identifizierten einen Roten Riesen, in dessen Zentrum ein Neutronenstern sitzt – ein exotischer Sternentyp also, der bisher nur theoretisch vorhergesagt worden war. Zuletzt bestimmten Astrophysiker die Hubble-Konstante genauer als je zuvor, die beschreibt, wie schnell das Universum expandiert. Solche großen Entdeckungen allerdings noch vor einem regulären Peer Review zu veröffentlichen, also dem wissenschaftlichen Vieraugen-Prinzip, ist unüblich – und war aus der Sicht von Stefan Jordan in einigen Fällen wohl auch etwas überstürzt.
Stefan Jordan
„Wenn ich ein Paper schreibe, dann warte ich eigentlich damit, es den Preprint-Server zu stellen, bis der Referee das Paper auch begutachtet hat und es freigegeben ist. Aber in diesem Fall haben tatsächlich wohl viele Leute Angst, dass andere mit der Interpretation schneller sind. Und daher gibt es einen gewissen Run darauf, dass man die ersten Veröffentlichungen haben will.“
Die Geschwindigkeit neuer Erkenntnisse ist wohl ein Zeichen dafür, wie viel einfacher die bisherige Arbeit der Astronomen dank der Gaia-Daten geworden ist. Und besonders einfach zu beantwortende Fragen bearbeiten die Forscher nun als erstes, allerdings ohne danach einfach aufzuhören, sagt Nitya Kallivalayalil.
Nitya Kallivalayalil
„In this case as I said I had already set up a question that I wanted to answer. But I found that just actually getting my hands dirty with the data, even if I was trying to do it fast, it gave me a lot of additional ideas.“
Übersetzerin:
In diesem Fall hatte ich mir ja schon vorab eine Frage überlegt, die ich beantworten wollte. Aber als ich anfing, mir die Hände mit den Daten schmutzig zu machen, stellte ich fest, wie mir viele neue Ideen kamen. Und das, obwohl ich es so schnell machen musste.
Der aktuelle Sturm immer neuer Studien aus den Gaia-Daten wird sich über die nächsten Monate vermutlich beruhigen. Die Suche nach tiefgreifenden Erkenntnissen aus dem Universum wird aber Jahre brauchen und hat wohl gerade erst begonnen.
Original