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Zeit, dass sich was dreht

700 Tage, 23.000 Kilometer und 9 Reifenpannen: Warum ein Berliner Paar nach zwei Jahren Weltumrundung per Fahrrad noch immer nicht genug hat


Klar, es gibt Tage, da kämpfst du mit permanentem Gegenwind, miesem Wetter und ebensolcher Laune, schlechten Straßen und einem wunden Po. Aber nach zwei Jahren im Sattel wissen wir: Durststrecken werden mit tollen Begegnungen und Erlebnissen belohnt! Seit unserem ersten Ostsee-Radurlaub 2002 waren Oliver und ich von dieser Art zu reisen begeistert. Aus dem Traum vom Leben als Pedal-Nomaden wurde dann 2013 Wirklichkeit. Wir haben unser Zuhause in Berlin aufgelöst, uns um Visa, Impfungen und Versicherungen gekümmert und sind am 31. März in den Zug nach Ungarn gestiegen. Von dort radelten wir gen Osten. Seither sind wir durch 21 Länder gestrampelt. Mit jedem verbinden wir unvergessliche Momente, Gesichter und Geschichten.


In Zentralasien hat uns vor allem die Gastfreundschaft beeindruckt, im Iran wurden wir ständig eingeladen. Stets wurden die Nachbarn geholt, um kurz ,die Deutschen' zu bestaunen. Dabei spürten wir die Sehnsucht der Menschen nach Austausch. Die Gespräche waren sehr offen, wir haben weder religiöse Themen noch Probleme ausgespart. Diese Erfahrungen haben uns nachdenklicher und offener werden lassen. Ein Highlight war der Pamir Highway mit dem Ak-Baital-Pass auf 4655 Metern. Jeder Tritt kos-tete das Dreifache an Kraft, alle 100 Meter blieben wir schnaubend stehen, um den Puls zu beruhigen. Aber das Gefühl da oben mit Blick auf das gewaltige Gebirge war unbeschreiblich! Wir haben auch weniger schöne Szenen erlebt: Auf der befahrenen Nationalstraße 13 in Laos erlebten wir kurz hintereinander zwei schwere Autounfälle, blieben aber Gott sei Dank unverletzt. Danach dauerte es einige Zeit bis wir die Köpfe frei bekamen. Und bei allen Naturschönheiten, die wir bewundert haben, waren wir auch oft bedrückt, denn die meisten von ihnen sind bedroht.


Wir zelten viel im Freien, unvergessen bleiben da die Nächte auf dem Salar de Uyuni in Bolivien. Unsere Räder sichern wir nachts mit Schlössern. Wenn wir in Hotels nächtigen, nehmen wir sie mit aufs Zimmer, auch gegen gelegentlichen Protest des Personals. Die Räder halten erstaunlich gut, wir hatten bisher nur neun Platten und haben erst den zweiten Satz Reifen aufgezogen. Ersatzteile sind im Gepäck, und die nötigsten Repa-raturen haben wir vor der Abreise geübt. Im Schnitt radeln wir 75 Kilometer am Tag in knapp fünf Stunden. Dazu gehört eine gewisse Lust am Leiden, und man braucht regelmäßig Regeneration.  Derzeit sind wir in Mexiko unterwegs, davor waren wir in Nordamerika. Final wollen wir Deutschland per Rad erkunden. Warum wir noch immer im Sattel sitzen? Weil jeder Radtag ein kleines Abenteuer ist. Einen konkreten Plan für danach haben wir nicht. Wir wollen das Vertrauen ins Unvorhersehbare auch in den neuen Alltag mitnehmen.



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