Auf dem Fahrrad durch Marrakesch? Klingt absurd, macht aber Spaß. Denn es gibt neue Radwege, Bikesharing - und geführte Radtouren durch die Altstadt. Dabei geht es zu Orten, die in keinem Reiseführer stehen.
Mopeds, die durch belebte Gassen düsen, Eselskarren, die geschickt um Ecken manövriert werden. Fußgänger, Stimmengewirr, der Duft von Gewürzen, Läden mit bunten Waren vor der Tür - eine Tour durch die Medina, die Altstadt Marrakeschs, ist schon zu Fuß ein Abenteuer. Doch es geht noch besser: Aufgesattelt und mit dem Fahrrad hinein ins Getümmel! Klingt verrückt? Ja, macht aber richtig Spaß - und liegt im Trend.
Erste Tourenanbieter haben das Fahrrad als neuestes In-Gefährt für Besucher entdeckt, und auch die Stadt hofiert seit Kurzem die Radler: Mit Medina Bikes wurde das erste Bikesharing-System Afrikas installiert, und auf breiteren Straßen außerhalb der dicken Altstadtmauern gibt es jetzt Fahrradspuren.
Umweltschutz ist auch in Marokko ein Thema. König Mohammed VI. setzt sich persönlich dafür ein. Da passt die Renaissance des Fahrrads, eigentlich hierzulande bisher eher Fortbewegungsmittel der armen Leute, bestens in Bild.
Die ersten Meter im Verkehrschaos sorgen bei Anfängern allerdings erst einmal für Schweißausbrüche. Dem Tourguide ist das egal. „Yalla, los geht's!", ruft Issam. Wir treten in die Pedale, erst zaghaft, dann zügig, und sind überrascht, wie einfach es geht: Unsere Räder fädeln sich ein, plötzlich sind wir Teil des Stroms auf dieser berstenden Straße. Um uns herum hupen Autos, knattern Motorroller, aber niemand stößt mit uns zusammen. Es scheint sogar so zu sein, dass die anderen Rücksicht auf uns Radler nehmen.
250 Fahrräder von Amsterdam nach Marokko gebrachtVom Fahrradsattel aus verändert sich die Perspektive. Wir fühlen uns tatsächlich nicht mehr nur als Touristen, sondern als Verkehrsteilnehmer wie alle anderen - und Akteure des öffentlichen Lebens. Zu verdanken haben wir dieses Gefühl auch der 26-jährigen Niederländerin Cantal Bakker, die als eine der Ersten Stadtrundfahrten mit dem Rad anbietet.
Als die frühere Kunststudentin vor drei Jahren nach Marokko kam, fühlte sie sich auf Anhieb so wohl, dass sie blieb. Sie liebte es, durch die Souks in der Altstadt zu schlendern und sich in den engen Gassen zu verlaufen, bis sie irgendwo wieder herausfand. Trotzdem nervte sie etwas als Fußgängerin. „Jeder wollte mir etwas verkaufen, ich wurde ständig angesprochen."
Alles änderte sich, als sich Cantal Bakker ein Fahrrad kaufte. „Plötzlich war ich diejenige, der die Leute etwas abkaufen wollten. Jeder wollte mein Fahrrad haben." Sie konnte in kürzerer Zeit mehr von Marrakesch sehen und lernte, sich zurechtzufinden. So entstand die Idee für ihr Projekt - die Initiative Pikala Bikes. „Pikala" ist Arabisch und bedeutet „Fahrrad".
Mit einem Überseecontainer brachte Cantal Bakker 250 verwaiste und von den Behörden beschlagnahmte Hollandräder von Amsterdam nach Marokko. Sie bekam die Räder gratis und zollfrei - mit der Auflage, sie nur für ihr soziales Projekt zu nutzen. Sie schafft Jobs und ist allein deshalb im Rathaus eine gern gesehene Gesprächspartnerin.
Wundervolle Orte, die in keinem Reiseführer stehenHeute, zwei Jahre später, hat Bakker 90 junge Marokkaner in ihr Projekt involviert, sie zu Tourguides und Fahrradmechanikern ausgebildet oder darauf vorbereitet. Ihr Projekt bekam unverhofften Schwung, als 2016 die UN-Klimakonferenz in Marrakesch stattfand und mehrere große Sponsoren auf Pikala aufmerksam wurden.
Einer, der jetzt eine berufliche Perspektive hat, ist Issam Facil. Der 22-Jährige ist Englischstudent und zeigt uns Marrakesch, zusammen mit Amina Bouibi, die gerade zum Guide ausgebildet wird. Issam arbeitet schon seit einem Jahr für Pikala.
„Der Job war das Beste, was mir passieren konnte. Ich brauchte Geld, und ich mag es, fremde Menschen und Kulturen kennenzulernen." Seine Tour hat er selbst zusammengestellt, gemäß dem Ratschlag seiner Chefin: „Mach es persönlich." Und so erleben wir wundervolle Orte, die in keinem Reiseführer zu finden sind.
Wir halten am ältesten Bad der Stadt, einem Hammam. „Lasst die Fahrräder hier stehen und kommt mit, ich will euch etwas zeigen. Amina bleibt solange hier und passt auf", sagt er und verschwindet in einem dunklen Loch in der Mauer. Wir hinterher, es geht eine Treppe hinab.
Wie aus einer anderen Zeit steht dort gebeugt ein Mann in abgewetztem Hemd, ab und zu wirft er Stroh in die qualmende Luke vor ihm. Unser Auftauchen scheint ihn nicht sonderlich zu überraschen, Issam kommt öfter mit Touristen vorbei. Der alte Mann ist der Wächter des Feuers „Hier sind wir unter dem Hammam. Das Feuer muss 24 Stunden am Tag brennen, deshalb schläft der Wächter sogar hier", erklärt Issam.
Die meisten Marrakchis gehen einmal pro Woche ins Hammam. „Hier erfährt man immer den neuesten Klatsch und Tratsch", sagt Issam. Auch uns erscheint die Vorstellung einer traditionellen Seifenmassage in einem Dampfbad jetzt verlockend, aber die Tour geht weiter. Wir steigen die Stufen empor ans Tageslicht. Das Wetter ist ideal zum Radfahren, draußen sind es milde 22 Grad, es weht eine leichte Brise.
Marrakesch ist flach, die Radtour gut zu schaffenEin paar populäre Sehenswürdigkeiten wie die Altstadt, die Koutoubia-Moschee oder das Viertel Gueliz steuert Issam auch an. Wir sehen aber vor allem Orte, die unter Touristen noch fast Geheimtipps sind, etwa das „Café Clock".
Hier erfrischen wir uns zwischen Graffitis an den Wänden und 70er-Jahre-Einrichtung, eine hausgemachte Minzlimonade in der Hand. Der Laden ist ein Anlaufpunkt der Künstlerszene Marrakeschs, es gibt günstiges Essen, dazu Lesungen, Livemusik oder Hennamalerei; hier sind Touristen und Einheimische gleichermaßen willkommen.
Frisch gestärkt, dreht Issam mit uns eine Runde über den Secondhandmarkt, auf dem von Geschirr bis zu Autoteilen alles Mögliche verkauft wird. Während der vier Stunden, die wir unterwegs sind, radeln wir zwölf Kilometer.
Marrakesch ist flach und die Fahrt leicht zu bewältigen. Und so kommen wir so gut voran, dass wir auch Gegenden außerhalb des Stadtzentrums erkunden. Wir fahren auf den markierten Fahrradwegen breit ausgebauter Straßen - fast schon kommt Entspannung auf im turbulenten Marrakesch.
In die Bäckerei kommen nur EingeweihteKurz vor Schluss entführt uns Issam wieder in einen dunklen Hauseingang. „Das ist eine Bäckerei." Wie so oft findet sich kein Schild oder sonst ein Hinweis auf das Geschäft über der Eingangstür. Einheimische huschen hinein und kommen mit Brotbündeln wieder heraus.
Innen ist es heiß, der Boden bedeckt von Tellern und flachen Schüsseln, die mit Tüchern abgedeckt sind. Es duftet nach frischem Brot und trockenem Lehm. „Hierher bringen viele Familien ihre Teige, die sie zu Hause vorbereitet haben", erklärt Issam.
Auf unserer Rückfahrt zur Pikala-Werkstatt durchqueren wir einen Teil der Agdal-Gärten, in dem wir kaum Menschen treffen, aber Rosen am Wegesrand bewundern. Ein Kontrapunkt zur pulsierenden Altstadt. Kaum sind unsere Räder durch eines der Stadttore gerollt, empfängt uns wieder ihr Hupen, Knattern und Klappern. Doch wir sind inzwischen geübt und fließen wie von allein mit dem Strom.
Tipps und InformationenAnreise: Etwa mit Ryanair ab Berlin-Schönefeld nonstop nach Marrakesch, mit Eurowings oder Lufthansa von München, ab Frankfurt fliegt neben der Lufthansa auch der Billigflieger Air Arabia Maroc ohne Stopp.
Angebote zum Radeln: Eine vierstündige Tour mit Pikala Bikes kostet etwa 23 Euro. Zwei Tourguides begleiten eine maximal achtköpfige Gruppe. Die Fahrräder sind auf ihre Sicherheit hin überprüft. Für Unfälle haftet die Organisation nicht ( pikalabikes.com). Pikala Bikes bietet neben den Touren auch Kurse zu Verkehrssicherheit und Fahrradreparatur für marokkanische Kinder und Jugendliche an. Partner von Pikala Bikes ist die TUI Care Foundation ( tuicarefoundation.com), die weltweit Bildung und Ausbildung von jungen Menschen sowie Umweltschutz in Urlaubsregionen fördert. Alternativer Anbieter für Radtouren ist Baja Bikes, das eine dreistündige Tour zu den Highlights der Stadt für 35 Euro im Programm hat ( bajabikes.eu). Wer auf eigene Faust radeln möchte, kann auch Afrikas erstes Bikesharing nutzen, Tagespass: rund 12 Euro ( medinabike.ma).
Auskunft: visitmorocco.com
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von TUI Care Foundation. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter axelspringer.de/unabhaengigkeit. Original