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Die schönste Nebensache der Welt

Menschen 13 verschiedener Nationalitäten vereint der FC Stuttgart mittlerweile und leistet damit einen wichtigen Beitrag in Sachen Integration. Foto: Julian Budjan

Der FC Stuttgart-Cannstatt hieß früher TSV Hilalspor und war ein rein türkischer Klub, änderte 2005 jedoch seinen Namen und öffnete die Tore für Menschen aus aller Herren Länder. Im Hallschlag leistet der Fußballverein heute wichtige Arbeit in Sachen Integration und Jugendbetreuung und geht damit im Vergleich zu anderen türkischen Fußballvereinen neue Wege.


Vor dem kleinen Vereinskiosk sitzen Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterhalten sich angeregt bei einer Tasse Schwarztee. Auf dem Kunstrasenplatz tragen gerade vier E-Jugendteams ihre Spiele aus, während sie von ihren Eltern angefeuert werden. Im Hintergrund erstrecken sich der auf einer mit Weinreben überzogenen Erhebung gelegene Stuttgarter Stadtteil Burgholzhof und die Ausläufer des Schnarrenbergs. Auf einem mit Gänseblümchen übersäten zweiten Rasenplatz machen sich derweil die nächsten Teams mit Sprintübungen warm. Es herrscht reges Treiben an diesem Samstag beim Fußballverein aus dem Stuttgarter Stadtteil Hallschlag, der zum Bezirk Bad Cannstatt gehört.

Öffnung nach außen


Der FC Stuttgart-Cannstatt ist kein Verein wie jeder andere. Bis zum Jahr 2005 war der Klub rein türkisch und trug den Namen TSV Hilalspor. Dann erfolgte die Namensänderung und die Öffnung nach außen: „Wir haben damals entschieden, dass unser Verein für jeden zugänglich sein muss, ganz gleich, woher er kommt", erklärt Ali Baykan, der Abteilungsleiter des FC Stuttgart. Der 42-jährige Türke war lange Zeit als Spielertrainer beim TSV Hilalspor aktiv und übernahm 2002, gemeinsam mit Unternehmer Ömer Cinar, heute 1. Vorsitzender, die Klubführung. Die beiden wollten den Verein in eine neue Richtung lenken. Sie gründeten eine Jugendabteilung, ein ungewöhnlicher Schritt für einen ausländischen Verein. „Die meisten türkischen Vereine sind nur mit ihrem Aktivenbereich beschäftigt und kümmern sich nicht um ihren Nachwuchs. Da kann nichts Langfristiges entstehen. Wir dagegen wollten im Jugendbereich etwas aufbauen", betont Baykan. Dabei gab es zwei Hürden zu beseitigen: Zehn Jahre lang wurde der Klub in Stuttgart herumgereicht und hatte kein festes Zuhause. Dieses wurde dann 2005 auf dem Gelände des Sportvereins TB Cannstatt gefunden.

Etwa 40 Mitglieder verließen den Verein

Im gleichen Jahr erfolgte die Änderung des Vereinsnamens - mit Widerstand. Rund 40 Mitglieder wollten den neuen Kurs nicht mitgehen und verließen den FC. Sie sahen in dem neuen Verein einen Verrat an der türkischen Heimat. Die Klubführung ließ sich davon nicht beirren. „Wir haben damit gerechnet, dass viele diesen Weg nicht mitgehen würden, aber wir wussten, dass es der richtige ist und irgendwann Früchte tragen würde", sagt Baykan und resümiert: „So kam es auch: Die Umbenennung war ein Türöffner für uns." Denn dem Klub mit dem Stuttgarter Fernsehturm im Wappen geht es heute besser denn je: Er stellt nicht nur 400 Mitglieder, sondern auch 15 Juniorenteams - mehr als der große Nachbar VfB. Darauf ist Ali Baykan stolz: „Alle Altersklassen sind doppelt besetzt, im unteren Bereich gibt es teilweise sogar drei Teams." Zudem spielen alle ersten Juniorenmannschaften mindestens auf Bezirksebene. Aktuell kann man einige Jahrgänge gar nicht mehr aufnehmen, weil die Mannschaften voll sind.

Außergewöhnliche Integrations- und Nachwuchsarbeit

Menschen 13 verschiedener Nationalitäten vereint der FC Stuttgart mittlerweile und leistet damit einen wichtigen Beitrag in Sachen Integration. Neben Türken und Deutschen haben auch Griechen, Serben, Bosnier, Kroaten, Rumänen, Bulgaren, Russen, Syrier, Iraker, Tunesier und Marokkaner einen Platz beim FCS gefunden. Ali Baykan weiß: „Die Menschen, ganz egal welcher Herkunft, fühlen sich bei uns aufgehoben und wohl. Das bekommen wir immer wieder zu hören." Er selbst ist immer mittendrin. Mal unterstützt der Daimler-Mitarbeiter seine Jungs von der Seitenlinie aus, mal unterhält er sich mit den Eltern der Jugendlichen oder hilft im Kiosk aus. Alkohol wird dort nicht ausgeschenkt und den Eingang des Kunstrasenplatzes schmückt ein Rauchverbotsschild. Die Eltern sollen für die Jugendlichen ein Vorbild sein.

Gerade bei der Nachwuchsarbeit geht das größtenteils ehrenamtliche Engagement der Verantwortlichen weit über das hinaus, was in einem gewöhnlichen Fußballverein geleistet wird. Die Trainer sind für die Jugendlichen Vertrauenspersonen, zu denen sie mit ihren Problemen kommen können. Gerät einer der Schützlinge auf die schiefe Bahn, wird mit Eltern und Lehrern gesprochen, wie Baykan verrät: „Es gibt Eltern, die haben nur Fußball im Kopf und wissen nichts von den Gefahren, die auf die Jungs in einem bestimmten Alter warten. Da sind wir drauf vorbereitet und leisten Unterstützung." So habe man schon bei einigen die Kurve gekriegt. Auf dem Platz muss deutsch gesprochen werden, aus Respekt vor dem Schiedsrichter und den Mitspielern. Fairness wird großgeschrieben, Gewalt nicht toleriert. „Wir wollen die Kinder nicht nur fußballerisch ausbilden, sondern auch sozial und moralisch erziehen", betont Baykan.

Viele Jugendspieler schaffen es in die erste Mannschaft

Dieses ganzheitliche Jugendkonzept macht sich auch sportlich bezahlt: Mit der ersten Herrenmannschaft wurde im Sommer 2010, nach dem Abstieg in die Kreisklasse A, ein Neuanfang gewagt: Der Großteil des Kaders wurde mit Spielern aus der eigenen U19-Jugend besetzt. Nach einem zwischenzeitlichen zweiten Abstieg in die Kreisklasse B stieg der Klub zweimal hintereinander bis in die Bezirksklasse Stuttgart auf und rangiert derzeit auf dem fünften Platz der Tabelle. Isa Topac, sowohl Trainer der ersten Mannschaft als auch sportlicher Leiter, freut sich über diese Entwicklung: „Auch in finanzieller Hinsicht ist es für einen Verein sehr lukrativ, wenn kaum Spieler eingekauft werden müssen. Wenn man es schafft, eine vernünftige Jugendarbeit anzubieten, dann gelingt es, die Spieler zu halten und sie in den Aktivenbereich einzugliedern."

Besonders talentierten Spielern werden von Vereinsseite aber keine Steine in den Weg gelegt, sondern vielmehr die Kontakte zu den großen Stuttgarter Vereinen VfB und Kickers genutzt, um den Jugendlichen die Chance Profifußball zu ermöglichen. Diesen Weg ist Prince-Osei Owusu gegangen. Der Deutsch-Ghanaer kickt mittlerweile in der U19 des VfB, ist zudem Juniorennationalspieler. Wenn der Versuch, bei einem großen Verein Fuß zu fassen, fehlschlägt, können die Jugendlichen jederzeit zum FCS zurückkehren. Denn: „Dieser Verein ist wie eine große Familie, mit der ich wahrscheinlich mehr Zeit verbringe als mit meiner eigenen," gibt Baykan schmunzelnd zu und fügt an: „Aber wenn man sieht, was hier entstanden ist, bringt man dieses Opfer gerne."

Wunsch nach ausgebildeten Trainern

Für die Zukunft sieht Baykan aber noch Verbesserungspotenzial: „In den unteren Jugendteams sind es meist Spielerväter, die die Trainerposten ausfüllen. Wir wünschen uns ausgebildete Fußballtrainer. Da arbeiten wir gerade dran." Der FC Stuttgart-Cannstatt ist ein Beispiel für die erfolgreiche Öffnung eines türkischen Fußballvereins: Weg von der eigenen Abgrenzung, hin zum multikulturellen Miteinander. Ein Klub, den das Sprichwort „Fußball, die schönste Nebensache der Welt" kaum besser beschreiben könnte.

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