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Torsten Vullriede: Auf der Suche nach dem Unbequemen

Die Zeit seit dem Herbst 2015 verlief für die Berliner Berg-Crew alles andere als unbekümmert. Diese ist allerdings überstanden und spätestens mit Torsten Vullriede bricht eine neue Ära an. Das erste Interview mit dem neuen Berliner Berg-Brauer.

Für die Neuköllner Brauerei Berliner Berg war die Zeit seit Herbst 2015 kein Zuckerschlecken und wir haben darüber berichtet. Aber die Crew hat sich wacker geschlagen, die neue Brauanlage steht und so durften wir Mitte November das erste Bier von Torsten kosten: ein Imperial Hopped Helles. Gebraut ist dieses Bier, wie bislang noch alle Stammbiere in der Hohenthanner Schlossbrauerei und dem dort regional angebauten Hopfen Mandarina Bavaria. Und wie der Name bereits vermuten lässt, schmeckt Torstens Bier nach Zitrusnoten, exotischen Früchten und einer angenehmen Bitterkeit. Auch Torsten hat sich einen eingeschenkt und wir sitzen im Schankraum der Berliner Berg Spezialitätenbrauerei, Torstens neuer Wirkstätte.

Torsten, das ist Torsten Vullriede. In Nordrhein-Westfahlen aufgewachsen, folgte Torsten nach der Schule dem klassischen Weg zum Brauer: Ausbildung, Erfahrung und noch mehr Erfahrung. Daran ist erst einmal nichts Aufregendes - abgesehen davon, dass Ausbildungszeiten meist aufregend sind. Torsten allerdings, entschied sich immer wieder, es sich bloß nicht zu einfach zu machen: „Ich bin immer gegangen, wenn´s bequem wurde".


Fokus lag auf Machenwollen

Nach seiner Ausbildung bei Barrebräu (- „dein Herz erfreu", ihr wisst schon!) ging es für Torsten ins Münsterland zur Pott´s-Brauerei, wo er die Möglichkeit zu etlichen Probiersuden bekam. Es folgte ein Studium der Getränketechnologie, dann ging es ab nach London zur Meantime Brewery. Das war im Jahr 2012 und für die florierende Bierszene in Europa hätte es für Torsten keinen besseren Ort geben können. „In Deutschland ging es damals noch um Effizienzsteigerung", so Torsten. Bei Meantime habe er in nur einem Jahr allerdings die Entwicklung von 17 auf 40 tausend Hektoliter miterlebt, und obendrein seine ersten Erfahrungen mit Dry Hopping und Holzfassreifungen gemacht. Nicht schlecht, für ein Jahr im Ausland - andere lernen da gerade einmal, wie man mit Kater in der Vorlesung sitzt und geräuschlos den Rausch der gestrigen Erasmus-Party ausschläft.

Wohingegen die Produktionszeit von Bier in Deutschland in zehn Jahren verdoppelt worden sei, lag der Fokus bei Meantime auf Machenwollen, erzählt Torsten. Mit dieser Einstellung bewarb er sich nach diesem Jahr dann auf eine Schweizer Stellenanzeige - bei LägereBräu. Das war eine Zeit, in der Lägere Vielfakt schaffen wollte: die Produktion sollte ausgebaut werden und mit der ausgeschriebenen Stelle wollte die Brauerei mehr Kreativität in den Betrieb bringen. Die Brauerei braute 2008 den ersten Sud mit gerade einmal 1,2 Hektoliter - Torsten kam vier Jahre später dazu. Und mit der Stelle bei Lägere hatte er einen Ortgefunden , an dem er all sein Gelerntes umsetzen konnte.


Ein Holzfass ist wie Heiraten

Wäre ja auch ungeschickt, mit einem Baukasten voller Werkzeug durch die Welt zu gehen ohne je Hand anzulegen zu dürfen. Bei Lägere durfte Torsten. Von Hopfenstopfen hatte man im Schweizer Wettingen bis dato noch nichts gehört, von Pale Ale erst Recht nicht und von einer Kombination aus beidem muss man gar nicht erst beginnen. Im Brauerei eigenen Biergarten verkostete Torsten seine Kreationen dann an die wagemutigen Besucher „Natürlich war man zu Beginn skeptisch, das kannte ja keiner. Aber man fand es interessant und die meisten haben sich schnell an die Tatsache gewöhnt, dass es nun einmal mehr gibt, als die drei Bierstile, mit denen sie groß geworden sind." Die Produktion bei Lägerle war seitdem immer am Anschlag. Sein stilistischer Fokus lag dabei auf Holzfassreifungen: er arbeitete mit Whisk(e)y-, Sherry, Weißwein-, Rotwein-, Tequilla- und Rumfässern. Mit Holzfässern gehst du eine Verpflichtung ein, das ist fast wie heiraten..." Inniger kann man ein Verhältnis zu einem Fass vermutlich nicht beschreiben. In diesem Jahr hatte sich die Produktion mehr als verdoppelt und Torsten suchte nach neuen Herausforderungen. Praktisch, dass Berliner Berg zu dieser Zeit einen neuen Brauer zu suchen begannen und sein Kontakt mit Robin, dem Geschäftsführer immer konkreter wurde.


Mit Meilensteinen nach Berlin

In der Spezialitätenbrauerei in der Kopfstraße werden vor allem Sauerbiere gebraut und fassgereifte Bierspezialitäten hergestellt werden. Mit den Jungens bei Spreewood Distillers besteht bereits ein reger Fässer-Austausch - von dem natürlich beide Seiten profitieren. Auch ein Bierfass gereifter Rye ist fürwahr nicht zu unterschätzen. Ein Herrengedeckt-Konzept ist außerdem ausgearbeitet und so müssen wir uns vor dem Winter noch weniger fürchten. Und so wird das Holzfass Torsten auch bei Berliner Berg weiterbeschäftigen. Im kommenden Jahr werden fassgelagerte Biere neben Sauerbieren für seine Arbeit in der Kopfstraße eine große Rolle spielen.

Wenngleich das Ziel der Berliner Berg-Crew immer gewesen war, eine Berliner Brauerei zu, werden die Stammbiere weiterhin unter Aufsicht des eigenen Braumeisters und nach eigener Rezeptur in der Hohenthanner Schlossbrauerei gebraut. Torsten verbringt derzeit achtzig Prozent seiner Arbeitszeit in Berlin, zwanzig davon in Hohenthann. Dass die Kapazitäten in der Kopfstraße daher nicht die komplette Produktion der Brauerei würde tragen können, war von Anfang an klar gewesen. Mit der Inbetriebnahme der Spezialitätenbrauerei durch Torsten ist für die Berliner Brauerei allerdings ein Meilenstein getan und der erste Teil der Produktion nach Berlin geholt; nach einem weiteren größeren Standort in Berlin wird weiterhin dennoch gesucht, um auch die Stammbiere über kurz oder lang in Berlin zu produzieren.

Vermutlich hat Torsten Recht und Bierbrauen ist doch mehr Familie als man denkt: es ist wahnsinnig arbeitsintensiv, kommt immer anders als gedacht und wächst immerzu. Manchmal in Größe, manchmal in Problemen, oftmals aber auch in Zuversicht.

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