2 subscriptions and 3 subscribers
Article

Ein Blick nach vorn

Die weltweite Ausbreitung von Covid-19 führt für Gastronomen nicht gerade zu einem beruhigten Blick auf das Jahr 2020. Ein Frühling ohne French 68? Ein Sommer ohne Scotch Sour? Vielleicht nicht. Ein Blick auf die Branche stimmt hoffnungsvoller als so manches Untergangsgerede meinen lässt.

Von Juliane Eva Reichert.

Bloß keine weitere Einleitung mit den Worten „Es sind besondere Zeiten, die wir da gerade durchleben - gerade in der Getränkebranche." Denn vermutlich haben Sie bereits davon gehört: Die Pandemie ist da. Die Lieblingsbar fort. Zumindest in der gewohnten Hausnummer zu alltäglicher Stund. Es war ein kurzes Ringen, und innerhalb einer knappen Woche war der Drops gelutscht: Bars zu. Was für einen jeden Gastronom ein existenzieller Schlag ins Gesicht bedeutete, führte bei einigen davon zum altbewährten Noterfindertum. Drinks wurden zum Abholen angeboten und, als so manches juristische Fragezeichen beantwortet war, auch ausgeliefert. Doch das war erst der Anfang.


Binnen nur weniger Tage hat sich herausgestellt, dass es gar nicht so einfach ist, Bartendern und Industrie den Job zu vergällen. Gemeinsam werden die Ärmel hochgekrempelt, und das Netz floriert von Cocktail-Selfies auf dem Balkon nach erfolgreicher Lieferung aus der Lieblingsbar, von so genannten „Unboxing"-Clips verschiedener Tasting Sets über Angebote von Online-Tastings bis hin zu, Obacht, kontaktfreien Hausparties.

Was hier nun folgt, ist ein unvollständiger, gleichwohl unverzagter Überblick verschiedener Aktionen im deutschsprachigen Raum, die dabei helfen, nach vorn zu blicken.


Holen und bringen

Natürlich kann man auch selbst den Shaker schwingen, und gewiss wird das innerhalb einiger Jahre auch ähnlich gut werden. So lange wird es aber hoffentlich nicht dauern und ganz ehrlich - Verzicht in puncto Lieblingsbar ist für keinen gesund.

Sehr vorbildlich und vor allem fix hat das Köln vorgemacht. Ob Seiberts oder Suderman, ob Little Link oder die Grid Bar - hier ist man in erster Sekunde für Notfälle gewappnet gewesen. An die Lage der Nation angepasst, wird mancherorts sogar Essen mitgeliefert, wie im Wiener Moby Dick oder dem Frankfurter Hunky Dory - dort sogar noch plus Waschmittel.

Desinfect the Distressed

Da die Liste der Lieferservices deutlich zu lang ist, um sie vollständig auszuführen, sollen die Beispiele als pars pro toto weiterer Möglichkeiten dienen. Tatsächlich arbeitet man in diesen Zeiten zusammener denn je; und nein, „zusammener" ist kein reguläres Adverb, aber man muss es jetzt einführen. So zum Beispiel im Hamburger Drilling, wo man mit der Traditions-Apotheke vor Ort Händedesinfektionsmittel herstellt: Die Bar liefert den Stoff, die Apotheke verarbeitet. Ähnliches gilt für die Knut Hansen Dry Gin Destillerie, die sich mit der Apothekenkammer kurzgeschlossen hat, um flächendeckend dafür zu sorgen, dass die Apotheken vor Ort ausreichend Rohalkohol zur Verfügung haben. Auch aus dem „Punk IPA" aus dem Hause BrewDog wurde inzwischen Brewgel Punk Sanitiser.


Nach vorne denken - und zahlen

Es mag ein wenig wie Poker anmuten - aber eine Variante davon, bei der man mehr auf Vertrauen denn auf Tricks setzt. Zwar weiß keiner, wie lange eine Gastronomie die Schließungszeit durchhalten wird und ob der Kauf eines Gutscheins für den Konsum in der Zukunft noch eingelöst werden kann. Doch je mehr mithelfen, desto wahrscheinlicher ist es. Prinzip Solidarität eben. Ein Vorzeigeprojekt befindet sich beispielsweise in der Schweiz. Auf dieser Plattform sind Gutscheine für die landesweite Gastronomie erhältlich; Bedienbarkeit: ein Traum. Ein deutsches Pendant ist Support My Locals. Vorfinanzierung lautet die Devise, und die hilft deutlich weiter als nur für einen Abend in Form von feuchter Fröhlichkeit. Angostura verschenkt außerdem Produkte an Berliner, die ihren Gutschein bei einer Bar einer ausgewählten Riege zeigen; vom Brand Ambassador höchst selbst geliefert. So geht Gemeinschaft.

Daheimbleiben klappt auch in Wien; besonders, wenn die gute Aussicht aus den eigenen Reihen kommt. (Foto: Adobe Stock (Heike)) Wunder aus der Wirtschaft

Denn auch die Industrie schläft keineswegs. Bacardi schnürt ein Millionenpaket und bietet Bartendern unter #raiseyourspirits ein Spektrum aus Jobs mit vorzeitiger Bezahlung, zudem ein wenig Influencertum sowie die Kollaboration mit Brand-Kollabo Support Your Local Bar. Letztere unterstützt Bartender mit Rettungsfonds und Crowdfunding, wohingegen Gäste zum Online-Trinkgeld aufgerufen werden. Dies geschieht natürlich auch auf internationaler Ebene: Brown-Forman spendet eine Millionen US-Dollar an NGOs, die der Gastronomie helfen, und auch Diageo geht mit Johnnie Walker auf Stiftungskurs.

Ebenso in der Schweiz ist die Devise: Der heimatliche Tresen muss jetzt genügen; immerhin gucken alle in dieselbe Landschaft. (Foto: Adobe Stock (karegg)) Stimmungsaufheller

Am Ende hilft es oft einfach zu wissen, dass keiner von uns allein ist. Dass wir mit ähnlichen Sorgen ins Bett gehen und mit neuen Ideen aufwachen. Wie auch immer diese Idee in zumindest Österreich geartet ist - es lohnt sich, eine jede Initiative, ein Projekt oder Aufruf unter der Prämisse #mutmachen an diese Stelle zu versenden. Oder sich eben dort Mut zu holen. Wer Homeschooling und Home Drinking verbinden möchte, dem seien derzeit Tastings für die heimische Couch angeboten; dabei sind Orte wie Tastillery, Malts@Home oder die Rügener Inselbrauerei, nur wenige Möglichkeiten aus unzähligen Online-Angeboten. Oftmals gibt es im Übrigen nicht nur den Stoff zu erstehen, sondern auch die digitalen Gesprächspartner dazu!


Dann eben online: Auf den gemeinsamen Umtrunk muss keiner verzichten - die Angebote sind da. (Foto: Adobe Stock (ake1150)

Und dann sind da, wie immer, die Regelbrecher: „Party ins Wohnzimmer bringen"? Beinahe, weil ja Kontaktabstand: Jägermeister streamt über die Facebook-Präsenz von Jägermeister DJ-Acts der Stunde, die dazugehörigen Drinks gibt's hier. Oder eben im Schwung Ihrer kreativen Hand am Shaker. Es gibt keine Ausreden mehr.


Original