Weil im Schönbuch - Kamelreiten ist kinderleicht, in dem mit Fell gepolsterten Sattel sitzt es sich offenbar gemütlich. Die zehnjährige Marlene, die auf dem Rücken des Tiere s thront, den Kopf mit einem bunten Fahrradhelm geschützt, lehnt sich ganz entspannt an den Höckern an. Die Herausforderung liegt im Absteigen. Vorsichtig schwingt Marlene ihr rechtes Bein über den hinteren Höcker, dann erklimmt sie rückwärts die neben dem Kamel aufgestellte Leiter. Sie atmet auf. Geschafft!
Marlene feiert mit fünf Freundinnen an diesem Sonntag auf den Kamelhof in Weil im Schönbuch Geburtstag. Vor einem Jahr waren sie schon einmal hier. Damals hatten sie Pech, es hatte so viel geregnet, dass der Boden zu schlammig war, um auf den Kamelen zu reiten. Nur streicheln und bürsten war möglich. Als Entschädigung dürfen die Mädchen nun gleich zwei Runden auf der Koppel drehen: eine Runde auf einem Kamel mit weißem Fell und eine Runde auf einem mit braunem Fell – „damit kein Neid entsteht“, sagt Claudia Fröhlich. Die zierliche Frau aus Stuttgart-Rohracker – 48 Jahre alt, Fleecejacke, braune Haare – ist die Chefin des Kamelhofs.
Ausritte sind momentan nicht möglich
„Wer hier zufällig vorbeiläuft, wundert sich, dass es im Schönbuch Kamele gibt“, erzählt sie. Immer wieder bleiben Spaziergänger stehen und stellen Fragen: Ist es den Kamelen im Winter nicht zu kalt? Wo schlafen die? Kann man auf denen reiten? Claudia Fröhlich antwortet gerne und geduldig.
Damit Kamele nicht frieren, wächst ihnen bereits von August an ein Fell. Bis die ersten kalten Tage kommen, sind die Haare dicht und lang. Neigt sich der Winter dem Ende zu, verlieren sie das Fell wieder. Im Juni und Juli sind die Kamele komplett nackt. Aufgrund dieses Mechanismus können sie das ganze Jahr über draußen bleiben und benötigen zum Schlafen keinen Stall. Und ja: Grundsätzlich kann man auf den Weiler Kamelen reiten.
Bis vor Kurzem bot Claudia Fröhlich noch richtige Ausritte an, dies ist momentan nicht möglich, weil ihre Kamele nicht mehr die Jüngsten sind. Damit Besucher aber ausprobieren können, wie es sich anfühlt, auf einem hohen Tier zu sitzen, gehört zu einer gebuchten Kamel-Kennenlernstunde (60 Euro für vier Personen) neben dem Bürsten und Streicheln auch ein Drei-Minuten-Ritt auf der Koppel dazu. Wer länger mit den Tieren unterwegs sein möchte, kann einen Kamelspaziergang buchen (30 Euro pro Person) und mit ihnen an der Leine durch den Schönbuch.
Als Kind hat sie alle möglichen Tiere angeschleppt
Zehn Jahre ist es her, dass sich Claudia Fröhlich die Kamele angeschafft hat. Damals war sie 38 und ein „totaler Kamelneuling“, wie sie sagt. Bis dahin hatte sie eher kleinere Tiere: Hunde, Katzen, Vögel, Meerschweinchen, Siebenschläfer, Frettchen. „Ich habe als Kind alles Mögliche angeschleppt und aufgepäppelt – nicht immer zur Begeisterung meiner Eltern.“ Parallel lernte sie auf der Jugendfarm in Ruit das Reiten. „Nach der Schule war klar, dass ich etwas mit Tieren machen will, aber die Frage war: was?“ Tierärztin wollte sie nicht werden, „da hält man die Tiere höchstens mal fest, sitzt aber sonst viel vor dem PC“. Tierpflegerin war auch keine Option: Ihre Zeit vorwiegend mit Stallputzen zu verbringen – darauf hatte sie damals wenig Lust. „Ich hätte Pferdewirt machen können, aber das ging irgendwie an mir vorbei.“
Weil sie nicht wusste, was tun, machte sie eine Ausbildung zur Kfz-Mechanikerin. Und wie das so ist, geriet zwischen Job, Ehe und vier Kindern ihr Traum, mit Tieren zu arbeiten, in den Hintergrund. Erst als die Kinder größer wurden, fing Claudia Fröhlich an, Bücher über Kamele zu lesen, recherchierte im Internet, belegte Kurse, besuchte Farmen und suchte nach freien Grundstücken. Im Jahr 2010 wurde sie auf den Hof zwischen Waldenbuch, Dettenhausen und Weil im Schönbuch aufmerksam – und entdeckte beinahe zeitgleich im Internet zwei zum Verkauf stehende Zirkuskamele.
Sie fuhr zu dem Zirkus und kam nicht nur mit zwei Kamelen, sondern auch noch mit einem Esel zurück. „Eines der Kamele wollte partout nicht in meinen Pferdeanhänger rein. Der Verkäufer meinte, dass es nur einsteigt, wenn auch sein Esel mitkommt, weil die beiden immerzu zusammenseien.“ Auch wenn ihr das wie ein billiger Trick vorkam, um den Esel loszuwerden, gab sie nach. Weil Esel aber, genau wie Kamele, ungern alleine sind, holte sie noch zwei Eselstuten dazu – für den Nachwuchs. Inzwischen leben auf dem Hof fünf Kamele, vier Esel und vier Lamas.
Die Tiere müssen drei Regeln lernen
Die Kamele erwiesen sich anfangs als Rabauken. Balu, der vom Boden bis zu seinen Höckern zweieinhalb Meter misst und anderthalb Tonnen wiegt, ging auf Claudia Fröhlich los oder trat nach ihr: „Ich hatte nicht nur Respekt, sondern richtige Angst.“
Normalerweise seien Kamele verschmuste und total entspannte Tiere, würden gerne auch mal gestreichelt werden. Wenn sie aber schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht hätten – und das kommt bei Zirkustieren vor – werde es schwierig. „Es hat gedauert, den Kamelen meine drei Regeln beizubringen: Ich werde nicht gebissen, nicht geschubst und es wird nach mir nicht getreten.“ Man müsse immer Freund und Chef zugleich sein. Und manche der „Camels“, wie sie sie nennt, bräuchten mehr Chefansagen als andere. „Sie reagieren auf meinen Tonfall und merken, wenn es ernst wird.“ Inzwischen sagt sie über Balu, den einstigen Rabauken und mit 27 Jahren nun der Opa in der Gruppe, dass sie von ihm am meisten gelernt habe.
In den Höckern ist kein Wasser
Heute bringt sie Menschen etwas über Kamele bei. „Wisst ihr, was in den Höckern ist?“, fragt Claudia Fröhlich die Teilnehmerinnen des Kindergeburtstags. „Wasser!“, ruft ein Mädchen – ein populärer Irrglaube: In den Höckern wird Fett gelagert, sie dienen als Energiespeicher. Denn bei ihren Wanderungen durch die Wüste nehmen sie oft tagelang keine Nahrung zu sich. Zudem kommen die Tiere bis zu zwei Wochen ohne Wasser aus. Wenn sie trinken, dann bis zu 120 Liter auf einmal: „Das entspricht einer Badewanne!“
Häufig muss Claudia Fröhlich auch erklären, weshalb bei zwei ihrer Kamele jeweils ein Höcker nicht mehr aufrecht steht, sondern schlaff auf dem Rücken liegt: Dieses Kippen kann entweder im fortgeschrittenen Alter passieren, so wie bei Balu. Es kann aber auch ein Alarmsignal für eine Krankheit oder Hunger sein – so wie bei dem 2011 geborenen Xalsar. „Bevor er zu mir kam, hatte er einen vereiterten Zahn. Sein Besitzer hatte dies wochenlang unbehandelt gelassen.“ Deshalb habe Xalsar lange Zeit nichts mehr gegessen und sei abgemagert. Ob sie denn zumindest weniger für ihn hätte bezahlen müssen, will eines der Mädchen wissen. „Ja, ein bisschen weniger. Aber immer noch zu viel für den Zustand, in dem er war, als ich ihn gekauft habe. Damals hat nicht mein Verstand gesiegt, sondern mein Mitleid.“
Geld für Werbung hatte sie nicht
Obwohl Claudia Fröhlich immer geplant hatte, ein Gewerbe anzumelden, dauerte es sieben Jahre, bis 2017 zum ersten Mal Besucher gegen Gebühr auf ihren Hof kommen konnten. Das Vertrauen der Tiere so weit zu erlangen, dass sich ihnen auch Fremde ohne Bedenken nähern und sie gar berühren können, brauchte seine Zeit. Noch heute können nicht alle Kamele gebürstet oder geritten werden. „Sie sind teils schwer traumatisiert, wenn sie aus dem Zirkus kommen.“
Anfangs musste Claudia Fröhlich, wie sie erzählt, „unheimlich viel eigenes Geld“ in den Hof und die Tiere stecken. Mittlerweile hat ihr kleines Unternehmen durch Zeitungsartikel und vor allem durch Mundpropaganda den Bekanntheitsgrad enorm steigern können. Gut fürs Geschäft war zudem, dass 2017 fast gleichzeitig das nah gelegene Baumhaushotel „Oase Weil“ eröffnete. Viele Ausflügler verbinden beide Ziele miteinander: Nach einer Übernachtung in einem Baumhaus wird der Kamelhof besucht.
Drei Tage pro Woche kümmern sich Mann oder Tochter
Schwarze Zahlen, sagt Claudia Fröhlich, schreibe sie mir ihrem ungewöhnlichen Gewerbe noch immer nicht. Ausgerechnet die Corona-Pandemie könnte in diesem Jahr nun aber dafür sorgen, dass sich das ändert: Weil viele Familien ihre Urlaube storniert haben, wurden Ausflugsziele in der Region – und somit auch der Kamelhof – beliebter.
Noch arbeitet die Kfz-Mechanikerin an drei Tagen pro Woche in einer Autowerkstatt in Stuttgart. Mittwochs, donnerstags und freitags versorgen ihre älteste Tochter oder ihr Mann, ein Industrieelektriker, die Tiere im Schönbuch. An allen anderen Tagen fährt die 48-Jährige täglich selbst von Stuttgart auf den Hof zu ihren Kamelen.
In diesem Sommer hätte Claudia Fröhlich zum ersten Mal seit Jahren mit ihrer Familie in den Urlaub fahren können. Sie hatte eine Bekannte gefunden, die sich während ihrer Abwesenheit um die Kamele, Esel und Lamas gekümmert hätte. In Kroatien wollte sie mal so richtig ausspannen. Dann kam Corona, und die geplante Reise fiel ins Wasser. Claudia Fröhlich blieb wieder einmal zu Hause. Ein Drama? Wohl kaum. Besucht man sie für ein paar Stunden auf ihrem Hof, beschleicht einen das Gefühl: Ohne ihre Tiere würde es Claudia Fröhlich nirgendwo lange aushalten.