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Warum wir auf der Arbeit mehr über Depression sprechen müssen

Fangen wir ganz transparent an: Ich lebe seit elf Jahren mit Depression. Das heißt in meinem Fall, dass ich mir in meinem Leben schon Gedanken darüber gemacht habe, mir den Kopf wegzublasen. Nicht weil ich das wollte oder zu schwach für die Widrigkeiten des Lebens war. Nein, Suizidgedanken sind ein Symptom, das während meiner mehrmonatigen Depressionsphasen auftreten kann. Was ich damit sagen möchte, ist: Depression ist eine Krankheit, die einen tödlichen Ausgang haben kann.

Ich schreibe hier also nicht nur als Journalist, sondern vor allem als Betroffener, der will, dass die Leute mehr darüber erfahren. Der es satt hat, einen Teil seiner Persönlichkeit verstecken zu müssen und sich dämliche Vorurteile, Ignoranz und sonstige Folklore von einem Haufen Leuten zu geben, die immer noch nicht raffen, dass es eine Krankheit ist. Zwar wächst das Bewusstsein und das Thema wird mehr diskutiert. Aber wenn es um Beruf und Karriere geht, haben wir es immer noch mit einem Tabuthema zu tun.

„Sei kein Waschlappen"

Komisch, denn Depression gilt als Volkskrankheit mit jährlich etwa 5,3 Millionen erkrankenden Menschen. Eine Studie der Deutschen Depressionshilfe kommt zu dem Ergebniss, dass knapp 60 Prozent der Bevölkerung schon einmal direkt oder indirekt damit in Berührung gekommen sind. Viele verstehen Depression jedoch als Reaktion auf akute, schwierige Lebensumstände und nicht als Erkrankung, die ganz unabhängig davon auftreten kann. 17, 6 Prozent gaben sogar an, Charakterschwäche sei verantwortlich.

Nochmal: Depression ist eine schwere, behandlungsbedürftige Erkrankung. Betroffene leiden an vermindertem Selbstwertgefühl, Freudlosigkeit und Antriebslosigkeit. Heftige Fälle führen in so eine Hoffnungslosigkeit, dass sich Suizidgedanken einstellen, die im schlimmsten Fall mit Selbstmord enden können. Ja, soziale Faktoren wie negative Lebenserfahrungen können zwar für eine Erkrankung verantwortlich sein. Aber auch genetische Faktoren gelten als gesicherte Auslöser, wie etwa eine gestörte Botenstoffübertragung von Neurotransmittern wie Serotonin. Das bedeutet: Willenskraft oder Selbstdisziplin haben keinen Einfluss darauf, aus dem Loch zu kommen.

Eine Vorstellung, die nur schwer zu einer leistungsorientierten Weltsicht passt. „Reiß dich zusammen" oder „sei kein Waschlappen" wird dieser komplexen Gemengelage aus äußeren und genetischen Faktoren nicht gerecht. Klar also, dass Stigmatisierung nicht gerade ein Motivator ist, sich gegenüber Kollegen und Arbeitgeber zu öffnen. Als ich einmal eine Reportage über depressive Studenten schreiben sollte, entschied ich mich gegen die Ich-Perspektive, obwohl ich selbst der am besten geeignete Protagonist gewesen wäre. Ich zeichnete eine mir ähnliche Person fiktiv nach und legte ihm meine Worte in den Mund. Als freier Journalist hatte ich einfach Schiss keine Aufträge mehr zu bekommen, weil meine Auftraggeber ständig mit meinem Ausfall rechnen würden.

Urlaub mit Depression? Bloß nicht!

Natürlich muss niemand Auskunft geben. Dabei kann es sinnvoll sein, Kollegen und Arbeitnehmer einzubeziehen, sagt Ulrich Hegerl von der Deutschen Depressionshilfe. Wer sich einfach krank schreiben lasse, könne noch tiefer abrutschen, denn Routine und Aufgaben sind während einer Depression - bei aller Antriebslosigkeit - wichtig. „Ich kenne Beispiele, wo dann das Arbeitspensum während der Krankheitsphase deutlich reduziert wurde und dies dem Erkrankten ermöglichte, weiter im Arbeitsrhythmus zu bleiben statt zu Hause grübelnd im Bett zu liegen." Auch gut Gemeintes wie der Ratschlag vom Kollegen, einfach mal wieder Urlaub zu machen, kann sogar schädlich sein, denn die Depression „ist nicht durch Stress verursacht und kommt dann mit in den Urlaub." Das Problem, sagt Hegerl, liege in vielen Unternehmen an der „Verwirrung und Unsicherheit, was sinnvollerweise getan werden kann". Das verhindert dann einen schnellen Weg zur professionellen Hilfe. Dabei ist die Krankheit gut zu behandeln.

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