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Ich bin ein Mann und habe versucht, zu menstruieren

Sollte diese Erde zugrunde gehen und die Menschheit das Ganze irgendwie überleben, stehen die Chance nicht schlecht, dass die Frauen das Ruder übernehmen. Das wäre vermutlich besser, und sie wären nach Jahrtausenden männlicher Dominanz ja auch mal dran. Es gibt also gute Gründe, sich beizeiten in die künftigen Herrscherinnen einzufühlen, und wie ginge das besser, als indem man menstruieren lernt.

Offensichtliches Hindernis: Als Vertreter des gebärmutterlosen Teils der Gesellschaft fehlt mir das Organ, das verantwortlich ist für diese Erfahrung, die Frauen mir als sowohl demütigend wie auch ermächtigend beschrieben haben. Glückliche Fügung: Die feministisch eingestellten Gründer des Kondom-Startups Einhorn, die sich überhaupt viele Gedanken um eine weniger breitbeinige Welt machen, hatten die Idee, per Casting nach Männern zu suchen, die im Namen der Gleichberechtigung Menstruationsbeschwerden nachempfinden und darüber berichten wollten.

Ich folge also dem Aufruf und treffe im Büro von Einhorn auf etwa ein Dutzend weitere Männer und ein Filmteam. Erst einmal Stuhlkreis und Kennenlernen. Dann tritt Jan Becker hinzu, der große Mann in langem, schwarzem Tunika-Shirt mit schweren Ringen und freundlichem Dauerlächeln, der fünf Ausgewählten etwa eine Stunde später erhebliche Schmerzen zufügen wird. Und das wird ihm keinen Spaß machen. Denn Becker ist Hypnotiseur, und sein Berufsethos verbietet ihm, anderen Leid zuzufügen, eigentlich. „Aber es ist ja für eine gute Sache", sagt er und beginnt mit ein paar Übungen, um herauszufinden, wer aus der Gruppe für die Hypnose zugänglich ist.

Zwei Minuten später haben wir die Hände vor uns gefaltet, die Zeigefinger sind abgespreizt. „Eure Finger bewegen sich nun immer weiter aufeinander zu, treffen aufeinander und verschmelzen immer fester miteinander." Ich sitze vollkommen baff da und bekomme meine Finger nicht mehr auseinander. Staunend stelle ich fest, dass da etwas mit meinem Körper passiert, das ich nicht bewusst steuere. Und beunruhigt wird mir bewusst, dass die Illusion dieser Klebefinger gleich durch die von Krämpfen ausgetauscht werden soll.

Aufmerksame Leser fragen sich jetzt, wie denn Becker - ein Mann und darum menstruationsunerfahren - uns durch diese Illusion führen soll. Hier helfen ihm die Antworten der 20 000 Teilnehmerinnen einer großen Menstruationsumfrage, die Einhorn initiiert hat. Also sitze ich wenig später Becker in grellem Scheinwerferlicht gegenüber. Drei Kameras und zwei Dutzend Augenpaare sind auf uns gerichtet. Becker führt mich in die Hypnose und induziert die Beschwerden, indem er die Krämpfe eindringlich beschreibt: „Als ob zwei Hände von hinten durch deinen Rücken in deinen Unterleib greifen und die Gedärme in dir zusammendrücken." Auch schön: „Wie ein Handrührgerät, das all deine Organe durcheinanderwirbelt."

Tatsächlich verspüre ich ein leichtes Ziehen in der Nierengegend, fange an zu zittern und schwitze heftig. Mir wird mulmig ob dessen, was da kommen kann, versuche mich aber trotzdem vollkommen auf die Hypnose einzulassen. Die muss man sich weniger als tranceähnlichen Zustand vorstellen, eher als Tiefenentspanntheit, während der Hypnotisierte die ganze Zeit bei vollem Bewusstsein bleibt.

Dann aber: nichts mehr. Kein richtiger Krampf, keine Messer im Bauch, nicht das Schamgefühl und die Isoliertheit, die oft beschrieben werden. Während sich die anderen Probanden teilweise in Embryonalstellung zusammengekrümmt vor Schmerzen auf dem Boden winden, verspüre ich keinerlei Menstruationsbeschwerden. Schwer zu sagen, ob die Hypnose zumindest in Teilen erfolgreich war oder das Schwitzen letztlich durch die Scheinwerfer kam. Habe ich es nicht genug gewollt? Ich bin enttäuscht - mehr von mir selbst als vom Experiment.

Trotzdem gehe ich nicht mit dem Gefühl nach Hause, gescheitert zu sein: Ich habe mich einen ganzen Tag lang mit einer Sache beschäftigt, die meine Partnerin regelmäßig durchmacht, habe mich gefragt, ob so ein Experiment überhaupt legitim ist - oder Männer damit wieder mal einen Raum besetzen, der ihnen nicht gehört. Und ich habe mich gefragt, ob es nicht albern ist, wenn ich und die anderen Teilnehmer hier von einigen als „Helden" bezeichnet werden. Bald vier Milliarden Menschen machen das jeden Monat durch und keine so große Nummer draus, was deutlich mehr Respekt verdient als unser kleines Experiment hier.

 
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