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Von wegen Männerdomäne

Angelika Budczinski ist obere Führungskraft − Andere Frauen begegnen ihr in der Chefetage nur selten.

„Sie müssen ein bisschen mehr lächeln“, ermuntert der Fotograf Angelika Budczinski. Einen Fototermin mal eben nebenbei am Arbeitsplatz zu absolvieren, gehört an diesem Tag auch zu den Aufgaben der 52 Jährigen. Sobald die Kamera nicht mehr auf sie gerichtet ist, entspannt sich ihr Gesicht. „Mein Sohn hat da bessere Karten“, sagt sie lachend. „Der fotografiert mich immer im Urlaub. Im Büro kann man sein Korsett ja doch nie ganz ablegen.“

Das Foto ist für die Aufsichtsratswahl Ende März und daher alle Mühe wert. Seit 25 Jahren arbeitet die Chemikerin als Patentanwältin bei WACKER. Mittlerweile leitet sie den Bereich für Markenrecht und gehört zum Kreis der oberen Führungskräfte.

Eilt sie schnellen Schrittes durch den Bürogang, ist sie stolz auf ihre Firma: „Wir melden unsere Marken in 120 Ländern an. Da macht es mir einfach Spaß unsere Produktnamen und das eigene KnowHow zu schützen.“ Ihr gefällt die transparente Architektur des Gebäudes, die lockere Atmosphäre in der Kantine und auch die Raucherecken stören sie nicht. Toleranz ist ihr wichtig, nicht nur im Beruf.

Wenn man die dreifache Mutter von ihrem Leben erzählen hört, glaubt man auf einmal, dass alles ganz einfach sein kann: arbeiten, Kinder bekommen und trotzdem Karriere machen. Natürlich ist auch ihre Berufswelt von Männern dominiert. In naturwissenschaftlichen Branchen ist das nicht ungewöhnlich. Frauen begegnen ihr eher in Assistenzpositionen, nur selten als Führungskräfte. Heute sind zwar 40 Prozent aller Chemieabsolventen weiblich, doch in der Wirtschaft ist diese Entwicklung noch nicht ganz angekommen.

„Heute tut meine Firma viel, um Frauen zu unterstützen und zu fördern, aber es dauert eben bis solche Maßnahmen Wirkung zeigen“, meint die Chemikerin. Von wegen Männerdomäne Sie selbst ist Mutter von Drillingen – zwei Söhne und eine Tochter. Die 15-Jährigen sind stolz auf ihre berufstätige Mutter. Drei Monate nach der Geburt kehrte die 36-Jährige an ihren Arbeitsplatz zurück. Ihr Mann, damals Bankdirektor, machte sich selbstständig und blieb zuhause. Die Kinder kennen keine klassische Rollenverteilung. „Sie wissen nicht einmal, was eine typische Frauentätigkeit ist“, sagt Budczinski. „Bei uns packt jeder mit an. Die Jungs bügeln ihre Hemden und dass Fußball ein Männerhobby sein soll, haben sie erst in der Schule erfahren.“

Wenn Angelika Budczinski von einer Geschäftsreise bereits mittags zurückkommt, fährt sie nicht mehr ins Büro. Dann empfangen sie ihre Kinder mit Kaffee und Kuchen und freuen sich, ihre Mutter einen ganzen Nachmittag für sich zu haben. „Aber wenn ich nicht jeden Tag da bin, ist das auch ok für sie“, sagt sie. „Ich glaube, dass sie sich dadurch viel selbstständiger entwickeln und mehr Verantwortung übernehmen.“

Als die junge Augsburgerin 1980 ihr Abitur auf einem reinen Mädchengymnasium ablegte, war das
traditionelle Frauenbild noch tief in den Köpfen verankert. Damals war der Wunsch, als Frau eine Naturwissenschaft zu studieren, noch weit ungewöhnlicher. Ihre Lehrer rieten ihr damals ab. Im besten Fall solle sie das auf Lehramt versuchen. Doch für das technikbegeisterte Mädchen stand die Studienrichtung bereits fest. Ihre Eltern, die einen eigenen Handwerksbetrieb führten, hatten damit kein Problem. Die hätten ihr schon immer Narrenfreiheit gelassen, wie sie selbst sagt. „Da konnte ich mich
austoben und sehr frei entwickeln.“ Als Jugendliche hatte sie ihre eigenen Bienenstöcke zuhause am Stadtrand und kaufte in der Apotheke die Ausgangsstoffe, um Naturkosmetik selbst herzustellen.

Im Studium war die junge Chemikerin dann bald auf der Überholspur. Als Frau musste sie einfach ein bisschen besser sein als ihre männlichen Kollegen. Sie erinnert sich gut an den Moment, als sie beim Diplom den technischen Übungsraum der TU München betrat. Plötzlich waren alle Augen auf sie gerichtet. „Da ist mir vor Schreck fast der Bohrer aus der Hand gefallen“, erzählt sie. „Ich war die einzige Frau im Raum.“ Die verstärkte Aufmerksamkeit hat sie ihren Kommilitonen allerdings nie übel genommen. Sie fühlte sich eher angespornt, wollte keinen Fehler machen.

Heute trifft sie sich mit ihren ehemaligen Professoren einmal im Monat zum Schafkopfen. „Schon in der Uni haben wir in unserer Freizeit gemeinsam Karten gespielt. Auch das hat geholfen bei den männlichen Kollegen voll anerkannt zu werden“, scherzt Budczinski. Erst vor wenigen Jahren hat sie erfahren, dass wegen ihres Promotionsantrages damals eine Krisensitzung einberufen wurde. Sie war die erste Frau, die am Lehrstuhl für technische Chemie ihren Doktor machte. Das sorgte für Verunsicherung.

Sitzt man der erfolgreichen Patentanwältin heute gegenüber, trifft einen ihr interessierter Blick. Bevor sie ihre eigene Lebensgeschichte preisgibt, will sie etwas von ihrem Gegenüber erfahren. Ihr Büro ist schlicht eingerichtet und doch entdeckt man Hinweise, die verraten, dass hier eine Frau arbeitet: Eine Orchidee am Fenster und ein farbenfroher Kalender mit Motiven des „Blauen Reiters“. Unter ihrem schwarzen Hosenanzug trägt sie eine rote Bluse mit rosenförmigen Rüschen. Auf einer Kommode hinter ihr stehen japanische Puppen, vielleicht von einer Asienreise? „Ach nein“, Budczinski winkt ab. „Die hat ein Anwalt aus Japan mitgebracht.“ Sie kann es nicht verstehen, dass man bei Frauen im Beruf ständig nach typisch weiblichen Eigenschaften sucht. Einen Mann würde man das auch nicht fragen.

Es sollte in Deutschland endlich als selbstverständlich gelten, dass Mütter arbeiten und Männer sich
genauso um familiäre Angelegenheiten kümmern, ist sie überzeugt. Dabei denkt sie, dass eine Frauenquote durchaus etwas bewirken könnte, auch wenn sie eigentlich für Freiwilligkeit ist. „Wir mussten bis jetzt immer besonders gut sein, um uns durchzusetzen. Erst wenn auch Frauen in Spitzenpositionen Fehler machen dürfen, herrscht wirklich Gleichberechtigung.“