Neven Klepo ist in Bosnien geboren. Seit 25 Jahren lebt er in Deutschland. Trotzdem darf er am 24. September nicht wählen: Weil er keinen deutschen Pass hat. Denn den Bundestag wählen nur deutsche Staatsbürger. Mehr als acht Millionen Menschen sind deshalb von der Wahl ausgeschlossen. Klepo zahlt zwar Steuern, darf aber nicht mitbestimmen, was mit den Steuergeldern geschieht.
"Ich bin halt politisch auch sehr, sehr interessiert und es könnte auch meine eigene Zukunft beeinflussen, sodass ich da auch sehr gespannt bin auf die Ergebnisse. Das ist ein komisches Gefühl, weil man ganz genau weiß, dass bald sehr viele Menschen wählen dürfen, und ich lebe hier und stehe an der Seite und kann eigentlich wenig machen."
Voll integriertMit sechs Jahren kam Neven Klepo mit seiner Familie aus Bosnien nach Deutschland. In der Nähe von Köln ist er aufgewachsen, ging dort zur Schule, er lernte nicht nur Deutsch sondern auch Kölsch. Später zog die Familie nach München um. Sein Lieblingsverein ist der FC Bayern - beim Interview trägt er ein Poloshirt mit dem Vereinswappen. Klepo ist längst in Deutschland angekommen und integriert: Er hat Politikwissenschaft studiert und macht derzeit an der Universität in Jena seinen Doktor. Seit vielen Jahren engagiert er sich ehrenamtlich, vermittelt junge unbegleitete Flüchtlinge in Ausbildung und berät Asylbewerber. Er hätte das Wahlrecht verdient, findet er:
"Gerade weil ich auch in einer gemeinnützigen Organisation mein ganzes Leben lang gearbeitet habe und sehr viel für diesen Staat gearbeitet habe, glaube ich, wäre es gerecht, dass ich wählen darf."
Nur Deutsche gehören zum VolkAber bisher darf er eben nicht wählen - weder seinen Bundestagsabgeordneten, noch bei Landtagswahlen, nicht einmal seinen Bürgermeister. Grund dafür ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1990. Darin heißt es:
"Das Staatsvolk wird nach dem Grundgesetz von den Deutschen, also den deutschen Staatsangehörigen gebildet. Damit wird für das Wahlrecht die Eigenschaft als Deutscher vorausgesetzt."
Ein Grundsatzurteil: Es gehört also nur zum Volk, wer einen deutschen Pass hat. Dabei steht das so gar nicht im Grundgesetz - Das sagt zumindest der Staatsrechtler Hans Mayer im ARD-Politik-Magazin Monitor:
"In dem entscheidenden Artikel 20, wo dem etwas zu den Wahlen für das Parlament, das Bundesparlament geregelt ist, steht nur 'Volk'. 'Das Volk wählt'‘. Und nicht: 'Das deutsche Volk wählt'. In dem Moment, wo man das als deutsches Volk interpretiert, reduziert man die möglichen Wahlberechtigten auf die Staatsangehörigen."
Ausländer zweiter Klasse?Man könnte das Grundgesetz also auch anders auslegen. EU-Bürger aus Frankreich, Italien oder Bulgarien dürfen in Deutschland immerhin kommunal wählen. Sind Menschen aus Nicht-EU-Staaten, sogenannten Drittstaaten, wie Neven Klepo, Ausländer zweiter Klasse?
"Dass in allen EU-Ländern alle EU-Bürger sich an Kommunalwahlen beteiligen dürfen, das ist - denke ich - angesichts der besonderen Bedeutung des gemeinsamen Europas richtig, aber jedem Ausländer von außerhalb Europas mitwählen zu lassen, hielte ich für verfehlt. Das ist ja keine Wahl dritter Klasse wenn man den Stadtrat von München wählt, das hat auch eine erhebliche politische und staatsrechtliche Bedeutung."
Kommunalwahlen sind also für Herrmann offenbar zu wichtig, um sie für Ausländer zu öffnen. Nicht der einzige Grund, warum der Minister das Wahlrecht für Ausländer ablehnt.
"Wir erleben das gerade in der Diskussion mit der Türkei, dass gerade auch Leute, die schon lange in Deutschland leben, sich an den Wahlen in der Türkei beteiligen und in einem noch höheren Maße, als es die Menschen, die in der Türkei leben tun, sich für die Politik von Erdogan aussprechen. Wir sehen, was wir da an Konflikten ins eigene Land holen."
Mit 1,5 Millionen Menschen sind die Türken die größte Gruppe von Ausländern in Deutschland. Gäbe man ihnen das Wahlrecht, dann könnten sie auch eigene Parteien gründen. Etwa eine Art deutsche AKP- das befürchten zumindest Gegner des Ausländerwahlrechts.
Deutsches Wahlrecht vergleichsweise konservativTrotzdem: Verglichen mit Ländern wie Spanien, Schweden oder Ungarn ist das deutsche Wahlrecht eher konservativ. Denn in 15 der 28 EU-Staaten dürfen Ausländer aus Drittstaaten, wie Neven Klepo, zumindest kommunal, also bei Bürgermeisterwahlen und Bürgerentscheiden, mit abstimmen. Die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz wollte das 2014 auch in Deutschland einführen - die Union blockierte den Vorschlag. In manchen Ländern ist das Wahlrecht übrigens gar nicht an die Staatsbürgerschaft geknüpft: In Neuseeland zum Beispiel darf man sogar als Nicht-Staatsbürger bei nationalen Parlamentswahlen abstimmen - vorausgesetzt man lebt seit zwei Jahren in Neuseeland und hat eine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis.
Neven Klepo könnte inzwischen den deutschen Pass - und damit auch das Wahlrecht - bekommen. Für ihn kommt das im Moment aber nicht in Frage:
"Aber Entschuldigung: Wenn ihm der kleine Bauernhof in seiner Heimat,
wofür ich emotional großes Verständnis habe, wenn ihm der wichtiger ist
als die deutsche Staatsangehörigkeit, dann ist das doch kein Grund, um
zu sagen, dass er dann in Deutschland wählen muss. Dann soll er in
Bosnien weiter wählen", sagt Joachim Herrmann, Bayerischer Innenminister.
Wenn es nach dem Bayerischen Innenminister geht, dann wird es kein Wahlrecht für Ausländer und keinen Doppelpass für Menschen aus Drittstaaten geben.
Hoffnungen für eine Änderung des WahlrechtsNeven Klepo ist aber zuversichtlich, was das Wahlrecht angeht: "Deutschland wird sein Selbstverständnis insoweit ändern, dass man einfach sieht: Die ausländischen Mitbürger sind Teil dieses Staates, sind Teil unserer Gesellschaft und dementsprechend müssen wir ihnen auch politische Teilhabe geben."
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