Für die Autodidaktin Aenne Biermann (1898-1933) war die Kamera ein Mittel sich den Dingen und Situationen ihrer Lebensumwelt anzunähern. Ab Mitte der 1920er-Jahre gewann sie mit ihren Fotografien alltäglichen Erfahrungen und Begebenheiten unbekannte und unerwartete Ansichten ab. Die Pinakothek der Moderne in München zeigt ihre Bilder.
So kann wahrscheinlich nur eine Mutter ihr Kind fotografieren. Mit dieser Nähe, dieser Empathie, dieser Selbstspiegelung. So einfühlsam, fürsorglich und nachsichtig. Ein Mädchen, das sehnsuchtsvoll in die Ferne blickt. Es ist die Tochter der Fotografin Aenne Biermann. Die frühen Fotos von Aenne Biermann - man kann sie, entgegen aller feministischen Lesarten - schlichtweg nicht betrachten, ohne die Rolle der Erzieherin, der Ernährerin mitzudenken. Kuratorin Simone Förster:
„Also Aenne Biermann beginnt tatsächlich zu fotografieren, als ihre Kinder zwei, drei Jahre alt sind, in den ersten Jahren. Mit einer Glasplattenkamera, also man musste auch richtig arbeiten, wenn man fotografieren wollten. Und sie hat die Bilder auch gleich selbst entwickelt und abgezogen - und sich eine eigene Dunkelkammer eingerichtet. Aber sicher war dieser Beginn ein ganz persönliches Anliegen, die Entwicklungsphasen ihrer Kinder zu dokumentieren. Für die eigene Erinnerung. Wie das heute auch ist, wenn die Kinder größer werden, beginnt man gezielt, zu fotografieren, weil man diesen Zauber des Aufwachsen festhalten möchte.“Vertrautheit mit den Dingen
Und gleichzeitig ist dieses Foto ein Symbol für die Unbeflecktheit der Kindheit, für deren Unbeschwertheit und Vision. Das ist überhaupt das Markenzeichen von Biermanns Fotografie: die Leichtigkeit. Motive beginnen unter ihrem Blick fast zu schweben und werden scheinbar eins mit der Kamera. Ob Stillleben von Äpfeln, Großaufnahmen von Pflanzen und Gesteinsformationen oder Städtebilder von Paris: Zu einer „Vertrautheit mit den Dingen“ wollte sie gelangen - so auch der Titel der Ausstellung. Und die Fotozeitschrift „Das Magazin“ traf den Nagel auf den Kopf, als es 1931 schrieb: „Die Neue Sachlichkeit verliert unter ihren zarten Händen all ihre Schrecken.“
„Ich finde man spürt, dass sie sich von visuellen Reizen leiten lässt. Dass sie sich weniger an Themen abarbeitet - auch wenn sie natürlich Themenfelder wie Pflanzen, Kinder, Stillleben hat - sondern diese auf sich zukommen lässt - und in dem Moment, in dem sie einen visuellen Reiz empfängt, fotografiert sie.“
Die Themen, sie scheinen überhaupt immer zu Biermann gekommen zu sein. Zunächst die Kinder, dann fotografiert sie Pflanzen und Gesteine auf Anregung des Geologen Rudolf Hundt für dessen Veröffentlichungen. Schließlich kommt sie mit dem Galeristen Franz Roh in Kontakt, der ihr die ersten Ausstellungen ermöglicht und sie fördert.
Avantgarde der deutschen Fotografie
Biermann wird bekannt, für Ausstellungen und Aufträge angefragt, sie arbeitet Ende der 20er Jahre professionell, parallel macht sie bei Hobby-Fotowettbewerben mit und wird auch dort prämiert. Nebenbei experimentiert sie mit Montagen und Collagen, die zu den größten Überraschungen der Münchner Schau zählen. Die Frau aus großbürgerlichem Haus gehört damit plötzlich zur Avantgarde der deutschen Fotografie, bleibt aber ihrem familiären Umfeld in Gera immer verbunden.
„Sie hat ja auch im Fotografieren nur einen sehr engen Radius. Es ist das Haus, das Heim, die Kinder, die Freunde, die Dinge in ihrer nächsten Umgebung. Sie ist keine Reisefotografin, sie ist nicht unterwegs, sie geht auch nicht in Gera auf die Straße und fotografiert Menschen, sondern die Fotografie ist Teil ihres Alltags.“
Ein Alltag, der sich für die jüdische Familie mit der Machtergreifung der Nazis schlagartig ändert. Biermann ist bereits tot (sie starb 1933), als ihr Nachlass Ende 1939 nach Palästina verschickt wird. Ein Großteil ihres Werkes und fast alle Negative sind heute verschollen. Die Stiftung Ann und Jürgen Wilde in München und das Folkwang Museum in Essen, das die Fotografin Ende der 80er Jahre aus der Vergessenheit holte, besitzen die meisten der noch erhaltenen Abzüge, die jetzt in München zu sehen sind.