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Tanzfotografie: Ein Leben für den perfekten Augenblick

Eva Berten ist die einzige Frau, die professionell in der urbanen Tanzszene fotografiert - und das weltweit erfolgreich. Die 25-jährige Mönchengladbacherin wird für ihre Aufnahmen, die in genau dem richtigen Moment entstehen, engagiert und gefeiert.


Oft liegt sie auf dem Boden oder krümmt sich unbequem kniend in die Hocke. Die Positionen ermöglichen es, einen Sprung oder einen Salto so präzise einzufangen, dass es auf dem Bildschirm später wuchtig und majestätisch zugleich aussieht. Eva Bertens Kurzhaarfrisur ist mit einem bunten Tuch umwickelt. Große Ohrringe baumeln hinter der Kamera und lange lackierte Fingernägel drücken genau im richtigen Moment auf den Auslöser. „Ich versuche immer, das Bild mit nur einer Aufnahme zu bekommen", sagt sie.

Berten ist eine von wenigen Tanzfotografen weltweit, die von ihrer Arbeit leben können. Die 25-jährige Mönchengladbacherin hat es geschafft, sich innerhalb von fünf Jahren in der urbanen Szene zu etablieren und eine Marke aufzubauen. Als einzige Frau. Die urbane Szene, das ist Musik, Tanz und Lifestyle zugleich. Jeder hat dieses Bild vor Augen: Rapper, die Goldkettchen tragen und zu Hip-Hop Beats von Armut, Gewalt und Unterdrückung sprechen. In den 70er Jahren entstand daraus in Amerika eine Bewegung, ein Lebensstil. So wurden Tanzarten wie etwa Breakdance geboren. Bei „Battles" (deutsch: Schlachten) messen sich Tänzer auf Musik mit eindrucksvollen Kunststücken. „Die Szene wird von außen oft als Ghetto gesehen, wo sie ihren Ursprung hat. Aber das ist nicht mehr so", sagt Berten.

Heute hat sich das Bild der urbanen Tanzkultur kommerzialisiert, es boomt regelrecht: Immer mehr Tänzer werden für Werbekampagnen von großen Marken gebucht, um ein Gefühl zu transportieren. Denn die Szene lebt von Respekt. „Die Szene ist stark von Männern dominiert", sagt Berten. „Für uns Frauen ist es schwieriger den Respekt zu erarbeiten, weil wir in der Unterzahl sind." So gebe es lediglich eine weibliche DJane, die bei den Tanz-Battles für die Musik sorge und nur ein solches Battle, das von Frauen veranstaltet werde. Und mit Berten eine Fotografin, die die Szene dokumentiert.

Bevor Berten mit dem Fotografieren begann, bestimmte Tanz ihr Leben. Die gebürtige Nettetalerin fängt mit fünf Jahren an zu tanzen, nicht viel später nimmt sie Hip-Hop-Unterricht. Heute gibt Berten sechs Kurse für Jugendliche an Tanzschulen in Brüggen und Waldniel. Mit der Formationsgruppe „Team Legit" wird sie als Trainerin im vergangenen Jahr Westdeutsche Meisterin. Als sie mit 16 Jahren ihre erste Kamera bekommt, wird ihr sofort klar, dass sie ihr Leben der Fotografie widmet. Nach dem Abitur lernt sie an der Akademie Deutsche POP in Köln ihr Handwerk und wird selbstständig.

Obwohl sich die urbane Tanzszene in Nordrhein-Westfalen eher in Düsseldorf und Krefeld konzentriere und nicht in Mönchengladbach, sei der Niederrhein für ihre Arbeit ideal. „Die Anbindung ins europäische Ausland ist für Aufträge super." Denn Bertens Bilder sind in der Welt bekannt. Sie wird für Events von namhaften Sponsoren gebucht und fliegt fast jedes Jahr nach Los Angeles, um dort ihre Tanzidole abzulichten. So waren bereits Choreografen und Tour-Tänzer von Stars wie Justin Timberlake, Michael Jackson und Justin Bieber vor ihrer Linse.

Was die junge Fotografin so einzigartig in der Szene macht, ist das Gefühl für den Sport und die Bewegungen. Tanzarten, die Berten nicht beherrscht, studiert sie so lange, bis sie jede Schrittfolge auswendig kennt. Ihre Shootings aber choreografiert sie ungern. „Ich folge einfach dem Fluss und schaue, was dabei herauskommt", sagt sie. Die Fotos werden dadurch lebendig und lassen den Betrachter stutzen. Das Gefühl für den richtigen Moment habe sie ganz natürlich, sagt Berten. Auf Serienfotos im Paparazzi-Stil will sie sich nicht verlassen - aus Angst, die entscheidende Millisekunde zu verpassen.

Als im März 2018 in einem ausgetrockneten Stausee vor Los Angeles die US-Tänzerin Charlize Glass vor ihrer Kamera steht, gelingt Berten so ein perfekter Schuss. „Es war richtig heiß, die Sonne hat geknallt, es gab kaum Schatten", erinnert sie sich. Die Amerikanerin macht einen Standsalto, der „Suicide" (deutsch: Selbstmord) genannt wird, weil er lebensgefährlich enden kann. „Der Schuss saß beim ersten Versuch."

Mit dieser Aufnahme hat Berten im November die Jury des renommierten Sport- und Action-Foto Wettbewerbs „Red Bull Illume" überzeugt und unter 59.000 Teilnehmern das Halbfinale erreicht. „Das ist das Olympia der Sportfotografie", sagt Berten stolz. In elf Kategorien werden verschiedene Fotografie-Schwerpunkte gekürt. Die Kategorie „Wings" (deutsch: Flügel), für die Berten nominiert wurde, zeigt Athleten, die fliegen, fallen oder schweben. Unter sechs Finalisten und 20 Halbfinalisten aus aller Welt ist die Gladbacherin eine.

Sie hat auch gelernt zu kämpfen und trotz einer langwierigen Krebsbehandlung weiter zu machen, besser zu werden und sich selbst zu übertreffen. Als Motivation hat Berten sich ihre Aufnahme vom Todessprung auf eine große Leinwand drucken lassen. „Normalerweise hänge ich meine eigenen Bilder nicht auf. Aber dieses bedeutet mir so viel", sagt sie. Im April erfüllt sich die Fotografin einen Traum und reist mit einer Gruppe von sieben Tänzern nach Island, um neue spektakuläre Momente einzufangen.

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