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Ruanda: Ökonomie der Versöhnung

Straßenleben in Kigali, der Hauptstadt Ruandas.

Kigali In Ruanda ist eine stille Woche angebrochen. Geschäfte sind nur halbtags offen, Busse und Taxis fahren selten. Nur ab und zu ist das Brummen von Motorradtaxis zu hören. Viele Arbeiter haben sich Urlaub genommen oder lassen sich krankschreiben. Im Amahoro-Stadion in Kigali haben sich am Montag mehr als 30.000 Menschen zusammengefunden.

Sie tragen Grau, die Farbe der Asche und Farbe der Trauer und wollen jener gedenken, die vor 20 Jahren Opfer eines brutalen Völkermordes wurden. Mit Keulen, Buschmessern und Macheten ging 1994 die Volksgruppe Hutu auf die Tutsi-Minderheit los. Die Angreifer töteten so schnell und effizient, dass deren Mordrate jene der Nazis übertraf. Nur 100 Tage haben sie gebraucht, um fast eine Million Menschen zu vernichten.

Im Stadion spielen Tänzer das nach, was Ruandern in den vergangenen 150 Jahren wiederfahren ist: die Kolonialisierung durch Deutsche, Belgier und schließlich Franzosen, dann die Massenmorde von 1994. Als die ersten Tänzer theatralisch zu Boden fallen, ertönen von den Tribünen Schreie.

Es ist kein Weinen, sondern das Kreischen der Traumatisierten, die sich durch das Spektakel an die eigenen Erlebnisse erinnern. Einer nach dem anderen wird aus dem Stadion getragen zu den Sanitätern, die sich bereithalten. Dann laufen als RPF-Soldaten verkleidete Tänzer ins Stadion. RPF, die Ruandische Patriotische Front marschierte 1994 unter der Führung des heutigen Präsidenten Paul Kagame in Ruanda ein und beendete den Genozid.

Die Menschen applaudieren, die Geschichte der Retter wird zum Heldenepos. Der Armeegeist des seit 2000 amtierenden Präsidenten Paul Kagame ist auch bei der Gedenkfeier präsent. Kagame nutzt die Gelegenheit, der Welt zu zeigen: Wir brauchen euch nicht. Sein Gesicht zeigt kaum Regung, als er zu den Menschen spricht: monoton, in klarem Englisch.

Afrikaner sollen nicht länger diejenigen sein, von denen die Welt nur das Geringste erwartet. „Am Ende müssen wir für uns selbst verantwortlich sein." Politikern aus dem Westen gegenüber zeigt sich Kagame kühl. Frankreich hat keine Delegation zu den Feiern entsandt. Zwar schätze Ruanda die Hilfe seiner ausländischen Freunde, sagt Kagame. „Aber eben weil wir glauben, dass sie uns nichts schulden."

Wer durch Kigali fährt, sieht, worauf das Selbstbewusstsein Kagames beruhen mag. 20 Jahre nach den Gräueltaten hat sich das Land zum Ziel gesetzt, die Vorzeigevolkswirtschaft Afrikas zu werden, ähnlich wie Singapur in Asien. In Kigali fahren teure Geländewagen auf glatten, asphaltierten Straßen vorbei an glänzenden Wolkenkratzern und frisch verputzten, ummauerten Villen, an Grünflächen, die kaum einer der Einwohner zu betreten darf.

Neben den NGOs haben sich Unternehmensberatungen angesiedelt. Straßenverkäufer bringen tropische Früchte und Handy- Guthabenkarten an ihre Kundschaft. Abnehmer finden sie genug: Während vor fünf Jahren gerade einmal ein Viertel der Ruander ein Handy benutzte, sind es heute mit 6,7 Millionen Menschen rund 64 Prozent der Bevölkerung.

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