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AfD-Leaks: Darüber chattet die AfD, wenn keiner zuhört - Nazi-Sprech & interner Zoff

Dem WDR und NDR wurden über 40.000 Nachrichten aus einer Chatgruppe zugespielt. Der Inhalt der AfD-Leaks: interne Unterhaltungen zwischen mindestens 76 der 92 AfD-Abgeordneten von 2017 bis nach der Bundestagswahl 2021. Die Nachrichten machen deutlich, wie zerstritten die Partei ist, aber auch wie radikal einige sich äußern, wenn sie glauben, unter sich zu sein.


Ein Whistleblower leitete die Nachrichten aus der Gruppe mit dem Namen „Quasselgruppe" an Journalist:innen des WDR und NDR weiter (). Was sich anhört wie eine Gruppe im Kindergarten, ist ein bis gestern streng vertraulicher Chat. Darin diskutierten Abgeordnete regelmäßig, einige fast täglich, über parteiinterne Streitereien, übten harsche Kritik am eigenen Vorsitz, beleidigten andere Politiker:innen und teilten radikales Gedankengut. Im ARD-Beitrag werden einige Gruppenmitglieder interviewt und deshalb auch namentlich genannt und gezeigt; die meisten bleiben anonymisiert.

Abgeordnete benutzen Umsturzrhetorik

In der Chatgruppe äußern einige ihre Umsturzfantasien: „Die Ratte Merkel an der Spitze! Diese Volksverräterin gehört lebenslang in den Knast!", schreibt jemand am 10. Juli 2019. Einige scheinen genauere Pläne im Auge zu haben: „Wir müssen wohl warten, bis das Alte Regime wirtschaftlich ans Ende kommt und der Funke aus Österreich, Italien, Frankreich usw. überspringt. Das wird kommen und für die dann ebenfalls kommenden gnadenlosen Kämpfe müssen wir uns rüsten. (...)" (16.6.2019).

Ein anderer fordert ein „SiegerTribunal ("Nürnberg 2.0")", es gäbe „die rumänische Lösung nach einer Revolution oder aber die rechtsstaatliche Lösung, sprich AM & Konsortien werden niemals für ihre ‚Verbrechen' zur Rechenschaft gezogen werden". Die „rumänischen Lösung" könnte sich auf die rumänische Revolution von 1989 beziehen. An deren Ende wurde der rumänische Diktator Nicolae Ceaușescu gestürzt und mit seiner Frau hingerichtet. Welche radikale und zutiefst erschreckende Umsturzfantasie für Deutschland dahinter stecken könnte, lässt sich nur erahnen.

Mein Name ist Weidel und ich weiß von nichts

Wie reagiert Alice Weidel, Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, auf Nachrichten wie diese? Sie hätte eine solche Rhetorik verhindert, wenn sie davon gewusst hätte, versichert sie im Interview. Sie scheint sich aber eher darüber zu ärgern, dass AfD-Politiker:innen so deutlich werden und ihre kruden Vorstellungen nicht verschleiern. „Das ist natürlich schwierig, das so auszudrücken", sagt sie. Das sei eine Rhetorik, von der man Abstand nehmen solle, weiter wolle sie das nicht kommentieren. Sie ist nicht Mitglied der Chatgruppe, hatte aber Kenntnis über ihre Existenz. Auch Joana Cotar, eine Vertreterin aus dem eher „gemäßigten" Lager scheint sich vor allem darüber zu ärgern, erwischt worden zu sein: „Das ist eines der Probleme der AfD, die wir haben. Wir haben zu wenig Disziplin, dass sowas nicht nach Außen dringt", sagt sie im Interview.

Wirklich glaubwürdig ist Weidels Behauptung, sie wäre gegen solche Nachrichten vorgegangen, nicht. Schließlich schritt sie auch nicht ein, als ihr damaliger Co-Spitzenkandidat Alexander Gauland 2017 die Bundesintegrationsministerin Aydan Özoguz in der Türkei „entsorgen" wollte, dementierte die rassistische Haltung der Aussage (). Im gleichen Jahr veröffentlichte die Welt am Sonntag eine mutmaßliche Mail von Weidel, aus der einige Sätze gut in die „Quasselgruppe" gepasst hätten.

„Der Grund, warum wir von kulturfremden Voelkern wie Arabern, Sinti und Roma etc ueberschwemmt werden, ist die systematische Zerstoerung der buergerlichen Gesellschaft als moegliches Gegengewicht von Verfassungfeinden, von denen wir regiert werden", soll sie geschrieben haben, als auch sie dachte, dass niemand zuhört (). Damit bediente sie rassistische Ressentiments und Reichsbürgerrhetorik.

Politiker:innen werden massiv beleidigt

In der „Quasselgruppe" konnte man der Homophobie freien Lauf lassen. „Oh gut, wieder eine Verteidigungsministerin", schreibt jemand, als Jens Spahn 2019 als neuer Verteidigungsminister im Gespräch ist. „Bei Spahn hätte die Bundeswehr wieder auf Hinterlader umgestellt...", kommentiert ein anderer. Auch andere Politiker:innen werden massiv beleidigt. Der damalige Staatsminister Michael Roth, Mitglied der Bundesregierung, sei ein „ekelhafter Wicht", der SPD-Politiker Johannes Kahrs eine „radikal böse Afteröffnung".

Auf einige dieser Äußerungen wird Bruno Hollnagel, ehemaliges Mitglied der Bundestagsfraktion, angesprochen. Ob er nicht hätte einschreiten können? Ja, aber „dann hätte ich ja nur noch vor dem Ding gesessen", so seine Antwort. Zeit, um sich ansonsten an Gesprächen in der Gruppe zu beteiligen hatte er komischerweise. Stephan Brandner, ebenfalls im Bundestag für die AfD, lacht die beleidigenden Sprüche im Interview weg, stellt sich dumm. Indes gehen andere in der Chatgruppe über Beleidigungen hinaus. Sie beschreiben Vernichtungsfantasien und nutzen Nazi-Sprech. „Mülltrennung: Erst FDP, dann SPD, dann CDU", schlägt jemand vor. Ein anderer geht noch weiter: „Ich will die CDU nicht konservativ reformierbar machen. Ich will die vernichtet sehen".

AfD setzt auf „Penetranz-Strategie"

Auch auf andere Weise zeigen die Gruppenmitglieder eine antidemokratische Haltung. So behindern und blockieren sie beispielsweise den Parlamentarismus, indem sie sinnlose Hammelsprünge verursachen. Bei einem Hammelsprung wird die Beschlussfähigkeit geprüft. Dazu muss mindestens die Hälfte der Abgeordneten anwesend sein. Damit die Volksvertreter:innen durchgezählt werden können, müssen alle den Saal verlassen und durch bestimmte Türen wieder hereinkommen, die jeweils für „Ja", „Nein" oder „Enthaltung" stehen. Die AfD nutzt den Vorgang allerdings nicht für parlamentarische Zwecke, sondern lediglich als Stunt, um die anderen Parteien zu nerven und vorzuführen (). Die Störungen führen sie deshalb gern kurz vor Feierabend oder mitten in der Nacht durch.

Aus dem gleichen Grund posten andere AfD-Abgeordnete Fotos aus dem Bundestag, die vermeintlich beweisen, wie die AfD mehr Einsatz als die anderen Parteien zeigt. So postet Stefan Keuter bei Facebook: Heute Plenarsitzung. Charakteristisch war gleich zu Beginn: Die AfD lief ein, in den Reihen der Altparteien herrschte gähnende Leere." Dass das Foto vor Beginn der Sitzung aufgenommen wurde und Keuter damit Desinformationen verbreitete, erwähnte der Essener AfD-Mann natürlich nicht.

Weidel bestreitet im Interview, dass es sich dabei um geplante und systematische Störungen handelt. Man werde lediglich „parlamentarischen Verpflichtungen" gerecht. Dem entgegen stehen Chatnachrichten von Uwe Witt, ebenfalls AfD-Abgeordneter, und anderen. Beim Hammelsprung gehe es darum, den anderen Parteien „unnötige Mühsal aufzuerlegen (...) ausschließlich darum geht es". Auch andere in der „Quasselgruppe" befürworten diese „maximale Penetranz-Strategie", wie ein anderes Chatgruppenmitglied sie nennt. Dummerweise gehen diese Stunts für die AfD öfter nach hinten los (). Deshalb finden auch einige „Quasselgruppen"-Mitglieder diese Aktionen eher dämlich und nervig, fragen sich, ob so etwas sein müsse, „an einem Freitag Nachmittag". Der entspannte Start ins Wochenende ist einigen AfD-Abgeordneten anscheinend wichtiger, als ihre angeblichen „parlamentarischen Verpflichtungen".

Große Pläne, dafür keine Strategie und viel Streit

Überhaupt sind sich die Abgeordneten selten einig. Man hat große Pläne: „Wir müssen unser geheiligtes Deutschland retten. Wir müssen!" Für diese reichlich pathetischen und hochgesteckten Ziele macht die Partei allerdings nach eigenen Angaben „keine inhaltlichen Fortschritte", wie es in der Chatgruppe heißt. Es gebe keine Ziele, keine Strategie, man verhalte sich „unprofessionell und unkoordiniert". Warum diese Abgeordneten überrascht darüber zu sein scheinen, dass in der AfD weniger richtige Politiker:innen als rechtsextreme Proleten sind, ist uns ein Rätsel.

Schließlich ist weithin bekannt, dass die Partei intern zerstritten ist und „Gemäßigte" und Radikale sich auf keine gemeinsame Linie einigen können. Auch als die Corona-Pandemie um sich greift, kann die Partei sich auf keinen Kurs verständigen. Anfangs trug die Partei die Maßnahmen der Bundesregierung mit, suchte aber vergeblich nach einem eigenen Konzept. Ihrem Ärger machen viele in der „Quasselgruppe" Luft.

„JETZT (aber auch erst jetzt) ist es an der Zeit, wieder lauter und schärfer zu werden und uns an die Spitze der und widerständlichen Bürger zu stellen (...) Wir müssen aufpassen, dass uns die FDP diesen Job nicht wegnimmt." [sic], mahnt ein Gruppenmitglied. Das rechtsextreme ex-„Flügel"-Mitglied Hansjörg Müller schreibt: „der widerstand2020 kann uns sehr gefährlich werden, wenn wir als afd nicht endlich in die puschen kommen, weil die im ähnlichen Teich der unzufriedenen bürger fischen" [sic].

Über seine Kolleg:innen sagt er im Interview: „Ich habe noch nie so eine hinterfotzige, illoyale Ansammlung von menschlichen Wesen gesehen wie im zweiten Teil der Legislatur. Es hat mich nur noch angekotzt."

Inzwischen stellt sich die AfD längst gegen jegliche Coronaschutzmaßnahmen, radikale Ansichten zur Pandemie wie die von Müller haben die klare Oberhand (). Er war dabei als Rechtsextreme, Coronaleugner:innen und Reichsbürger:innen 2020 die Treppe des Bundestags erklommen (). Müller hielt eine Rede am Brandenburger Tor, in der er Ideologien der Reichsbürger propagierte und einen „Friedensvertrag" forderte.

Abgeordnete zerfleischen sich gegenseitig

Auch dafür erntet er Kritik in der „Quasselgruppe". „Damit machen wie uns lächerlich", schreibt eine:r. Aber nicht mal hier ist man sich einig. Einigen geht Müller zu weit. Hollnagel hätte sich eine Rede vom Parteivorsitz statt eines Alleingangs von Müller gewünscht, sagt er. Dass die AfD sich massiv an Querdenken-Protesten beteiligt, kritisiert in der Gruppe niemand. Unvergessen bleibt die , als AfD-Politiker:innen Querdenker:innen in den Bundestag einließen, die dann Abgeordnete anpöbelten und drangsalierten.

In der Chatgruppe herrscht darüber entweder Unglauben oder man schiebt anderen die Schuld zu. Joana Cotar, eine der „gemäßigteren" Mitglieder, kritisiert die Aktion im Interview mit dem WDR und in der „Quasselgruppe". Auch andere ärgern sich: „Uns fliegt langsam die Partei unterm Arsch weg, die gegründet wurde, um unser Land zu schützen!" (10.07.2019). „Und dieser Chaosladen will Deutschland retten?" (3.5.2019), empört sich jemand. Ein anderer formulierte: „Was fremdschämen angeht, bin ich durch die Partei extrem belastbar geworden" (03.06.2019).

In der AfD sind offenbar Nazis?!

Viele wünschen sich eine gemeinsame Richtung, zerstreiten sich aber trotzdem immer wieder. „Wir brauchen eine Richtungsentscheidung. Wollen wir eine National-sozialistische oder eine freiheitlich-konservative Partei sein....", fragt ein Gruppenmitglied. Am 17. April 2020 schreibt ein anderer: „Da müssen wir uns SELBST die Frage stellen, ob wir erwiesene Nazis in der Partei und dann auch noch in führenden Positionen haben wollen. Ich will das nicht. Die Ideologie und den Führerkult, die Höcke und Kalbitz vertreten, lehne ich zutiefst ab."

Die Querelen erreichten einen Höhepunkt, als das Bundesamt für Verfassungsschutz den „Flügel" vor zwei Jahren als erwiesen extremistische Bestrebung deklarierte (. Cotar ärgert sich: „Es wundert mich nicht, dass das jetzt so kommt. Wir haben zu spät den Stecker gezogen. (...) der Flügel hat es dem VS viel zu einfach gemacht." Auf Nachfrage eines damals führenden Flügel-Mannes, erklärte sie weiter: „Mal die Klappe halten, wenn es angebracht ist. (...) Fällt es so schwer, mal nicht über das Dritte Reich zu reden? Verblüffend". Damit im Interview konfrontiert, sagt Cotar, dass sie sich von der Parteispitze „eine klare Ansage" gewünscht hätte. „Das geht so nicht, ihr schadet damit allen", ist sie sich sicher. Dafür, dass einige sich angeblich so sehr an erwiesenen Faschisten wie Björn Höcke stören, sind genau diese Politiker:innen erstaunlich erfolgreich in der Partei.

Weidel unbeliebt in der eigenen Partei

Höcke steht in der gruppeninternen Kritik an den eigenen Reihen nicht im Fokus, im Gegensatz zu Alice Weidel. Es häufen sich Beschwerden über den „Schlafwagenvorstand". „Wer solche Führer hat, braucht keine Feinde mehr", findet ein Gruppenmitglied. Über Weidel schrieb ein anderer: „Frau Weidel kann offenbar Prioritäten setzen, aber nur wenn es um ihren eigenen Kopf geht" (22.04.2020). Weidel zeigte sich im Interview unbeeindruckt. „Wenn Sie in der AfD in der ersten Reihe stehen, ist das völlig normal. Das berührt mich nicht", so die Fraktionsvorsitzende.

„Da müssen die sich überlegen, ob sie sich vielleicht ein anderes Hobby suchen, anstatt ihre Zeit zu vergeuden, permanent in Chats reinzuschreiben. Da würde ich mir mehr Einsatz in der parlamentarischen Arbeit wünschen", kommentiert sie. Tatsächlich ist fraglich, wie viel hinter der Kritik steht, schließlich zogen zahlreiche Fraktionsmitglieder im Herbst 2021 wieder in die neue Bundestagsfraktion ein und bestätigten Weidel wieder als Co-Vorsitzende.

Fazit: „Die AfD ist am Arsch"

Die geleankten Nachrichten bestätigen ein Bild von der AfD, das sich längst abgezeichnet hat. Wenn Abgeordnete denken, dass niemand zuhört und zuschaut, halten sie sich nicht mit Beleidigungen und erschreckenden Umsturzfantasien zurück. Der WDR kündigte weitere Beiträge zum Thema an, die sicherlich weitere Abgründe aufzeigen werden.

Vielleicht sind dann wieder einige Perlen dabei. Denn dieses eine Zugeständnis muss man der AfD machen: Sie ist gut darin, sich selbst zu dissen. „Leute....echt....wir sollten EIN Ziel haben. Die Fraktion war mal der Leuchtturm der Partei." Ein Kollege antwortet: „Ist er immer noch, nur das Licht ist aus". Diesen Spruch kann man sogar gut nachempfinden: „Diese Gruppe hier ist immer schwerer zu ertragen". Ein Spruch lässt Hoffnung aufkommen: „Die AfD ist am Arsch". Hoffentlich ist das nicht nur ein leeres Versprechen.

Nach Angaben der ARD hat sich die Gruppe inzwischen aufgelöst, die Nachrichten sind gelöscht. Mehr Infos zum Thema gibt es im fünfteiligen Podcast in der ARD-Audiothek und beim WDR.

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