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Der Greenpoint Cocktail: Ein spezieller Heiliger "

Ist der Greenpoint Cocktail nichts weiter als ein vergessener Manhattan-Twist, der lediglich unter der Bartenderschaft noch Beachtung findet? Während eine kleine Umschau in der Szene geteilte Resultate zeigt, ist Tom Waits da eindeutiger.

Der Greenpoint ist ein Drink, dem man Allgegenwärtigkeit nun nicht gerade zusprechen kann. Ursprünglich als Manhattan-Twist gedacht - dem deutlich populäreren Cocktail - hat es der Drink zwar in Jim Meehans Das geheime Cocktailbuch geschafft und war so geheim damit plötzlich auch nicht mehr. Zum unverzichtbaren Mitglied der gängigen Klassiker-Riege jedoch hat er es auch nicht so recht gebracht. Irgendwo hängengeblieben in der Kurve zwischen einem vergessenen Klassiker und dem in Bartender-Kreisen längst etablierten After- (oder auch During-)Work-Drink, ist der Greenpoint Inbegriff der Berliner Oszillation zwischen „schon" und „noch" in puncto Trendfragen. Dabei ist der Greenpoint überhaupt gar nicht aus Trendsetting, sondern aus Eitelkeit entstanden. Ähnlich, aber anders.


Von grünen Punkten zu braunen Pfützen

Nämlich hatte Michael McIlroy zu Anfang der Zweitausender in der New Yorker Bar Milk & Honey zu arbeiten begonnen, jener Bar, deren Auswirkung auf unsere heutige Auffassung von Barkultur noch immer nicht wirklich ausreichend zu beziffern ist. Den Manhattan hatte es schon lange gegeben und so hieß der derzeitige Hausdrink „Red Hook" - ebenfalls in Gedenken an einen New Yorker Stadtteil und kreiert von seinem Kollegen Enzo Errico. „Alliterationen im Namen kann ich", dachte sich McIlroy, eine Bleibe in einem New Yorker Stadtteil auch, da sollte der Signature Drink jenes Stadtteils für den Tresen ein Klacks sein. Und so war es auch. Weil McIlroy also in Greenpoint wohnte - dem nördlichsten Bezirk von Brooklyn und damit sozusagen eingeklemmt zwischen East River und dem heutigen Obertrendviertel Williamsburg -, sollte der Drink grün werden. Geschmacklich allerdings ließ sich die leichtere, nämlich gelbe Version der Chartreuse allerdings besser an und so steht in seiner Originalrezeptur des Greenpoint Cocktail gelbe Chartreuse. Wird gelegentlich anders behauptet, ist aber falsch. Immerhin ist das ein ausgezeichneter Gesprächsstart, denn einen „Greenpoint" zu bestellen und eine goldbraun leuchtende Pfütze zu bekommen (als würde sich ein wenig Chartreuse gegen Whiskey und roten Wermut farblich durchsetzen können), darf schon einmal Fragen aufwerfen. Die haben wir auch Bartendern gestellt, in Deutschland, Europa und der Welt.

Laura Maria Marsueschke aus der Neuköllner Thelonious Bar musste die Rezeptur des Drinks in Bars oft ansagen: „Ist so'n bisschen der kleine hässliche Cousin, mit dem früher keiner spielen wollte. Der aber eigentlich eine ziemlich coole Sau ist." Und wie das eben bei dem eigentlich coolen Cousin immer war, fragt man sich heute, was denn da eigentlich gestört hat. Falsche Klamotten? Schönere Sandburgen? Keine Legotausch-Kompetenzen? Marsueschke weiß es auch nicht so recht: „Ein paar Löffel Chartreuse zuviel und der Drink ist dahin; mit den Bitters im Grunde genauso: Man muss den Drink wahnsinnig vorsichtig zubereiten." Wie bei den meisten Manhattan-Twists. Sensibel ist der Cousin also auch noch.

Aus empirischer Rückschau auf längst vergangene Schultage lässt sich vermutlich vielerorts feststellen, dass beinah allesamt der ehedem beliebten Klassenclowns heutzutage ziemlich langweilige Jobs haben. Die sie natürlich gut ausführen - so, wie das eben eine angemessene Melange vom richtigen Gin im passenden Tonic tut. Ist eben eher der Agenturjob unter den Drinks, weniger der der Steinmetz. Der wirkt erst einmal etwas kauzig, komisch und regelrecht klotzig. Quasi der Gérard Dépardieu unter den Drinks. Der hat schließlich auch eine ganze Weile gebraucht, bis die Welt gesehen hat, was er kann, dann allerdings mit Nachdruck. Da ist der Greenpoint Cocktail in der derzeitigen Barszene bei weitem nicht angekommen, er ist noch Gérard als kleiner Cousin. Dafür allerdings wahnsinnig beliebt unter den Bartendern. Gemäß Marsueschke liegt das vor allem daran, dass er eben gerade nicht den Fame hat, den andere Drinks haben. Laut ihr genießt er als Bartender-Drink sein „Underdog-Image. Klein, stark, sexy, außerdem Chartreuse." Fast wie der kleine Gérard, früher.


Potenzial mit Prozenten

In der Bar am Steinplatz - durch das ästhetisch-liquide Transparenzkonzept zuletzt in aller Munde --indes, spielt der Greenpoint keine Rolle. Beinah angenehm, dass hier endlich irgendetwas einmal keine Rolle spielt! Anne Linden, Head Bartenderin in der Bar am Steinplatz, hatte zuletzt einmal mit MIXOLOGY-Autor Peter Eichhorn über den New Yorker Vororts-Drink gesprochen. Da wurde sich gerade langsam an eine passende Mischung herangetastet. „Allerdings haben wir bei diesem Experiment einen Cask Strenght Single Malt von der Speyside genommen. Mein bisheriger Eindruck von dem Drink ist, dass es weniger darum geht, den Whiskey mit dem Wermut zu ‚schmücken' (wie beim Manhattan), sondern dass wirklich alle Zutaten als eigene Instanz betrachtet werden müssen", so Linden.

Arina Nikolskaya, Head of Moscow Bar Show, bestärkt die bisher genannten Eindrücke: „Meiner Beurteilung nach ist der Greenpoint Cocktail ein absoluter Bartender-Drink. Und selbst im Falle, dass die Gäste um die grandiosen Klassiker-Skills einer Bar wissen, bestellen sie immer noch lieber einen Manhattan oder Brooklyn; die kennt man einfach besser." Irgendwie sollte man ihn schon öfter bestellen, findet auch Nikolskaya. Dennoch kennt man in der internationalen Barszene niemanden, der den Greenpoint auf irgendeine Art weiterentwickelt oder gewissermaßen ins Jetzt holt. „Ich habe das Gefühl, dass die Bartender-Industrie sich derzeit auf komplett andere Drink-Styles fokussiert, wie beispielsweise auf solche mit weniger Umdrehungen, gesunden Zutaten, auf Extraktionen, Zero Waste und all das." All Booze Drinks sind einfach nichts, womit besonders viele Leute umgehen können, so Nikolskayas persönlicher Eindruck. „Zu hochprozentig" ist im Übrigen eine gängige Antwort, die man sowieso mit steigender Häufigkeit hört.

Ganz ähnlich geht das auch Timo Janse, Besitzer des Flying Dutchmen in Amsterdam: "Ich habe seit Ewigkeiten keinen Greenpoint mehr gemacht." Mögen tut er ihn dennoch, als liquides Bindeglied innerhalb der Bartenderschaft. Und noch weiter weg vom Greenpoint Cocktail ist Alex Ruas, ehemaliger Bartender im Osloer Himkok und mittlerweile Co-Founder der Consultingfirma Behind the Bars und Geschäftsführer bei Taptails. "Der Drink ist in Norwegen so gar nicht angekommen. Werde mir die Tage aber mal einen bestellen und berichten." Der Bericht blieb aus. Und wenn einer wie Ruas den Drink nicht kennt, ist es verdammt schwierig, von einem Klassiker zu sprechen.


Aus Kleinmachnow in den Kiez

Man darf und muss es laut sagen, der Greenpoint steht in der Barszene - zumindest bei der, die sich primär vor dem Tresen aufhält - den großen New Yorker Borough Drinks wie Manhattan, Bronx und Brooklyn doch um einiges nach. Liegt das schlichtweg am Barlegenden webenden Klang New Yorks oder braucht tatsächlich jede Vorstadt ihren eigenen Drink? Sie haben völlig Recht, diese Frage war eine rein rhetorische. Logo, das New York der Prohibitionszeit mag die internationale Barszene deutlich stärker katalysiert haben als jene in Hamburg oder Berlin. Die Vorstellung eines Bartenders, der im Curtain Club seinen Drink namens „Kleinmachnow" serviert, bleibt dennoch eine krude, wenn auch inspirierende Vorstellung.

Und wenn man seinen Drink nun zwingend nach dem Vorort einer szenefähigen Stadt benennen möchte, warum dann nicht ein bisschen auf die Szeneorte? Greenpoint zum Beispiel besitzt zu einem Viertel polnische Einwohnerschaft. Weil Greenpoint nach Chicago die größte polnische Gemeinde ist, wird es daher auch „Little Poland" genannt. Hätte man im Grunde also auch mal über einen Drink mit Sliwowitz nachdenken können. Oder eben Vodka. Dass man als barthematisch vergleichsweise unbescholtener Gast mit allgemeinem Hintergrundwissen aber weniger an einen Whiskey aus den USA, einen italienischen Wermut und einen französischen Klosterlikör denkt, ist eigentlich klar. Man kann es drehen und wenden, die etymologische Geschichte des Drinks bringt es nicht zum Verkaufsschlager. Da haben selbst Inhalte wie die des Singapore Sling oder des The Parisian noch mehr mit ihren Ursprungsregionen zu tun als der Greenpoint Cocktail. Doch ganz ehrlich - wenn es einfach ist, macht es auch keinen Spaß. Und so regt der Greenpoint an zum Nachsinnen über seine eigentliche Verortung. Ob vor oder hinter der Bar, ob fertiger Twist oder bereit zum Getwistetwerden, oder ob als Inbegriff für oder gegen seine Ursprungsregion. Greenpoint heißt, dass man darüber sprechen muss, um ihn zu verstehen; dass es da etwas gibt, das man nicht sehen kann.


Greenpoint Cocktail: Twist and Shout

In puncto Immigration löblich weitergedacht hat hier die Dresdner Twist Bar. Der Gedankengang des Bar Managers Marlon Kutschke basiert auf zwei Komponenten - den Zutaten des Drinks; und Dresden selbst. Innerhalb der Zutaten hat er den Rye Whiskey durch einen Blended Scotch ersetzt: „Sozusagen immigriert aus Übersee", so Kutschke. „Der Wermut wird durch einen fruchtigen Rotwein ersetzt und der Drink final mit Rosmarin geräuchert", und wir haben direkt Lust auf einen Dresden-Trip. Also, zumindest in die Twist Bar. Denn insgesamt stach Dresden durch die letzten Geschehnisse in Chemnitz nicht zwingend als Ausflugsziel ins Auge. Der Grundgedanke war also, dass der Grundcharakter des Drinks beibehalten werden sollte, gleichwohl mit teilweise neuen Zutaten. „Dazu kommt auch, dass unsere schöne Stadt leider auch regelmäßig in den Medien für, na, sagen wir mal ‚eine spezielle Auffassung' zum Thema Immigration erwähnt wird." So wahr, so inspirierend für Kutschke: „Dies war für uns eine zusätzliche Herangehensweise, den Drink neu zu konzipieren. Denn so kann ein Greenpoint auch gehen - so wie bei uns kann es in Dresden auch sein". Und dass Immigration, wie sie in der Twist Bar definiert wird, funktionieren und vor allem auch harmonieren kann, zeigt dieser Drink: „Chartreuse aus Frankreich, Blended Scotch aus Schottland, Rotwein aus Spanien und Rosmarin für das mediterrane Lebensgefühl." Gemäß Nikolskayas Befürchtung, dass All Booze Drinks derzeit nicht auf dem Tagesplan der Bestellungen stehen, muss auch Kutschke sagen, dass sein Greenpoint-Twist aufgrund der Kräftigkeit nicht der meistverkaufte aller Drinks ist. Drum wird er in einem Dreigang-Cocktail-Menü mit Chartreuse angeboten. Manchmal muss man die Dinge eben etwas dezidierter sagen, bis sie durchdringen. Gerade in Dresden.

The moon is yellow silver/ Oh the things that summer brings/ It's a love you'd kill for/ And all the world is green // He is balancing a diamond/ On a blade of grass/ The dew will settle on our grave(s).

Und am Ende ist es, wie so oft im Leben, eben doch so, wie Tom Waits in All the World is Green sagt:

Ja, Greenpoint macht melodramatisch, ganz recht. Aber eben definitiv nicht blue.


Photo credit: Tim Klöcker

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