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Pablo Iglesias: Alter Wilder

Der Chef der spanischen Linkspopulisten, Pablo Iglesias, im Madrider Parlament © Emilio Naranjo/​POOL/​AFP/​Getty Images

ZEIT ONLINE, 3. April 2021. Seinen letzten Tag als Spaniens Vize-Regierungschef verbrachte Pablo Iglesias ohne große Gesten: kein Extra-Auftritt auf einer Pressekonferenz, kein Abschiedsapplaus im Kabinett, keine gereckte Faust vor seinen Parteifreunden. Stattdessen kündigte der Chef der spanischen Linkspartei Podemos vergangene Woche per Videoclip seine letzte Amtshandlung an: die Freigabe von 238 Millionen Euro Staatsgeldern für die Betreuung von Pflegebedürftigen. Dann zog er ein knappes Fazit seiner 14 Regierungsmonate. Er habe gelernt, dass man von der Regierungsbank gewaltige Ressourcen mobilisieren könne, sagte Iglesias, aber auch dass "mächtige Oligarchien Druck ausüben, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen".

Jetzt gehe er dorthin, wo er "nützlicher" sein könne: Der 43-Jährige tritt als Spitzenkandidat bei den vorgezogenen Madrider Regionalwahlen an. Somit verabschiedet sich überraschend ein Mann von der nationalen Bühne, der Spaniens Politik in den jüngsten Jahren nach der Wirtschaftskrise nachhaltig veränderte und damit viele europäische Linke beeindruckte. Und der, vor allem wegen seiner Persönlichkeit, umstritten blieb. Seine Bilanz ist durchwachsen, auch seine Partei steht nach dem anfänglichen Hype lange nicht mehr so gut da wie früher.

, "wir können", das war der Ausruf einer Gruppe Gleichgesinnter, meist gut ausgebildeter Spanier in prekären Jobs. Am 15. Mai 2011, hatten sie in ganz Spanien die öffentlichen Plätze besetzt, um gegen Reformstau, Korruption und Perspektivlosigkeit zu protestieren. Deren Frust münzten die Podemos-Gründer damals in politisches Kapital um, in eine Partei "de la gente" (der "ganz normalen Menschen") im Gegensatz zu den wirtschaftlichen und politischen Eliten. Iglesias, ursprünglich Dozent für Politikwissenschaft an der Universität Madrid, hat sich mit seinen Mitstreitern nicht weniger vorgenommen, als den spanischen Staat von Grund auf umzukrempeln: weg mit der Monarchie, weg mit dem etablierten Parteiensystem, weg mit den alten Eliten in Wirtschaft und Politik. Das war das revolutionär anmutende Gründungsprogramm.

Kompromisse waren nicht so seine Sache

Podemos zog schnell ins Parlament ein, machte den alteingesessenen Sozialisten Konkurrenz. Nach einigen Umdrehungen regiert die Linkspartei nun seit Ende 2019 unter dem sozialistischen Präsidenten Pedro Sánchez, Iglesias wurde sein Stellvertreter. Mit Mindesteinkommen, Basisrente und einem - noch nicht umgesetzten - Mietendeckel konnte die Formation seitdem zwar Impulse setzen. Aber die versprochene Revolution ist ausgeblieben. Und Iglesias Lust am Konflikt und seine fehlende Konsensfähigkeit führten immer wieder zum Streit der Linksallianz mit dem sozialdemokratischen Block. Mit seiner harschen Kritik am Königshaus, seinen Klagen über Spaniens "demokratisches Defizit" wirkte Iglesias zeitweilig mehr wie ein Oppositionspolitiker als ein Regierungsmitglied. So wirklich angekommen ist er in seiner Rolle als Vizepräsident nie.

Pedro Sánchez schien daher nicht allzu betrübt über den Rücktritt seines Vizes. Routiniert dankte er ihm für seine Arbeit. Trotz aller Differenzen habe die Einheit der Koalition immer Vorrang genossen, sagte der Premier und verlas dann die Liste der neuen Kabinettsmitglieder. Als Vizepräsidentin und Koordinatorin der Ministerien des kleineren Koalitionspartners rückt Arbeitsministerin Yolanda Díaz nach. Die studierte Anwältin gehört nicht zu Podemos, sondern ist Parteimitglied der mit ihr verbundenen postkommunistischen Izquierda Unida. Im Kabinett wird sie als geschickte Verhandlungspartnerin geschätzt. Sie beherrscht das, was Pablo Iglesias immer verschmäht hat: klassische Parlamentspolitik.

"Iglesias eigentliche Leidenschaft ist die politische Kommunikation", sagt Aitor Riveiro, der für die Onlinezeitung Eldiario.es über Podemos berichtet und über den Aufstieg der Partei ein Buch geschrieben hat: "Er ist als Moderator der linken politischen Talkrunde La Tuerka bekannt geworden und kann mit dem Mikrofon in der Hand immer noch die Menschen begeistern. Darin - und nicht im parlamentarischen Tagesgeschäft - liegt sein eigentliches Talent."


Seine Gegnerin schickte Fast Food an Kinder

Da passt es, dass Iglesias nun bei den Regionalwahlen in gegen die scheinbar unangefochtene konservative Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso antritt. Prominente Unterstützung hat Podemos dringend notwendig. Die Linkspartei ist längst nicht mehr so stark wie früher: Gaben laut dem Meinungsforschungsinstitut CIS im Januar 2015 noch 24,5 Prozent der Spanierinnen und Spanier an, ihr Kreuz bei Podemos machen zu wollen, waren es im März lediglich 9,6 Prozent. In der Metropolregion Madrid war Podemos zuletzt von der politischen Bedeutungslosigkeit bedroht.

Kein Wunder also, dass Iglesias' Schritt dort von den Kameradinnen und Kameraden bejubelt wurde: Dass ein Vizepräsident sein Amt aufgibt, um sich in die Niederungen der Regionalpolitik zu begeben, passiert schließlich nicht alle Tage. Allerdings sind die Erfolgsaussichten ungewiss. Zwar schnellten die Umfragewerte für Podemos nach Iglesias' Kandidatur von vier auf neun Prozent hoch. Umfragen deuten dennoch darauf hin, dass die Konservative Isabel Díaz Ayuso weiter die Hauptstadtregion regieren wird, wahrscheinlich gemeinsam mit der rechtspopulistischen Partei Vox.

Ayusos Politik ist umstritten, Iglesias bezeichnet sie gern als "weiblichen Trump". Für ihre eigenwillige, hauptsächlich von wirtschaftlichen Überlegungen getriebene Corona-Politik erntet die Kandidatin zwar regelmäßig Kritik von Ärzten und Gesundheitsexpertinnen. Doch nicht wenigen Spanierinnen und Spaniern scheinen ihre selbstbewussten Auftritte und ihre exzentrischen Maßnahmen gut zu gefallen: Die Kinder einkommensschwacher Familien ließ sie während der Pandemie teils von Fast-Food-Ketten beliefern. Die Besucher aus dem Nachbarland Frankreich, die die derzeit nur milden Beschränkungen in Gastronomie und Nachtleben zum Partymachen nutzen, gelten ihr als Kulturtouristen. Sich selbst stilisiert Diaz Ayuso zur Kämpferin für die "Freiheit" in Madrid und der Umgebung.

Es hat eine gewisse Ironie, dass ausgerechnet Iglesias ihr Populismus vorwirft. Der Podemos-Chef hatte entscheidenden Anteil daran, dass diese Methode als Mittel der Politik in Spanien inzwischen salonfähig ist. Die 2014 gegründete Partei Podemos nahm in ihren ersten Jahren immer wieder Bezug auf den "linken Populismus" lateinamerikanischer Befreiungsbewegungen. Der Kreis um Iglesias hatte vor der Parteigründung Regierungen in Venezuela, Ecuador und Bolivien beraten. Jahrelang stand deswegen der Vorwurf im Raum, diese Honorare seien über Umwege auf die Konten der Partei geflossen. Bewiesen werden konnte das nie. Aber in Sachen Symbolik hat sich Pablo Iglesias einiges von Südamerika abgeschaut. So präsentierte er sich als charismatischer Anführer, der verschiedene Befindlichkeiten mit seiner Persönlichkeit vereint. Folgerichtig prangte auf den Wahlzetteln zur Europawahl 2014 nicht das Parteilogo, sondern Pablo Iglesias Konterfei.

Aus dem Stand schaffte es die Formation mit fünf Abgeordneten nach Brüssel. Aber Iglesias hielt es auch dort nicht lange. Nach einem knappen Jahr kehrte er nach Madrid zurück, um für die spanischen Parlamentswahlen zu kandidieren. Seinen Anhängern hatte der wortgewandte Politikdozent versichert, "den Himmel zu stürmen". Und diesem Versprechen kam Podemos im Dezember 2015 ziemlich nah. Mehr als drei Millionen Menschen machten ihr Kreuz bei den jungen Wilden, gemeinsam mit anderen linken Formationen bildete Podemos die drittstärkste Fraktion im Parlament. In einem Land, das über Jahrzehnte vom steten Wechsel zwischen den beiden großen Volksparteien, der konservativen Volkspartei Partido Popular und den Sozialisten (PSOE) geprägt worden war, kam das einem politischen Erdbeben gleich.


Iglesias Forderungen wirken plötzlich ziemlich alt


Altgediente Parteipolitikerinnen blickten fassungslos auf den langhaarigen Mann im Karohemd, der durch die Talkshows des Landes tingelte und in einer rein rechnerisch möglichen Linkskoalition schon damals selbstbewusst das Amt des Vizepräsidenten für sich reklamierte. Doch zu Verhandlungen mit den Sozialdemokraten kam es erst gar nicht wirklich. Am Ende wurde der konservative Mariano Rajoy Premier. Pablo Iglesias musste noch weitere Wahlen abwarten, um neben Pedro Sánchez auf der Regierungsbank Platz nehmen zu können.   

Der Moment der Hybris hatte realpolitische Folgen. Um die neue Linke noch stärker zu machen, ging Podemos ein Wahlbündnis mit der postkommunistischen Izquierda Unida ein. Die Idee dazu stammte von Pablo Iglesias. Er glaubte, so die spanischen Sozialisten übertrumpfen zu können. Die Warnungen seines engen Freundes und Podemos-Mitbegründer Íñigo Errejón ignorierte er. Das rächte sich: Die traditionelle Arbeiterpartei PSO lag bei den nächsten Wahlen trotzdem vor dem Linksbündnis, die Freundschaft der beiden ging in die Brüche.

Inzwischen hat Íñigo Errejón eine eigene politische Formation gegründet. Más Madrid (Mehr Madrid) punktet in der Hauptstadtregion mit pragmatisch-moderativer Politik bei einem linksalternativen, ökologisch interessierten Publikum. Bei den letzten Parlamentswahlen erhielt die Liste drei Sitze. Iglesias dagegen hat sich zunehmend der orthodoxen Linken zugewandt. Pferdeschwanz hin, Hipster-Haarknoten her: Die Forderungen des einstigen Rebells, zum Beispiel einer Verstaatlichung des Finanzsystems, sehen daneben ziemlich alt aus. Im schlimmsten Fall droht seiner Podemos das Schicksal von Izquierda Unida: Sie könnte zur Randpartei verkommen, um dann vom nächsten Hoffnungsträger der Linken vereinnahmt zu werden.

Auch Iglesias ehemaliger Mistreiter Errejón kandidiert bei den Regionalwahlen in Madrid. Kurz nach seinem Rückzug aus der Regierung schlug Iglesias ihm vor, alle linken Formationen in einer Wählerliste zu vereinen. Íñigo Errejón lehnte umgehend ab.


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