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15 000 Kilometer für 15 000 Eukalyptusbäume

Sophia Schlederer und Patrick Langhorst radeln von München nach Singapur. Nach den Waldbränden in Australien wollen sie Koalas retten und Naturschutzorganisationen unterstützen.

Von Julian Limmer


Wenige Tage bevor Patrick Langhorst mit seinem Fahrrad aufbrechen wollte, von München nach Singapur, 15 000 Kilometer weit, wurde er vor seine erste ernsthafte Probe gestellt. Alles war bereit, Job und Wohnung aufgegeben, doch sein großes Abenteuer musste warten, vorerst. Es waren keine Schlagbäume, die sich ihm in den Weg gestellt haben, keine Gebirgsketten, sondern etwas Winzigkleines. Er hatte sich mit Corona infiziert. Also nichts mit Freiheit, er musste in Quarantäne. Nur wohin? Er hatte ja keine Wohnung mehr, längst gekündigt.

Der 35-Jährige - mit dem dünnen Bart, der runden Brille, mit der Kappe, die er verkehrtherum auf hat, wirkt er fast noch jugendlich - sitzt vor dem Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität, während er von seinen Plänen erzählt. Neben ihm Sophia Schlederer - Sommersprossen, kurzes braunes Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hat, der unter ihrem Fahrradhelm herausschaut. Die 28-jährige Wirtschaftspsychologin und Yogalehrerin will Langhorst auf seiner Reise nach Singapur begleiten.

In einer winzigen Blockhütte ihrer Familie nahe dem Starnberger See kam Langhorst erst mal unter, nachdem er von seiner Krankheit erfahren hatte. Ein Wochenende lang habe er dort eingerollt auf der Sitzbank in seinem Schlafsack gelegen, ohne Heizung, ohne Toilette, erzählt er. Schlederer brachte ihm während der Zeit Essen. Doch dann sei es in der Nacht zu kalt geworden, sagt er. Langhorst hatte Angst, noch kränker zu werden, deshalb sei er in eine unfertige Kellerwohnung umgezogen, ein Rohbau. Dort hat er seine Matratze auf den Estrich gelegt.

"Ich sehe das als unsere erste Herausforderung an", sagt Schlederer in leicht bayerischem Tonfall. Nach dem ersten Rückschlag soll es nun aber bald wirklich losgehen - ein halbes Jahr wollen sie unterwegs sein, 15 000 Kilometer fahren. Das heißt mindestens 80 Kilometer am Tag. Doch was treibt die beiden an, diese Idee durchzuziehen, ihr bürgerliches Leben ruhen zu lassen, mitten in einer globalen Gesundheitskrise? Bloße Abenteuerlust? Nein, sie wollen 15 000 Bäume für Koalas pflanzen. Wie bitte?

Genau genommen wollen nicht sie die Bäume pflanzen, sondern sie möchten durch ihre Reise 75 000 Euro an Spenden sammeln, die sie an Naturschutzorganisationen weitergeben. Diese sollen dann in Australien Bäume für die bedrohten Beuteltiere setzen. Ein Baum koste fünf Euro, sagt Langhorst. "Home for Koalas" nennen sie das Projekt, sie haben extra eine Spendenplattform im Internet dafür eingerichtet. Mehr als 9000 Euro hätten sie bereits eingesammelt - meist durch private Spender. "Wir wollen ein Zeichen setzen, dass es neben uns noch andere Wesen gibt; die Umwelt, die mit uns zusammenhängt", sagt Sophia Schlederer. Solche Sätze sagt sie öfters. Da spiele auch der Yoga-Gedanke eine Rolle: Alle seien eins. Sie lächelt dabei und fummelt an der Schnalle ihres Fahrradhelms herum.

Dabei geisterte Patrick Langhorst dieses Projekt schon im Kopf herum, lange bevor er Sophia Schlederer kannte. Er ist in der niedersächsischen Provinz aufgewachsen, sei immer viel Rad gefahren. Vor ein paar Jahren zog er nach München, um als E-Commerce-Manager bei einem großen Sportgeschäft anzufangen. In seiner Freizeit habe er die Alpen mit dem Fahrrad überquert, er sei zum Mont blanc geradelt. Meist plane er nie lange, sondern fahre einfach los, sagt er. Diesmal sollte es anders sein, größer. Eine monatelange Fahrradtour, bei der er gleichzeitig was Gutes für die Umwelt tun wollte - das sei sein Lebenswunsch gewesen. Doch er wusste nicht wie.

Als vor rund zwei Jahren Bilder von den verheerenden Waldbränden in Australien um die Welt gingen, bei denen eine Fläche an Wald fast so groß wie Griechenland in Flammen stand, fasste Langhorst einen Entschluss. "Ich dachte: Gut, dann fahr ich halt für die Koalas", erzählt er. So simpel habe es angefangen. Doch das Thema ließ ihn nicht mehr los. Durch Buschfeuer und den Klimawandel seien die Bestände der Beuteltiere noch stärker bedroht als ohnehin, sagt er. Natürlich gebe es auch andere Probleme auf der Welt, die Aufmerksamkeit verdient hätten, sagt Langhorst, doch irgendwo müsse man ja anfangen.

Er habe damals auf die Landkarte geschaut, direkt nach Australien zu fahren, sei keine Option gewesen. Das Meer, er wollte nicht ins Flugzeug steigen, deshalb entschied er sich für ein Land, das auf dem Landweg am nächsten an Australien ist: Singapur. Er habe sich im Internet eine Route berechnen lassen, mehr als 14 000 Kilometer seien es gewesen. "Ich wollte aber keine halben Sachen machen", erzählt er. Deshalb habe er beschlossen, gleich 15 000 Kilometer zu fahren.

Vor mehr als sechs Monaten lernte er dann Sophia Schlederer am Springbrunnen vor der Uni kennen, ein Zufall. Bereits beim ersten Treffen habe er ihr erzählt, dass er nach Singapur radeln wolle, um 15 000 Bäume zu pflanzen. Sie fand die Idee anfangs verrückt, doch irgendwann entschied sie, mitzukommen. Nach langem Zögern sei ihr alles wie ein großes "Geschenk" vorgekommen. "Einfach was Gutes in die Welt bringen, zu zeigen, dass es, wenn es der Umwelt schlecht geht, uns auch nicht gut geht", sagt sie. Für beide gibt es jetzt kein Zurück mehr.

Kurz vor der Abreise sind sie noch einmal zu dem Ort zurückgekommen, wo ihre gemeinsame Geschichte begann. Sie sitzen am Brunnen vor der Ludwig-Maximilians-Universität. Beide tragen rote Funktionsjacken, beide haben ein Mountainbike der selben Marke. An ihre Räder sind vier Taschen montiert, recht viel mehr brauchen sie nicht für ihre Reise. Schlederer packt ein paar Dinge aus, die sie mitnehmen will: ein spirituelles Sachbuch, ein Notizblock, eine Go-Pro-Kamera, ein Impfpass, diverse Cremes und einen Schlafsack. Die meiste Zeit wollen sie auf dem Weg nach Singapur im Freien übernachten, im Zelt.

So wollen sie durch 19 Länder radeln, falls alles nach Plan läuft. Länder, in denen Konflikte herrschen wie Pakistan, oder in denen die Pandemie wütet wie Indien. "Bis zum Schwarzen Meer ist es einfach, danach wird es interessant", sagt Langhorst. Vor allem Aserbaidschan und Iran bereite ihnen aktuell etwas Sorge, wegen den Einreisebestimmungen; Afghanistan wollen sie umfahren. Sie müssten jetzt flexibel bleiben, schauen, wohin sie ihr Weg führt. Ist das nicht naiv mitten in einer weltweiten Krise? Natürlich gebe es bessere Zeitpunkte, doch die Probleme, vor denen die Umwelt stehe, lassen ihnen keine Zeit. Sophia Schlederer sagt: "Es ist immer jetzt die richtige Zeit."

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