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Keine Stille Post: das Muted Horn

Die beiden Kanadier Jenia Semenova und Corbin Crnkovic haben sich ein Stück ihrer alten Heimat in Berlin verwirklicht: das Muted Horn. Benannt ist ihre Craft Beer-Bar nach Thomas Pynchons Kultbuch „The Crying of Lot 49", in dem eine Geheimorganisation das Monopol der Post unterwandern soll. Dementsprechend leuchtet auch in der Flughafenstraße 49 ein neonblaues Horn auf.

Links eine Moschee und der Penny-Markt, rechts die Straße mit einer der höchsten Emissionsraten Berlins - die Hermannstraße. Ausnahmsweise ist es einmal nicht „Kreuzkölln", wo ein neuer Craft Beer-Laden eröffnet. Auch mal schön. Es ist das „alte Neukölln", von dem so viele sprechen, die darüber lamentieren, wie der Kiez sich verändert habe, wie vegan Neukölln geworden sei und überhaupt darüber, dass Neuköllns Realness flöten gegangen wäre.

Was gemeint ist, kann man sich etwa vorstellen, wenn man über Weser- und Friedelstraße in Richtung Kanal schlendert. Oder eben in Richtung S-Bahnhof Neukölln und Tempelhofer Flugfeld. Die Unterscheidungen sind mannigfach, so könnte man meinen - der Anteil gesprochener arabischer und deutscher Worte der Passanten, die fleischhaltigen Speiseangebote versus Smoothie-Bars sowie zwischen Kaschemme und Cocktail-Bar. Die einen sprechen von einer uniformierten Neuköllner Hippness, die anderen vom in sich diversesten Kiez überhaupt.


Kaffee trifft Katjes

Möglicherweise ging es dem kanadischen Gründerteam Jenia Semenova und Corbin Crnkovic ganz ähnlich wie Pynchons Protagonistin und sie fragten sich, was denn nun die Wahrheit sei. Um dies herauszufinden, haben sie einen Ort gegründet aus Holz und Stein, haben eine Karte aus 22 Bieren vom Fass und 33 aus der Flasche, Wein sowie Whiskys kreiert und hölzerne Zapfhähne in die Wände eingelassen. Rauchen darf man nicht, trinken aber umso kreativer. Ein Tasting Tray kostet acht Euro und beinhaltet vier kleine Biere, die nach Belieben zusammengestellt werden können. Weil die Karte jedoch für Menschen, die für eine Bierbestellung in aller Regel unter drei Minuten benötigen, nicht bedienbar ist, bekommt man Hilfe. Hilfe bei den Tasting Notes gleichwohl wie beim Line-Up. Wer besonders hilflos guckt, erhält sogar einen Zettel, auf dem die richtige Reihenfolge steht. In unserem Falle ging es los mit einem Apocalypso von Le Trou Du Diable, einem White IPA von 6,5 % Vol. Es schmeckt gesund und fruchtig, fast wie in Grapefruitlimonade angerührtes Müsli, und man versteht schnell, weshalb man damit hat anfangen sollen. Es löscht den Durst.

Es folgt La Buteuse, ebenso von Le Trou Du Diable: sehr malzig, leicht rauchig, noch immer sehr fruchtig und mit leichten Röstaromen. Weihnachtlich, ein bisschen. Das nächste Bier ist ein Black IPA Malts & Body Salts von To Øl aus Dänemark: seine Farbe ist dunkel und es schmeckt leicht nach Zitrone, vor allem aber Kaffee und Schokolade mit Salzschaum. Es erinnert ein wenig an Rum, hat aber nun auch 9,9 % Vol.

Zum Schluss gibt es ein Péché Mortel von Dieu Du Ciel. Die Biere schmecken tatsächlich so dramatisch wie ihre Namen: kalter, alkoholhaltiger Espresso mit salzigen Heringen bei Gewitter. Das hier ist nun wirklich nichts mehr für den Durst. Aber der wurde ja auch mit den ersten beiden Bieren gestillt. Schließlich trinkt man auch keinen Octomore Whisky aus Durst. Na gut, einen Edradour auch nicht, aber schon eher. Und es gibt auch für Octomore gute Gründe - genau wie für Bier aus Katjes und Kaffee. Vielleicht liegen sie für den gewöhnlichen Biertrinker bloß ein wenig im Verborgenen. Doch genau dafür ist das Muted Horn ja da: Es gibt dem Verbogenen einen Ort, an dem es sein darf - was immer es ist.


Vorhut im Verborgenen

Aus der deutschen Romantik kennt man das Posthorn als eine Figur des Fernwehs. Aus etlichen Gründen passt diese Referenz zum Muted Horn ausgezeichnet - angefangen von den kanadischen Besitzern, die sich mit ihrer Karte Sprache und Biere ihrer Heimat nach Berlin geholt haben, aufgehört bei der Flughafenstraße-Tristesse, deren Pilsator-Flaneure sich zum Stillen diverser Sehnsüchte bis vor Kurzem noch an Orten aufhalten mussten, die „Alptraum II" und ähnlich heißen. Und vielleicht spielt es auch an auf die Sehnsucht nach einem Neukölln, in dem einfach jeder wieder machen kann, was er möchte, und auch wo. Ohne Schimpfe, dass es früher besser war, dass jetzt alles vegan ist, alles nach Döner stinkt oder und.

Manchmal weiß man in Neukölln nicht, ob etwas noch, noch nie oder schon wieder zeitgemäß ist. Ist das Muted Horn eine avantgardistische Vorhut, die im kruden Teil des Kiezes für Szene sorgen will? Ein Nachzügler „Kreuzköllns", der sich in der Straße vertan hat? Hat es das geteilte Neukölln nie gegeben? Es lohnt sich jedenfalls, diesen Fragen nachzugehen, bei einem Tasting Tray in der Nummer 49. Übrigens sollen die Räume des Muted Horn einst Lehrstätten für die weiblichen Besucherinnen der Moschee gewesen sein. Ob es einen geheimen Zugang zur Moschee gibt? Wenn ja, was bedeutet das für die Biere? Und was, wenn auch der Penny-Markt mit unter der Decke steckt! Am Ende treffen sich Kassierer und Klunkerkranich-Kunde auf ein gemeinsames Gemauschel im Muted Horn und motzen über Mainstream-Biere.

Photo credit: Fotos via Muted Horn

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