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Überstunden: Auszahlen, Freizeitausgleich, Verweigern - alle Infos - WELT

Karriere Mehrarbeit ist Alltag

Wann Sie Überstunden verweigern dürfen

Ist die Arbeit nach acht Stunden nicht getan, hängen viele Beschäftigte etwas dran. Mittlerweile ist es üblicher, die Mehrarbeit wieder auszugleichen, als sie auszahlen zu lassen. Doch es gibt Fallstricke. Das fängt bei der Absprache mit dem Chef an.

Für viele Arbeitnehmer in Deutschland gehören Überstunden zum Alltag. Mehr als die Hälfte (54 Prozent) der Beschäftigten leistet Mehrarbeit, wie aus dem Arbeitszeitmonitor der Beratungsgesellschaft Compensation Partner (gehört wie WELT zu Axel Springer) hervorgeht. Mehr als ein Drittel ist demnach wöchentlich bis zu fünf Stunden mehr im Einsatz.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Sei es der Fachkräftemangel, der die Arbeitslast im Unternehmen erhöht, oder ein großer Auftrag, auf den die Firma kurzfristig reagieren muss.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, befragt Arbeitnehmer regelmäßig zum Thema Mehrarbeit. Dabei zeigt sich: Die Anzahl der geleisteten Überstunden ist ziemlich konstant. Was sich dagegen ändert, ist die Art, wie sie ausgeglichen werden.

„In den vergangenen Jahren haben wir beobachtet, dass es üblicher geworden ist, Überstunden durch Freizeit auszugleichen, anstatt sie auszuzahlen ", sagt Enzo Weber, Forschungsleiter am IAB. Diese Entwicklung geht einher mit der Flexibilisierung der Arbeitszeiten.

Laut Arbeitszeitgesetz ist die Anzahl der Überstunden begrenzt. Der reguläre Acht-Stunden-Tag darf zwar vorübergehend auf zehn Stunden erweitert werden. Innerhalb von sechs Monaten müssen die zusätzlichen Stunden jedoch wieder ausgeglichen werden. Ob und wie Überstunden vergütet werden, hängt von mehreren Faktoren ab: Branche, Alter, Tarifvertrag und Stellung im Beruf.

Grob unterschieden wird zwischen drei Arten von Arbeitnehmern: erstens denen, deren Überstunden bezahlt werden, zweitens solchen die ein Arbeitszeitkonto führen, und drittens Führungskräften und leitenden Angestellten, deren Überstunden mit dem Gehalt bereits abgegolten sind.

Während Tarifarbeiter - beispielsweise in der Industrie - mehr bezahlte Überstunden machen, leisten Angestellte häufiger unbezahlte Überstunden. Das zeigen Untersuchungen des IAB. Besonders bei Tarifbeschäftigten werden Überstunden häufig sogar extra entlohnt. Dann gibt es beispielsweise Zulagen für die Arbeit am Wochenende.

Überstunden verweigern: Geht das?

Falls der Arbeitsvertrag keine Regelung zu Überstunden enthält, müssen Beschäftigte mit ihrem Chef eine Einigung vereinbaren. „Grundsätzlich gilt: Wenn Überstunden im Arbeitsvertrag nicht geregelt sind, muss der Arbeitgeber sie ausdrücklich anordnen und auch vergüten", sagt der Arbeitsrechtler Alexander Birkhahn. Der Arbeitnehmer darf die zusätzliche Arbeit dann auch ablehnen.

In seltenen Fällen kann der Arbeitgeber die Beschäftigten auch zu Überstunden verpflichten, beispielsweise wenn die Existenz des Unternehmens gefährdet ist. „Ein dauerhafter Mangel an Personal zählt dagegen nicht als Notfall und rechtfertigt keine verpflichtenden Überstunden", erklärt Birkhahn.

Mehr als die Hälfte der Beschäftigten führt laut IAB ein Arbeitszeitkonto. Zusätzlich gearbeitete Stunden werden gutgeschrieben. Ist im Betrieb dann einmal weniger zu tun, können die Stunden in Form von Freizeit zurückgezahlt werden.

In vielen kleinen und mittelständischen Betrieben wird nach dem Prinzip der Vertrauensarbeitszeit gearbeitet - mit geregelten Arbeitszeiten, aber ohne offizielle Zeiterfassung. Wer beispielsweise freitags eine halbe Stunde dranhängt, um noch einige E-Mails zu beantworten, kommt montags eine halbe Stunde später.

Wer ohne Absprache und Anordnung vom Chef länger bleibt, weil die Deadline bei einem Projekt drängt oder ein Kollege krank ist, hat oft schlechte Karten. Denn vor dem Arbeitsgericht ist bislang der Mitarbeiter in der Pflicht, seine geleisteten Überstunden nachzuweisen. Der Arbeitgeber kann sich dann mit dem Hinweis behelfen, er habe von der Zusatzarbeit nichts gewusst.

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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sieht hier eine Lücke und will mit einem Urteil aus dem Mai Abhilfe schaffen. Künftig sollen Mitgliedsstaaten Unternehmen verpflichten, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

Damit wäre vor Gericht künftig nicht mehr der Beschäftigte in der Pflicht, seine Überstunden selbst nachzuweisen. Stattdessen ließe sich mit der elektronischen Zeiterfassung problemlos nachvollziehen, welche Ansprüche bestehen.

Dass Arbeitszeiten erfasst werden müssen, ist jedoch nicht neu, betonen Gewerkschaftsvertreter. „Arbeitgeber sind verpflichtet, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten zu kennen und diese auch festzuhalten", erklärt Marta Böning, Referatsleiterin Individualarbeitsrecht im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB).

Das gelte auch, wenn das Unternehmen auf Vertrauensarbeitszeit setze. „Denn Aufsichtsbehörden können jederzeit prüfen, ob ein Unternehmen die gesetzliche Höchstarbeitszeit oder die Ruhezeiten einhält." Böning kritisiert: „In vielen Unternehmen gibt es eine Erwartungshaltung, dass Überstunden gemacht werden."

Wann der Überstundenausgleich verfällt

Wenn Überstunden regulär anfallen und auch ein Ausgleich geregelt ist, sind trotzdem noch einige Dinge zu beachten. Denn die zusätzlich geleisteten Stunden können auch verfallen.

„Nach drei Jahren besteht kein Anspruch mehr auf Vergütung der Überstunden", sagt Arbeitstrechtler Birkhahn. Ausschlussfristen regeln darüber hinaus, wie lange nach Anfallen der Extra-Arbeit eine Auszahlung beantragt werden muss. Dann muss ein Ausgleich beispielsweise innerhalb von drei Monaten geltend gemacht werden.

Auch Beschäftigte, die überdurchschnittlich gut verdienen, können sich wenig Hoffnung auf eine Vergütung machen. Liegt ihr Gehalt über der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung, können Beschäftigte nicht damit rechnen, dass ihre Überstunden bezahlt werden. Das entschied das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2012. Davon sind laut Arbeitsrechtler Birkhahn besonders Gutverdiener betroffen.

Alle Tipps zum Thema Überstunden auszahlen lassen finden Sie hier: In diesen Branchen drohen die meisten Überstunden

Bei den Überstunden ganz weit vorne liegen dem Arbeitszeitmonitor von Compensation Partner zufolge die Unternehmensberater mit durchschnittlich 5,18 Stunden zusätzlich pro Woche. Im häufigsten Fall - 75 Prozent - sind diese Stunden unbezahlt.

Auch wer in der Konsumgüter- oder Logistikbranche tätig ist, arbeitet wöchentlich im Durchschnitt mehr als vier Stunden länger als im Arbeitsvertrag vorgesehen.

Die Daten zeigen außerdem: Wer mehr verdient, leistet auch mehr Überstunden. Und wer mehr Überstunden macht, bekommt dafür seltener einen Ausgleich. Während Geringverdiener mit einem Jahresgehalt von unter 20.000 Euro nur 1,9 Überstunden pro Woche leisten, arbeitet ein Top-Verdiener mit mehr als 120.000 Euro Jahresgehalt 6,83 Stunden mehr.

Was der Arbeitszeitmonitor auch verrät: Jüngere Beschäftigte leisten im Durchschnitt weniger Überstunden als ältere Kollegen: Bei den 20- bis 29-Jährigen sind es 2,48 Stunden extra pro Woche, bei den Über-60-Jährigen dagegen 3,66 Stunden.

Alle Tipps zu Überstunden in einzelnen Branchen finden Sie hier:
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