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Ist Schnaps endlich gesund?

Ist Schnaps endlich gesund? 


Von Juliane E. Reichert und Ralf Niemczyk

 

„Noch zwei Gedecke, die Herren!?“. So lautete eine klassische Getränkebestellung in der alten Bundesrepublik, und auch in der DDR. Bier und Korn oder „Gespritzer“ (mit Kräuterschnaps), das war nicht nur in Kleinstadt-Kneipen die lange Zeit gültige Getränkewährung. Doch 2015 ist selbst im ARD-Format „Quizduell“ angekommen, dass

Deutschland als führende Nation im Pro-Kopf-Verbrauch von Bier weiter zurück gefallen ist . Die Allzeit-Bier-Weltmeister Tschechien ziehen weiter davon. Wurde im Jahr 1980 am meisten Bier - 145,9 Liter Bier pro Nase im geteilten Deutschland - getrunken, sind es im Statistikjahr 2014 gerade einmal noch 106,9 Liter. Möglicherweise war ja 1980 mit der Geiselnahme von Teheran, dem Einmarsch der UdSSR in Afghanistan plus der Beginn des monströsen Iran-Irak-Kriegs die Weltsituation ein wenig anders. Da kann man schon mal ein paar Abende mehr am Tresen verbringen.

 

Doch auch heute gibt es genügend Gründe , sich zu betrinken. Darum tun wir es auch – nur nicht mehr so oft und so viel mit Bier. Die Braumeister werden es nicht gerne hören. Aber: Schnaps ist das neue Bier! Und Schnaps eignet sich noch viel besser zur Persönlichkeits-Produktion als ein gut gezapftes Pilsken. „N Bier trinken gehn“ ist nur noch eine Floskel. Manche bekommen davon eine Wampe und gegen die heutigen Wunderwasser kann klassisches Bier allein schon von der Distinktion her kaum noch mithalten.

 

Die neuen hochprozentigen Kreationen sorgen nämlich nicht nur dafür, dass die Welt besser aussieht; sie lassen auch uns dabei gut aussehen. Wir werden nunmehr zu einem sich mit Bedacht betrinkenden Barkenner. Der Rausch gerät zur angenehmen Nebenwirkung des engagierten Einsatzes für die postmoderne Marktwirtschaft. Mit einer Bestellung am Tresen bezeugt man nun nicht mehr bloß Durst, sondern ersetzt politische Haltung und ökologisches Bewusstsein. Gefeiert wird der Aficionado der feinen Unterschiede. Beginnen wir also einen kleinen Barfly in der Berliner Weserstraße im einstigen Problembezirk Neukölln: Hier wird in der Hausnummer 53 das  KR/23 abgefüllt – von Hand, versteht sich. Es besteht aus 23 naturbelassenen Kräutern, die mit reinem und eigens für KR/23 konfektionierten Wodka angesetzt und mit Kandiszucker (mit edlem Krustenkaramell!) abgerundet werden. Das über mehrere Wochen gereifte Mazerat ist somit nicht nur mit Muße auf seine Zutaten bedacht, sondern auch in Apotheken-Ästhetik abgefüllt und möglicherweise dazu da, dem haltungslosen Hipster-Verächter eine endlich fundiert Schnaps-hippe Haltung zu verleihen. In Köln wird der Ingwer-Schnaps „Ginger Cat“ nach einem alten Großmutter-Rezept für den Regionalvertrieb gebraut und die mittelständische Kölsch-Brauerei Gaffel lässt seit einiger Zeit „Mammo Nero“ produzieren, aus „einhundert sorgfältig aufeinander abgestimmten Kräutern und Gewürzen aus der Kölner Region und der ganzen Welt “. Der Halbbitter mit milden 30 Prozent Volumenalkohol hat eine „weiche, fruchtig-würzige Note“. Und jetzt kommt´s: Der Schnaps „ist eine Hommage an die Mutter des Kaisers Nero, Julia Agrippina (Agrippina die Jüngere).“. Mehr ChiChi für einen Indie-Jägermeister-Konkurrenten geht kaum noch. Dabei ist die galoppierende Schnaps-Ausdifferenzierung keineswegs auf Deutschland beschränkt. Die österreichische Manufaktur Strasser/gut filtert etwa den hauseigenen Gin durch Gartengurken, um die charakteristische „frische Note“ zu erzielen. Im Gin-Stammland Großbritannien ist schon länger ein Regionalwahn ausgebrochen. Durchaus crazy das Ganze, da man Geschmäcker kaum mit ganzen Gin-Produktionsorten verbinden kann, die sich gleichwohl streng voneinander abgrenzen.  Zumal die Botanicals in den meisten Fällen eh aus der ganzen Welt kommen. Brighton etwa hat seinen eigenen "Brighton Gin", Cornwall "Tarquin´s Gin", Yorkshire den „Mason Yorkshire Gin“ und die schottische Whisky-Insel Islay den "Botanist". Letzterer ist übrigens der einzige Gin, der wirklich auf ausschließlich regionale Zutaten Wert legt.

 

Fit for Fun am Tresen

 

Hipness und Fitness liegen gerade in Orten mit Lebensqualität (München insgesamt, Elbchaussee Hamburg, Köln-Lindenthal, Prenzlauer Berg) nicht weit auseinander.  Es kostet schon etwas Ausgehschweiß, mit dem passenden Schnaps das gewünschte Ich in ein Verhältnis zu schlürfen. Einen Enzian, prominent zum Beispiel im „Valentin Stüberl“ wiederum in Neukölln trinkt man nicht, weil er „in“ ist. Sondern weil er es eben nicht „in“ ist. Und weil wir von unseren Omas wissen, dass er hilft. Zum Beispiel bei von bayrischem Kraut, Bockwurst und Bier vollgeballerten Bäuchen. Einen Enzian zu bestellen zeugt von Respekt vor den Rezepturen der Vergangenheit (im Jahr 1602 eröffnete die älteste Enzian-Brennerei in Berchtesgarden) und ist klar eine bewusste Abkehr vom  konventionellen Trendsettertum. Was wiederum sehr im Trend liegt.

 

Völlig anders verhält sich dieses komplexe In-Out-Geflecht beim Gin, der im letzten Jahr die nächste Hochkonjunktur feiern durfte. Das opulente Buch „It´s Gin Time“ (Delius & Klasing Verlag) dokumentiert das aufs wunderbarste: Gin ist, verdammt nochmal, kein Schnaps, sondern ein Lebensgefühl; das sagen auch die berüchtigten Tafeln vor diversen Spezialisten-Lokalen.  Im Berliner „Tier“ heißt dann blumig mit dem Holzhammer: „Man muss ihn Ginießen, er ist ein Ginie der Ginspiration und ohne ihn ist sowieso alles Ginlos“ – schon klar, zu tief ins Schnapsglas geschaut. Etwas schwieriger als solche Wort-Ginglagen, ist die Entscheidung am Tresen, wenn man einen Gin Tonic bestellt – in der jüngst eröffneten Edelbar „Thelonious“ muss man mit Kennermiene unten Gin Sul, Gin Mare, Fillier oder Plymouth wählen. Oder einfach einen Sipsmith? Immerhin gibt es nur ein Tonic Water, wo anderswo auch die Tonic-Cültüre ins Kraut geschossen ist, so dass man da ausnahmsweise NICHT entscheiden muss, ob man eher der heimatverbundene Hanseat sein, in einen katalanischen Kräutergarten eintauchen, es klassisch mit Kiefer haben,  traditionell oder einfach nur krass gewöhnlich sein will.

 

Dieses hochgeistige Wühlen nach dem Wahldasein treibt der Whisky schon lange auf die allerhöchsten Palmen. Das Wissen um seinen Weg durch Prohibition, Prärie und Pinienholz getäfelten Herrenzimmern machen den Bourbon-Besteller zum Connaisseur des burschikosen Benehmens. Beim Ausschank eines Scotches hingegen, darf man sich direkt den Geschmacks-Spezialisten-Schuh anziehen. Wer einen Unterschied zwischen torfig und rauchig macht, Dinge wie „ auf´s Alter kommt es per se nicht an“ sagt und dann einen Littlemill bestellt – eine seit 1996 geschlossene Destillerie, macht es zwar irgendwie richtig. Nur eben keine Freunde.

 

Bestimmt kann man an einer Bier-Bestellung nicht so viel ablesen, wie an jemandes mit Korn in der Krone sekretierten Quirl über sein jüngst erschienenes Cognac-Kochbuch für Low Carbianer mit Kuhmilchvorbehalten ohne Kinderarbeitprodukten. Selbstbewusstes Trinken gut und schön, selbstvergessenes  aber auch.

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